Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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16. November 1976 Wolf Biermann wird ausgebürgert

Auftrittsverbot - aber nicht in der Bundesrepublik. Und da sollte er nach Meinung der DDR auch bleiben: Wolf Biermann. Autorin: Hartmut E. Lange

Stand: 16.11.2016 | Archiv

16.11.1976: Wolf Biermann wird ausgebürgert

16 November

Mittwoch, 16. November 2016

Autor(in): Hartmut E. Lange

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

"Solange du unter meinem Dach lebst, machst du gefälligst, was ich sage! "

An diese Auflage hat sich der Ermahnte nie gehalten, und der autoritäre Hausherr - Vater Staat - hat es zähneknirschend geduldet. Dass er den zweiten Teil der Drohung - "Ansonsten fliegst du raus!" - ausgerechnet einen Tag nach dem 40. Geburtstag des renitenten Sohnes wahrmacht, ist eher Zufall - und ein Geburtstagsgeschenk sieht anders aus. Am 16. November 1976 verkündet die DDR-Nachrichtenagentur ADN, dass Wolf Biermann die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt wurde.

Ein unbekannter Poet

Wolf... ? Wer... nochmal?

Von hohem Bekanntheitsgrad kann nicht die Rede sein. Kein Wunder - wie soll einer berühmt werden, der seit 10 Jahren Auftrittsverbot hat? In der ostdeutschen Kulturszene reicht man seine politischen Gedichte und Lieder herum, doch der Mehrheit in der Bevölkerung ist der Mann mit dem Schnauzer und der Gitarre unbekannt. Im DDR-Fernsehen kommt Biermann nicht vor. Ab und zu taucht er mit Interviews in Sendungen wie PANORAMA und Kennzeichen D auf.

Aber ARD und ZDF kann man im "Tal der Ahnungslosen" - wie die Ost-Berliner den Bezirk Dresden spöttisch nennen - nicht empfangen. Die meisten Sachsen haben noch nie etwas von Biermann gehört.

Seine Songs werden nicht im Ton-Studio, sondern im Wohnzimmer in der Chausseestraße 131 aufgenommen; Diplomaten schleusen die Bänder in den Westen. Das DDR-Label AMIGA presst keine schwarzen Scheiben mit seinen Liedern, die erscheinen nur jenseits der Mauer, bei Columbia Records. Doch dann darf Biermann endlich wieder auf die Bühne - aber nicht in der DDR. Die Gewerkschaft IG Metall hat zu einer Tournee eingeladen - die Reise zum Klassenfeind wird ihm von ganz oben genehmigt. Beim ersten Konzert in der Kölner Sporthalle bekennt sich Biermann vor 7 000 Zuschauern eindeutig zur sozialistischen Idee, kritisiert aber mit scharfen Worten das real existierende Experiment in der DDR, vor allem die Sturheit der greisen Führungsriege.

Gesamtdeutscher Protest

Einen Tag nach der ADN-Meldung protestieren 12 prominente Künstler gegen die Ausbürgerung und bitten die Regierung ihre Entscheidung zu überdenken. Mit dieser Petition geht ein tiefer Riss durch den Arbeiter- und Bauernstaat. Viele schließen sich dem Protest an, während sich linientreue Staatskünstler in der

SED-Zeitung "Neues Deutschland" mit devoten Bekenntnissen hinter die Regierung stellen.

Und im Westen? Die Solidarität mit Biermann ist überwältigend, angeführt von den ganz großen Namen: Böll, Grass, Wallraff. Die ARD ändert kurzfristig ihr Programm: zwei Tage nach dem Rausschmiss aus der DDR läuft im Ersten um 22 Uhr das Kölner Konzert - Millionen Zuschauer in Ost und West sitzen vor den Bildschirmen. Der kritische Liedermacher Wolf Biermann, den die DDR-Regierung zum Schweigen bringen wollte, wird über Nacht weltbekannt.

In der DDR werden prominente Sympathisanten diskriminiert, ihre Bücher nicht mehr gedruckt, ihre Filme nicht mehr gedreht. Die Folge ist eine beispiellose Ausreisewelle: Publikumslieblinge wie Manfred Krug, Armin Müller-Stahl, Katharina Thalbach und Nina Hagen verlassen ihr Land.

"Warte nicht auf bessre Zeiten", hat Biermann oft gesungen. 13 Jahre nach seiner Ausbürgerung sehen es die meisten Menschen in der DDR genau so, sie wollen nicht mehr länger warten, sie gehen auf die Straße, skandieren - Wir sind das Volk! Der Rest ist Geschichte.


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