20. Februar 1883 Alphonse Bertillon identifiziert Straftäter
Keine zwei Menschen haben genau dieselben Körpermaße, wusste Alphonse Bertillon und begann, Straftäter zu vermessen, um sie im Bedarfsfall schnell wieder zu finden. Am 20. Februar 1883 gelang der "Bertillonage" der erste Erfolg.
20. Februar
Freitag, 20. Februar 2015
Autor(in): Christiane Neukirch
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Die Kriminalistik war seit jeher ein hartes Pflaster. Denn der Fertigkeit der Fahnder steht immer der Einfallsreichtum der Gesetzesbrecher entgegen. Kaum ist eine neue Aufdeckungsmethode gefunden, schon übt sich der Gesuchte in neuer Technik von Tarnen und Täuschen. Doppelt bitter ist es, wenn ein einmal gefasster Verbrecher wieder verloren geht. Sei es, weil man ihn freilassen muss, oder weil ihm die Flucht gelingt. Denn sollte er noch einmal zuschlagen, dann wird er zum Wiederholungstäter. Und dann geht die Sucherei von vorne los.
Kopf kürzer?
Um dem vorzubeugen, hat sich die Exekutive schon früh Gedanken gemacht.
Eine Möglichkeit ist, den Gefassten einen Kopf kürzer zu machen; dann kann er auf keinen Fall mehr davonlaufen. Doch das ist in den meisten Gesellschaften inzwischen moralisch indiskutabel. Man braucht also Merkmale, anhand derer man die Betreffenden eindeutig identifizieren und so bei Bedarf wiederfinden kann.
So verfiel man zunächst darauf, Straftäter zu brandmarken.
Das aber wurde auch irgendwann verboten - in Frankreich war das im Jahr 1832. Von da an waren die Kriminaler gezwungen, sich auf bloße Täterbeschreibungen zu verlassen, eine sehr ungenaue und fehlerträchtige Angelegenheit.
Im Jahr 1879 trat ein übellauniger, cholerisch veranlagter junger Mann einen Job als Hilfsschreiber bei der Pariser Polizeipräfektur an: Alphonse Bertillon. Er hatte den Posten nur durch Fürsprache seines Vaters bekommen, eines bekannten Arztes. Auf dem freien Arbeitsmarkt wäre der leistungsschwache Schulabbrecher schwer zu vermitteln gewesen. Seine Aufgabe bestand darin, die Beschreibungen von Straftätern auf Karteikarten zu übertragen. Das Verfahren - und damit seine Tätigkeit - erschienen ihm von Anfang an sinnlos; und er dachte darüber nach,
wie man die Menschen besser kategorisieren könne.
Da sein Vater Vizepräsident der Anthropologischen Gesellschaft war, hatte er einiges über die Maße des Menschen gehört und gelesen; unter anderem eine Studie, die belegte, dass es keine zwei Menschen auf der Welt mit denselben Körpermaßen gibt.
Vermessen!
Wenn das so sei, folgerte Bertillon, müsse man die Menschen nur ausführlich genug vermessen, dann könne man jeden eindeutig zuordnen. Von der Idee gepackt, errechnete er, dass elf Merkmale genügten, um eine Trefferquote von 200.000 zu 1 zu erzielen. Diese Theorie präsentierte er seinem Chef und erhielt die Erlaubnis, seine Methode an Untersuchungshäftlingen zu testen. Bertillon vermaß sie von oben bis unten, angefangen von der Länge des linken Fußes bis zur Breite des rechten Ohres. Dazu kamen Fotografien und eine ausführliche Beschreibung. Bis Februar 1883 hatte Bertillon 1.800 Karteikarten fertig. Der Chef war zufrieden. Bertillon durfte weitermachen. Am 20. Februar 1883 gelang es ihm erstmals, einen gesuchten Wiederholungstäter zu identifizieren. Das Verfahren bekam einen Namen: Bertillonage.
In 22 Jahren identifizierte die Pariser Polizei auf diese Weise gut 12.000 Straftäter; andere Länder machten es nach. Doch dann wurde die Methode von einer anderen, bis heute gebräuchlichen abgelöst: dem Fingerabdruckverfahren. Das erwies sich als noch zuverlässiger und als weitaus weniger aufwendig. Bertillon, heftigster Gegner der neuen Methode, hatte es selbst bewiesen: 1902 stellte er als erster Fahnder in Europa einen Mörder - mit Hilfe eines Fingerabdrucks.