22. Mai 1986 Der BR blendet sich aus dem Scheibenwischer aus
Dieter Hildebrandts "Scheibenwischer" war scharfzüngig und unbestechlich. 1986 wurde es dem Bayerischen Rundfunk zu viel… Autor: Martin Trauner
22. Mai
Montag, 22. Mai 2017
Autor(in): Martin Trauner
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
(Biiieeep.) Sendeschluss. (Pause) Nein nicht jetzt, sondern früher. - Sendeschluss, heute ein verblasster Mythos. Aber damals, zum Beispiel inmitten der 1980er Jahre: Da war der Sendeschluss noch real. Der verschaffte ein paar Stunden Ruhe in einer aufgeregten Zeit: Kalter Krieg, Atomkraft, Tschernobyl ... Aber irgendwann nach Mitternacht hieß es, zumindest Im Fernsehen: Tagesschau, Nachtgedanken, Nationalhymne und dann: ab ins Bett. - Sendeschluss. Nur noch ein Testbild, musikalisch untermalt von einem 1000 Hertz Testton. Ein beruhigender Sinuston, ein langes Biiiiieeeep. Da wollten nur mehr hartgesottene Nachteulen in die Röhre glotzen, die anderen schalteten den Fernsehapparat aus. Freiwillig.
In die Röhre gucken
Unfreiwillig mussten die Bayern jedoch am 22. Mai 1986 um 21 Uhr in die Röhre schauen. Angekündigt war der "Scheibenwischer", die bekannte Kabarettsendung von und mit Dieter Hildebrandt: Nur, der kam nicht. Vorgezogener Sendeschluss? Damit das Volk mal vor Mitternacht ins Bett geht? - Nicht ganz. Es flackerte nämlich nicht das Testbild mit dem Sinuston über die Bildschirme, nein, es kam dann schon Dieter Hildebrand in die bayerischen Wohnzimmer, aber nicht mit Kabarett, sondern mit "Heiße Ware Swing" - Was war passiert? Nun, dem damaligen Fernsehdirektor Helmut Oeller hatte das Drehbuch vom Scheibenwischer missfallen. Derart, dass er beschloss, der bayerische Rundfunk werde sich nicht an der bundesweiten Ausstrahlung beteiligen.
Noch am selben Abend rufen hunderte Zuschauer beim Fernsehen an, bis die Leitungen überlastet sind. Und einen Tag später witzeln schon die Zeitungen: Was ist der Unterschied zwischen der DDR und Bayern? In der DDR konnte man den Scheibenwischer sehen... In Gaststätten und Theatern zeigt man den ausgefallenen Scheibenwischer, Videokassetten der inkriminierten Sendung werden nach Bayern geschmuggelt. Alle erdenklichen Witze über Nichtausstrahlung und vor allem über Strahlung machen die Runde.
Denn ursprünglich sollte der Scheibenwischer über "Heimat" gehen. Doch knapp einen Monat zuvor war der Reaktor von Tschernobyl explodiert. Ganz Deutschland diskutierte nun über radioaktive Verseuchung. Also änderte der Scheibenwischer spontan das Thema. Statt Heimat: jetzt das Atom. Und ein Sketch von Lisa Fitz erregte die Gemüter: Der verstrahlte Großvater. Der war im Rollstuhl vier Stunden lang im Regen vergessen worden und sie fragt bei der Strahlenschutzkommission nach, ob man ihn als Sondermüll entsorgen müsste. - Das war dann dem Fernsehverantwortlichen doch zu viel und dann setzte eine, na ja, sagen wir mal, um im Humor der Zeit zu bleiben, eine "Kettenreaktion" ein. Wie gesagt, die 1980er Jahre waren eine aufgeregte Zeit.
Sendeschluss ade
Ja und heute? Heute gibt's das natürlich alles längst nicht mehr. - Es gibt keinen Scheibenwischer mehr und vor allem: noch länger gibt es keinen Sendeschluss mehr. Eigentlich Schade.