Michail Bulgakow: Meister und Margarita Vielstimmiges Großstadtpoem
Meister und Margarita als 12 teiliges Hörspiel
Vermächtnis, Zauberbuch, Untergrundlektüre: der Roman Meister und Margarita von Michail Bulgakow ist ein mit fast metaphysischer Bedeutung aufgeladenes literarisches Werk. Ab September 2014 sendet der Bayerische Rundfunk eine 12 teilige Hörspieladaption auf Grundlage der Übersetzung von Alexander Nitzberg, die 2012 im Galiani Verlag erschienen ist. Bearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert. Geschrieben wurde der Roman zwischen 1928 und 1940, einige Teile davon wurden von Bulgakow vom Krankenbett aus diktiert. Dann auf unermüdliches Betreiben der Witwe Jelena Bulgakowa, die das Werk in seinen verschiedenen Fassungen abtippte, redigierte und damit zum Abschluss brachte, schließlich postum 1966 und 1967 in zwei Teilen in der Moskauer Literaturzeitschrift Moskwa in zensierter Form veröffentlicht. Der Roman war sofort vergriffen, woraufhin er innerhalb kürzester Zeit in so genannten samisdat-(Selbstverlag)-Ausgaben als Pflichtlektüre kursierte. In der Zeit der Perestrojka ab 1989 in der Sowjetunion in unzensierter Weise erhältlich wurde er das Buch zum Lebensgefühl der jungen Generation im Aufbruch. Der 1969 in Moskau geborene Übersetzer Alexander Nitzberg, 1980 nach Deutschland ausgereist, sagt über seine ersten Besuche in Moskau Anfang der 1990er Jahre: „Ich erinnere mich an die ersten Male wo ich nach meiner Emigration wieder nach Russland zurückfahren durfte, da lag der Roman regelrecht in der Luft. Alle jungen Menschen beschäftigten sich mit ihm. Es war mehr als ein gelesenes Buch, es war ein gelebtes Buch. Ein Buch voller Maximen für das eigene Leben.“
Magie im Stalinismus
Die intertextuellen Bezüge, die zahlreichen Verbindungslinien zwischen dem Werk und dem Leben des Autors sowie die subversiven und genial ineinander verschränkten Plots des Buches - der Roman im Roman, Gottesbeweis durch den Teufel persönlich, magischer Realismus in der Ära Stalins – machten Meister und Margarita auch international zum Kultbuch. Wenige Wochen nach Erscheinen in der Sowjetunion gab es die erste West-Ausgabe im italienischen Einaudi Verlag. Sie zählte knapp siebzig Seiten mehr als die gekürzte Moskwa-Ausgabe. Es folgten Veröffentlichungen in den USA und zahlreichen europäischen Staaten. In der Bundesrepublik erschien der Roman 1968 im Luchterhand Verlag. Der Spiegel verglich die Ost- und West Versionen und zitierte die US-Kritikerin Patricia Blake: „Die Atmosphäre der Unterdrückung wurde wegretuschiert."
Begegnungen mit dem Diktator
Wenn auch Bulgakows politische Haltung eindeutig scheint, ist seine Beziehung zu Stalin doch ambivalent zu nennen. Von Jelena Bulgakowa wird sie als Hass-Liebe beschrieben. Die wichtige letzte Schreibphase von Meister und Margarita fällt in den Zeitraum 1937 und die folgenden Jahre, in eine Zeit in der unzählige Menschen – auch viele intellektuelle Kollegen – dem Terror-Regime Stalins zum Opfer fielen, deportiert oder ermordet wurden. Bulgakow wandte sich mehrfach schriftlich an die Regierung mit der Bitte, ihn ausreisen zu lassen. Die Briefe blieben unbeantwortet, doch 1930 erhielt er einen Anruf von Stalin persönlich, ein Telefonat, von dem – wie die Biografin Elsbeth Wolffheim schreibt – folgendes überliefert ist: „‘Vielleicht sollten wir sie wirklich ins Ausland reisen lassen. Was ist, haben Sie genug von uns?‘ Konsterniert reagierte Bulgakow auf diese Frage mit dem Bekenntnis – das er später noch oft bereuen sollte- : Er glaube nicht, dass ein russischer Schriftsteller im Ausland leben könne. Daraufhin lenkte Stalin sogleich ein und versprach ihm, er werde beim Künstler-Theater intervenieren, und er sei sicher, daß Bulgakow dort eine Anstellung bekomme.“ Nach Auffassung des Herausgebers Viktor Lossew setzt Bulgakow Stalin am Ende von Meister und Margarita ein Denkmal, in dem er Woland dem im Flugzeug sitzenden Diktator begegnen und seinen Respekt ausdrücken lässt.
Weiblicher Faust
In der Meister-Figur finden sich Züge Bulgakows: Das Drama des unterdrückten Autors, der entweder instrumentalisiert oder mundtot gemacht wird, ist auch Gegenstand des Romans. In der Figur der Margarita, die die den Roman des Meisters retten will, sehen viele Jelena Bulgakowa, die ihrerseits das Schreiben von Michail Bulgakow und nach dessen Tod den Roman zu ihrem Lebensinhalt machte. Margarita ist die eigentliche Handlungsträgerin, sie nimmt die Strapazen auf sich und geht den Pakt mit dem Teufel ein, um für sich selbst und den Meister Freiheit zu erlangen, der wenig tatkräftig andere über sein Schicksal entscheiden lässt.
Sound des Romans
Die autobiographischen, die politischen und die religiösen Bezüge bestimmten lange Zeit überwiegend die Rezeption von Meister und Margarita. Der Übersetzer und Lyriker Alexander Nitzberg empfiehlt mit seiner Übertragung ins Deutsche nun eine poetische Lesart und rät, den Roman wie ein langes Gedicht, ein Großstadtpoem, einen Schlüsseltext der Moderne zu lesen: „Ich habe den Roman auf dieselbe Art und mit derselben Methode übersetzt, wie ich auch ein Gedicht übersetzen würde. Wir haben es hier mit verschiedenen Klangfiguren, verschiedenen Rhythmen, mit sehr aufwändiger metaphorischer Sprache, mit einem besonderen Umgang mit sprachlichen Bildern und mit einer enormen stilistischen Breite zu tun. Jede Person hat eine eigene Stimme, einen eigenen Tonfall, einen eigenen Sound.“ Ausrufe, knappe Sätze, pointierte Dialoge sowie monologische, aber nicht durch einen auktorialen Erzähler vermittelte Passagen, geben dem Roman in der Neuübersetzung den Duktus von Mündlichkeit, machen ihn sprech- und hörbar. Von Bulgakow heißt es, er habe viele seiner Texte aus dem Stegreif improvisiert und laut vorgetragen. Die Unmittelbarkeit und Direktheit der Neuübersetzung machten eine Hörspielfassung des Romans zwingend.
Katarina Agathos