Bayern 2 - Dossier Politik


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Die Rechten unter uns Wie wir dem braunen Terror begegnen

Die Mordserie des Zwickauer Neonazi-Trios reißt immer tiefere Gräben. Weil es unfassbar erscheint, dass die Behörden über ein Jahrzehnt ahnungslos gewesen sein sollen und weil klar wird, dass die Rechten weit mehr Unterstützer hatten, als bisher angenommen.

Von: Ingo Lierheimer

Stand: 14.12.2011 | Archiv

Im zweiten Versuch soll es klappen, das NPD-Verbot.

Die Innenminister der Länder wollen jetzt schnell Kriterien für ein erfolgreiches Verbotsverfahren aufstellen und Material dafür sammeln. Dieses scheint ihnen derzeit fast in den Schoß zu fallen.
Da ist zum Beispiel der Fall Ralf Wohlleben. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der thüringischen NPD sitzt in Haft, weil er dem Zwickauer Neonazi-Trio eine Waffe verschafft haben soll. Die Verbindung des NPD-Funktionärs zur NSU-Terrorzelle ist ein Hinweis darauf, dass die NPD die freiheitliche, demokratische Grundordnung bekämpft – ein Kriterium für ein mögliches Verbot der Partei.

Aktenordner von 2001

Ob es aber ausreicht? Das ist zunächst unklar, und daher warnen viele Experten und auch Politiker davor, zu schnell nach Karlsruhe zu ziehen und womöglich ein zweites Mal vor dem Bundesverfassungsgericht mit einem NPD-Verbotsantrag zu scheitern. Das wäre ein politischer GAU, der die rechte Szene am Ende wohl stärken würde.

Starke rechte Szene – auch in Westdeutschland

Über lange Zeit wurden die rechte Szene und ihre Gewaltbereitschaft unterschätzt. In den Verfassungsschutzberichten tauchten in den letzten Jahren vermehrt linksextremistische Straftaten auf. Die Gewalt, die von Neonazis ausging, wurde dagegen oft nicht als solche eingestuft. Was politisch zum Beispiel auch dazu führte, dass die Bundesfamilienministerin 2010 die so genannte Extremismusklausel einführte. Initiativen gegen Rechts müssen sich seitdem per Unterschrift dazu bekennen, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Kristina Schröder hält weiter an dieser Klausel fest, auch wenn die Opposition und die betroffenen Initiativen beklagen, dass dieser bürokratische Akt ihre Arbeit stark erschwere. Immerhin werden die Bundesmittel für Programme gegen Rechtsextremismus nun nicht, wie von Schröder geplant, um fast zwei Millionen Euro gekürzt.

Rechte Gewalt

NPD-Aussteiger Uwe Luthardt

Aussteiger aus der NPD wie Uwe Luthardt aus Thüringen haben immer wieder auf das Gewaltpotential innerhalb der NPD hingewiesen. Einen gemäßigten Flügel gebe es nicht, meint Luthardt, der im Vorstand der Jenaer NPD war. In Bayern weist der Verfassungsschutzbericht rund 700 Neonazis aus – 200 mehr als noch 2009. Deren Straftaten haben ebenfalls zugenommen: 58 Gewaltdelikte zählten die Verfassungsschützer im vergangenen Jahr, darunter ein versuchter Totschlag.

Dazu knapp 1.500 "sonstige" Straftaten, wozu unter anderem Volksverhetzung oder Sachbeschädigungen zählen. Dass rechte militante Gruppen auch im Freistaat noch wesentlich radikaler vorgehen, als die Statistik den Anschein erweckt, belegt der von Martin Wiese geplante Sprengstoffanschlag auf das Jüdische Zentrum in München im Jahr 2003, der von den Behörden nicht durch V-Leute, sondern nur durch einen glücklichen Zufall verhindert werden konnte.

Rechte unter uns

Doch es ist nicht nur die offensichtliche rechte Gewalt, die irritiert und verängstigt. In manchen Städten und Regionen haben Neonazis gewissermaßen das "Kommando" übernommen. Der Dortmunder Stadtteil Dorstfeld ist ein Beispiel. Im früheren Arbeiterviertel leben viele Migranten und viele Rechte. Sie schüchtern Mitbürger, die ihnen nicht passen, ein, drohen ihnen, beschädigen Autos, werfen Steine durchs Fenster. Opferberater sind entsetzt über das Selbstbewusstsein der Rechtsextremen, die sich in Dortmund nicht nur mit den Schwächsten anlegen, sondern durchaus mit der Mittelschicht und damit der Mehrheit der Gesellschaft.

... und ihre Gegner.

Stadt, Polizei und viele Bürger haben lange gebraucht, um zu erkennen, dass Dortmund ein echtes Problem mit Rechtsextremismus im Alltag hat. Die Ruhrpottmetropole ist die Hochburg der Rechten in Westdeutschland, viele führende Köpfe der rechten Szene leben hier und zum Neonaziaufmarsch Anfang September versammeln sich hier jedes Jahr hunderte Rechtsextreme aus ganz Europa.

Das braune Erbe des Sozialismus

Vietnamesische Gastarbeiter in der DDR 1990

Der Rechtsextremismus ist also beileibe kein ostdeutsches Phänomen. Allerdings fiel er in den neuen Bundesländern auf fruchtbaren Boden. Die ehemalige Bürgerrechtlerin Freya Klier zieht diesen Schluss in ihrem für das Dossier Politik verfassten Essay „Das braune Erbe des Sozialismus“. Die Politik der SED, so Klier, wies große Parallelen mit rechtsradikalen Forderungen auf: Ausländer wurden abgeschottet, hatten eingeschränkte Rechte, Ressentiments wurden gepflegt gegenüber allem, was von der Norm abwich. Wer nicht arbeitete, galt als asozial und kam hinter Gitter, Behinderte wurden ausgegrenzt statt integriert. Eine gesellschaftliche Haltung, die der Dünger ist für Rechtsextremismus und eine Erklärung bietet für den Erfolg der NPD in den östlichen Bundesländern.

Studiogast: Frank Jansen

Der Redakteur des Berliner "Tagesspiegels" gilt als ausgewiesener Experte für Neonazis und ihre Strukturen. 2008 ist Frank Jansen mit dem renommierten Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet worden. Er hatte beschrieben, wie Vorgesetzte in einer Polizeidirektion in Sachsen-Anhalt die Ermittlungen gegen rechtsextreme Täter behindert haben. Frank Jansen ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und der Carl-von-Ossietzky-Medaille.

Die Themen im Einzelnen

  • Militante rechte Gruppen und der Verfassungsschutz (Thies Marsen)
  • Aus dem Zentrum der NPD – Porträt eines Aussteigers (Olaf Sundermeyer)
  • Mitten unter uns – Neue Rechte in Dortmund (Mareike Wilms)
  • Das braune Erbe des Sozialismus – ein Essay (Freya Klier)

Redaktion: Ina Krauß und Ingo Lierheimer
Moderation: Ingo Lierheimer
Dossier Politik, 14.12.2011, 21.03 Uhr, Bayern 2


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