Bayern 2 - Hörspiel


213

Michail Bulgakows "russischer Faust"

Stand: 21.12.2022 | Archiv

Podcast-Motiv "Meister und Margarita" | Bild: istock/BR

Russischer Faust

Eine fantastische Abenteuergeschichte, eine Liebesgeschichte, eine philosophische Parabel über Gut und Böse sowie über die Macht und Ohnmacht der Kunst, eine Satire auf die russische Bürokratie – ein „russischer Faust“.

"'Der Meister und Margarita' ist eines der rätselhaftesten Werke der Weltliteratur"

Alexander Nitzberg, Übersetzer

"Klaus Buhlert, Regisseur und Komponist, hat die Neuübersetzung durch Alexander Nitzberg zum Anlass genommen, Bulgakows grandiose Teufeliade als Hörspiel einzurichten. Die karge Inszenierung überzeugt durch die Sorgfalt des Szenenaufbaus und die großartige Sprecherleistung, beispielsweise durch die beiden Erzähler Michael Rotschopf und Manfred Zapatka. Hier kann man den Roman neu entdecken."

Jurybegründung Platz 1 Hörbuchbestenliste November 2014

Die verhexte Wohnung in der Sadowaja 302b

Viele lasen den Roman nach seinem Erscheinen 1966/67 in der Sowjetunion und lernten ihn auswendig. Die verhexte Wohnung Nr. 50 in der Sadowaja 302b, in der der Autor Michail Bulgakow selbst von 1921 bis 1924 lebte, wurde zur Pilgerstätte. Diese Wohnung ist auch ein zentraler Handlungsort des Romans, von dem aus der schwarze Magier Woland die Stadt Moskau auf den Kopf stellt: Woland erscheint eines schönen Tages in Moskau, wo er sich am Patriarchenteich in ein Gespräch einmischt, das zwischen Berlioz, dem Redaktuer einer Literaturzeitschrift und Iwan Nikolajewitsch, einem jungen Dichter darüber stattfindet, ob Jesus existiert hat, oder nicht. Woland, der von den beiden für einen Spion gehalten wird, behauptet nicht nur, schon mit Kant beim Frühstück über diese Frage diskutiert zu haben, sondern darüber hinaus, dabeigewesen zu sein, als Pilatus Jesus zum Tode verurteilt hat. Außerdem sagt er Berlioz dessen Tod voraus. Innerhalb kürzester Zeit passieren die seltsamsten Dinge, angefangen mit einem spektakulären Straßenbahnunfall, der Berlioz den Kopf kostet. In den folgenden Tagen treibt er mit den Moskauern allerlei Schabernack, lässt Frauen plötzlich in Unterwäsche auf der Straße stehen, zaubert Geld herbei, das sich kurz darauf in Konfetti verwandelt und befördert lästige Personen binnen Sekunden in die Ferne – oder in die Psychiatrie. Auch seine Begleiter, allen voran ein großer, auf den Hinterbeinen gehender und sprechender Kater, stehen ihm, was ihre Scherze angeht, in nichts nach.

Antiker Handlungsstrang

Der Moskauer Handlungsstrang wird immer wieder durch einen zweiten Strang unterbrochen, in dem von der Verurteilung von Jeschua Ha-Nozri durch den römischen Prokurator Pontius Pilatus erzählt wird. Pilatus leidet an Migräne, misstraut den Menschen, liebt nur seinen Hund und denkt daran, sich das Leben zu nehmen. Dass er diesen eigensinnigen  jungen Mann, der offenbar in der Lage ist, seine Kopfschmerzen zu lindern,  zum Tod am Kreuz verurteilen soll, missfällt ihm. Er ist jedoch dazu verpflichtet – und so wird Jeschua auf den „Kahlen Berg“ gebracht. Zu diesem zweiten, antiken Handlungsstrang zählen noch Judas aus Kirjath, den der römische Geheimdienst wegen seiner fragwürdigen Rolle beim Justizmord an Jeschua später umbringt, und Jeschuas Schüler Levi Matthäus, der die Worte seines Herrn aufschreibt – jedoch oft falsch.

Der Meister

Nach etwa einem Drittel des Romans  tritt der Meister auf. Einst hatte er als hochgebildeter Historiker in einem Moskauer Museum gearbeitet, jetzt aber sitzt er in der Irrenanstalt. Sein Auftreten verknüpft die beiden Erzählstränge. Denn er gibt sich als Autor eines großen Romans über die Begegnung zwischen Jeschua und Pontius Pilatus zu erkennen. Mit seinem Roman ist er am sowjetischen Literaturbetrieb gescheitert. Dies hat ihn in den Wahnsinn getrieben.

Margarita

Seine Geliebte, die verheiratete wohlhabende Margarita, hat er seitdem nicht wiedergesehen. Sie vermissen einander – und so lässt sich die mutige und an Abenteuern interessierte Margarita auf einen faustischen Vertrag mit einem Assistenten Wolands ein. Der Teufel will in der Sadojawa 302b, Wohnung 50, einen Ball geben und lässt dafür Margarita als Ballkönigin anwerben. Verjüngungscremes und eine Flugsalbe verwandeln Margarita in eine fliegende Hexe, die ihre heikle Aufgabe beim Ball so souverän meistert, dass ihr Woland das Wiedersehen mit ihrem geliebten Meister ermöglicht.  Der Meister, der kaum weiß, wie ihm geschieht, überlässt sich Margarita, die einwilligt, gemeinsam mit Woland aufzubrechen und die irdische Welt hinter sich zu lassen. Sie lassen sich vergiften und zu neuem Leben erwecken. Auf schwarzen Pferden fliegend verlassen die Liebenden mit Woland und seinem Gefolge die Stadt.

