Bayern 2 - Gesundheitsgespräch


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Aufmerksamkeit und Akzeptanz Was tun gegen Tinnitus?

Einen Krankheitswert erhält das Ohrgeräusch, das Klingeln und Zischen und Pfeifen, erst, wenn es über einen langen Zeitraum auftritt und den Menschen ständig stört.

Von: Sabine März-Lerch

Stand: 28.04.2020

Ein Mann hält sich beide Ohren zu | Bild: picture-alliance/dpa

"Nichts ist lauter als der Ton, den Du nicht hören willst", heißt es in der Tinnitus-Liga, einer großen Patienten-Selbsthilfe-Organisation.

"Eigentlich ist es eine natürliche Situation, die gar keinen Krankheitswert hat. Der hängt im Prinzip von der Akzeptanz des Patienten ab, wie er mit dem Ton umgehen kann. Gerade unter älteren Leute kenn ich viele, die haben ein Ohrgeräusch und das interessiert die aber gar nicht so sehr. Dann hat es auch keinen Krankheitswert, und es stellt sich die Frage, ob man dies überhaupt als Tinnitus bezeichnen soll. Die Frage ist, ob man ihm seine Aufmerksamkeit widmet."

Prof. Markus Suckfüll

Andere wiederum leiden stark an dem ständigen Rauschen und Bimmeln - für Millionen Menschen ist es sehr zermürbend. Zwischen fünf und 15 Prozent aller Erwachsenen erleben irgendwann eine länger andauernde Tinnitus-Episode. Wer mit dem Ohrgeräusch klar kommt, kompensiert das Geräusch. Bei etwa zehn bis 20 Prozent der Menschen mit Tinnitus sind die Ohrgeräusche so stark, dass sie die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und eine Behandlung nötig ist. Das zeigt eine Erhebung der Techniker-Krankenkasse.

"Da man den Ton nicht einfach 'abschalten' oder durch ein Medikament zum Abklingen bringen kann, kann das Ziel der Behandlung nur sein, sich an die Tinnitus-Geräusche zu gewöhnen und irgendwann über sie hinweg zu hören. Nur so kann Betroffenen geholfen werden, mit den Ohrgeräuschen umzugehen. Keine Behandlung kann eine 'Heilung', eine 'Rückkehr zur Stille' bewirken. Das Mittel der Wahl ist hier eine psychotherapeutische Behandlung, eine Verhaltenstherapie, um zu einer Akzeptanz der Töne zu kommen, sie zu tolerieren und das Leiden zu kompensieren."

Prof. Markus Suckfüll

Tinnitus – Grad 1 bis Grad 4

Gelingt es Betroffenen nicht, das Leiden am Tinnitus zu verarbeiten, und kommt es möglicherweise zu Folgestörungen wie Schlaf- oder Konzentrationsproblemen, kommt es gar zu Einschränkungen der Lebens- und Arbeitsfähigkeit, nennt man dies ein dekompensiertes Tinnitus-Leiden.
Über Fragebögen wird erkundet, wie stark der Patient durch das Ohrgeräusch belastet ist  - auf einer Skala von Grad 1 bis Grad 4, von geringem Leidensdruck bis hin zur Berufsunfähigkeit.

"Es gibt Leute, die sehr schwer darunter leiden und depressiv werden und schwerste Schlafstörungen haben und im Alltagsleben nicht mehr zurechtkommen. Das sieht man durchaus und gar nicht so selten."

Prof. Markus Suckfüll

Das sei oft eine große Belastung für die Arzt-Patienten-Beziehung, so der Experte:

"Der Patient erwartet ja allgemein vom Arzt, dass er das Symptom behandelt, und letztlich will er eine blaue oder eine rote Tablette haben. Und das ist eben genau das, was mit dem Ohrgeräusch so leider nicht geht. Das muss man dem Patienten nun eröffnen. Aber auch umgekehrt, dass man an der Akzeptanz und am Umgang mit dem Ohrgeräusch arbeiten kann, bis zu dem Punkt, dass das Ohrgeräusch nicht mehr stört und er sich nicht mehr als Tinnitus-Patient empfindet, weil er das dann einfach verdrängen kann."

Prof. Markus Suckfüll

Tinnitus und Hörsturz – alles ein Frage von Stress?

"Ähnlich wie beim Herzinfarkt, wo man von der Stress-Theorie abgekommen ist, setzen wir beim Hörsturz mittlerweile keinen Stress-Zusammenhang voraus. Auch löst Stress keinen Tinnitus aus, er verstärkt das Geräusch im Ohr möglicherweise und beeinflusst höchstens den psychischen Umgang mit dem Ohrgeräusch."

Prof. Markus Suckfüll

Im Kampf gegen das Rauschen – "Noiser"

Neben der Psychotherapie gelingt es in manchen Fällen, mechanisch gegen das Geräusch zu arbeiten. Dazu tragen die Betroffenen ein Hilfsmittel ähnlich einem Hörgerät: 

"Wenn der Patient nicht nur ein Ohrgeräusch hat, sondern auch schlechter hört, dann geben wir dem Patienten ein Hörgerät, mit dem er wieder normal hört, und damit viel mehr Töne und Umgebungsgeräusche. Die alleine überdecken dann schon das Ohrgeräusch. Und wenn der Patient nun zwar sehr gut hört, aber trotzdem störende Geräusche hat, dann geben wir mit diesem speziellen Hörgerät ein angenehmeres Rauschen aufs Ohr, was zum Beispiel das hochfrequente Pfeifen übertönt. Mit diesem sogenannten 'Noiser' hört er ein anderes Geräusch, mit dem er besser zurechtkommt."

Prof. Markus Suckfüll

Exkurs: Es gibt einen für andere hörbaren Ton im Ohr

Ein gesundes Ohr produziert selbst Töne – in seltenen Fällen nehmen Patienten diese Töne als "oto-akustische Emissionen" wie ein sonstiges Ohrgeräusch wahr. Hier handelt es sich um objektive Töne, die mit speziellen apparativen Vorrichtungen hörbar gemacht werden können.  

"Und ganz selten mal gibt es einen Menschen, der eine so laute oto-akustische Emission hat, dass man die mit dem bloßen Ohr hört. So ist man da auch darauf gekommen. Das ist aber dann eigentlich kein Tinnitus, sondern eine akustische Emission, also ein Pfeifen aus dem Verstärkungsmechanismus vom Innenohr, die quasi nach außen dringt. Es sind im Prinzip die äußeren Haarzellen, die, wenn sie überaktiv sind, den Ton produzieren und verstärken."

Prof. Markus Suckfüll

Diese Entdeckung war bahnbrechend für die Diagnose von angeborenen Schwerhörigkeiten. Nur wer hören kann, wird sprechen lernen. Aber ein wenige Monate altes Kind ist nicht zu befragen, ob es hört. Stellt man allerdings fest, dass bei diesem Säugling die messbaren Eigen-Töne des Ohres fehlen, wird man diese Schwerhörigkeit von Anfang an mit Hörhilfen ausgleichen können und ihm so den normalen Spracherwerb ermöglichen.

Hinweis:Selbsthilfe in der Tinnitus-Liga

Eine der wohl größten Selbsthilfe-Organisationen ist die Deutsche Tinnitus-Liga e.V. . Über diesen Verband "von Betroffenen für Betroffene" können Veranstaltungen besucht oder Informationsbroschüren zu den Themen Hörsturz und Tinnitus bestellt werden.


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