Bayern 2

     

radioTexte - Das offene Buch Kim Thúy: Großer Bruder, kleine Schwester

Schriftstellerin Kim Thúy | Bild: wikimedia/asclepias

Sonntag, 28.11.2021
12:30 bis 13:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Mit ihrem neuen Buch, einem filigranen Mosaik aus Miniaturen und Biografien, skizziert die kanadisch-vietnamesische Autorin bewegende Szenen aus dem Vietnamkrieg. Poesie als Antwort auf die Gewalt. Und zwei Waisenkinder als Hoffnungsträger. Lesung: Laura Maire
Cornelia Zetzsche im Gespräch mit Kim Thúy

Es begann mit einem erschütternden Foto, das Kim Thúy vor Jahren sah: Ein halbnacktes, winziges Mädchen, rollt sich in einer Pappschachtel zusammen, der kleine Junge daneben kauert, völlig verdreckt, auf dem Gehweg. Zwei Waisen in Saigon, der Straße ausgesetzt, halten sich in all dem Elend an der Hand. Über diese Kinder und ihre Liebe zueinander wollte Kim Thúy eine Hommage schreiben, auch wenn die Wirklichkeit jede Fantasie übersteigt.

So märchenhaft der Titel, der wie "Brüderchen, Schwesterchen" klingen mag, so grausam die Schicksale in "Großer Bruder, kleine Schwester". Zwei Waisenkinder aus dem Nichts in den Straßen von Saigon. Das Mädchen wurde bei der "Operation Babylift" gerettet, von einem Paar in den USA adoptiert, wurde von Em Hong zu Emma Jade und machte Karriere als Wissenschaftlerin. Vom Jungen weiß man nichts. Für Kim Thúy der Anlass, beiden einen Stammbaum zu erfinden und über Indochina und Vietnam zu schreiben, von der Sklaverei auf französischen Plantagen und Kautschuk als "Tränen des Baums" bis zum Vietnamkrieg, den Vietnamesen den "amerikanischen Krieg" nennen. Bis heute leiden sie an der chemischen Zerstörungsaktion "Agent Orange", mit der die Amerikaner das Land vor fünfzig Jahren vergifteten.

Kim Thùy, die als Zehnjährige mit ihrer Familie in einem Fischerboot aus Vietnam floh, sieht sich in Kanada als neugeboren. Die 60 000 Vietnamesen, die dort 1975 Zuflucht fanden, sind integriert, haben Karriere gemacht, wie Em Hong alias Emma Jade, wie Kim Thúy selbst, die, als eine der erfolgreichsten Autorinnen des Landes, mit ihrem neuen Buch ein Zeichen der Menschlichkeit gegen die menschliche Grausamkeit setzt. Ein hochpoetisches, vielleicht ihr schönstes Buch.

Lesung: Laura Maire
Regie: Eva Demmelhuber
Im Gespräch: Kim Thúy
Moderation und Redaktion: Cornelia Zetzsche

Mit freundlicher Genehmigung des Antje Kunstmann Verlags können wir die Sendung als kostenlosen Podcast anbieten.