Kampf des Individuums als Hexentanz

"Der Meister und Margarita" ist auch als politische Groteske zu lesen, in zahlreichen Andeutungen zeigt Bulgakow das Diabolische im Alltag der Sowjet-Diktatur. Er beschreibt diesen Kampf des Individuums gegen politische Unterdrückung als einen Hexentanz, der sich unter anderem ausdrückt durch Literatur und menschliche Liebe, die sogar den Tod zu überwinden vermag.

In der Hörspielinszenierung von Klaus Buhlert auf Grundlage der Neuübersetzung von Alexander Nitzberg wird Bulgakows Jahrhundertroman zu einem vielstimmigen Großstadtpoem.

"'Meister und Margarita' – dieses Hörspiel wollte ich nicht aufnehmen – ich wollte es hören! Unbedingt! Am besten auf Russisch... Aber Russisch ist mir irgendwie abhanden gekommen – in meinem zweiten Leben in Westberlin. Ich hatte es vierzig Jahre nicht mehr sprechen wollen... Nix sprechen russisch... behauptet Woland im Roman – nachdem er am Patriarchenteich akzentfrei über Pilatus, Gott und die Welt geplaudert hat. Was also ist der Unterschied zwischen einer Fremdsprache und einer fremden Sprache?
Sprache schafft Hindernisse. Worte werden mißverstanden. Wenn aber Worte nichts mehr sagen, dann sollte man etwas mit ihnen tun – ich zum Beispiel muss sie immer wieder hören (am besten geht’s mit dem inneren Ohr!). Einen Ton für sie finden; einen akustischen Ort. Das belebt kalte Wortleichen manchmal. Bulgakow hat sich mit 'Meister und Margarita' durch einen Riss in der Moskauer Alltagssprache gezwängt, zwischen einerseits Anbrüllen und andererseits Beten. Und er liebt alle seine Figuren, obwohl es – objektiv betrachtet – im Roman wenig Grund dafür gibt. Kann man das hörbar machen im Radio? Kann Bulgakows Roman (weit weg von russischer Alltags- und Kremlsprache) zur akustischen Arche 'Poesija Russland' zusammen geschraubt werden? Nix sprechen russisch... Das Boot besteigen. Sich selbst retten. Und alle mitnehmen, die es möchten. Auch den Hörer."

Klaus Buhlert, Regisseur

Preis der deutschen Schallplattenkritik

Bestenliste 2015/1 Hörbuch

Die Juroren der Vereinigung "Preis der deutschen Schallplattenkritik" haben die BR Hörspiel-Produktion "Meister und Margarita"als eine der künstlerisch herausragenden Neuveröffentlichungen des Tonträgermarktes im vergangenen Quartal ausgezeichnet.

"Es sei dies 'mehr als ein gelesenes Buch, es war ein gelebtes Buch, eine Art Bibel', so der Lyriker und Übersetzer Alexander Nitzberg über den Roman 'Der Meister und Margarita'. Michail Bulgakows Hauptwerk durfte erst nach seinem Tod in der sowjetischen Tauwetterperiode zensiert erscheinen, es ist ein inhaltlich, stilistisch und in seiner politischen Doppelbödigkeit faszinierend vielschichtiges Buch, für dessen literarischen Kultstatus in Russland kein deutsches Pendant bekannt ist. Nitzberg hat ihm in seiner Neuübersetzung die pralle Sprache zurückgegeben. Das Hörspiel von Klaus Buhlert vereint die erzählerische Eleganz eines gelesenen Buches mit der radiophonen Lebendigkeit schnell wechselnder Szenen aus dem stalinistischen Moskau – besetzt mit einem fantastischen Ensemble und atmosphärisch grundiert durch Buhlerts russisch angehauchte Musik."(Für die Jury: Michael Struck-Schloen)

Der „Preis der deutschen Schallplattenkritik" ist ein Zusammenschluss von Musikkritikern und Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er wurde 1963 gegründet mit dem Ziel, für den von Werbung überformten Tonträgermarkt eine zuverlässige Qualitätskontrolle zu installieren und auf diese Weise den Diskurs über Musik und Fragen der Interpretation zu fördern.

Michail Bulgakow: Meister und Margarita

12 Teile
Mit Michael Rotschopf, Manfred Zapatka, Karl Markovics, Valery Tscheplanowa, Wolfram Berger, Felix von Manteuffel, Milan Peschel, Dietmar Bär, Werner Wölbern, Jeanette Spassova, Samuel Finzi, Stefan Wilkening, Thomas Thieme, Wolfram Koch, Jens Harzer, Gottfried Breitfuß, Margit Bendokat, Caroline Ebner, Steffen Scheumann, Stephan Bissmeier, Götz Schulte, Johannes Silberschneider, Hans Kremer, Hendrik Arnst, Christiane Roßbach, Natali Seelig, Lars Rudolph, Jaqueline Macauly, Stephan Zinner.

Aus dem Russischen von Alexander Nitzberg
Bearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert
BR 2014


213