22. November 1792 Reineke Fuchs erscheint
Aalglatt, hinterhältig und doch immer munter oben auf! Charakter und Beruf verbinden sich zu einem zeitlosen Erfolgsmodell in Goethes "Reineke Fuchs". Am 22. November 1793 ist die böse Fabel erschienen.
22. November
Dienstag, 22. November 2011
Autor(in): Susanne Tölke
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Redaktion: Thomas Morawetz
„Der Ehrliche ist der Dumme“ - so hieß ein populäres Buch der neunziger Jahre. Es beklagte den Verfall der altmodischen Tugenden Ehrlichkeit und Anstand, und die Tatsache, dass derjenige, der seine Steuern zahlt anstatt sie zu hinterziehen, als ausgemachter Trottel gilt, und derjenige, der nicht zum kalkulierten Gedächtnisverlust bereit ist, in der Politik keinen Erfolg haben wird. Die Erkenntnis war sicher richtig - nur besonders neu war sie nicht. Sie ist sozusagen zeitlos, und schon mancher berühmte Dichter hat sie in Worte gekleidet.
Mieser Charakter, aber erfolgreich
Goethe zum Beispiel in seinem Epos „Reineke Fuchs“, das am 22. November 1793 erschien. Er hat die Volksdichtung schon als Kind gekannt, die Fabel selbst stammt aus dem Mittelalter. Reineke Fuchs, Karrierist am Hofe des Löwenkönigs, schafft es immer wieder, auf den Füßen zu landen, obwohl er sich durch sein rücksichtsloses Verhalten viele Feinde geschaffen hat. Sein Geheimnis: Er kennt keine Skrupel. Wo andere im falschen Augenblick zögern, weil ihnen die kriminelle Klasse fehlt, zieht Reineke Fuchs mit öligem Siegerlächeln an ihnen vorbei. Am Schluss liegt ihm das Königreich der Tiere zu Füßen, aber es könnte auch ein Industriekonzern oder eine Bank sein.
„Vor Jahrhunderten hätte ein Dichter dies gesungen? Wie ist das möglich? Der Stoff ist ja von gestern und heut!“ schrieb Goethe in den „Xenien“ und machte sich daran, die Fabel nachzudichten. Im Mittelalter hatten die Mönche Wert darauf gelegt, dass die Intelligenz wichtiger sei als Macht und Einfluss. Sie schilderten deshalb den Fuchs als den Meister, der allen adligen Wappentieren überlegen ist. Mit seinen Tricks überlistet er den starken Bären, den eingebildeten Löwen und zuletzt sogar den gefährlichen Wolf. Bei Goethe besiegt Reineke Fuchs den Wolf nur deshalb, weil er sich nicht an die Regeln des Zweikampfs hält. Er lässt sich scheren und salbt sich ein, um glatter zu sein. Im Kampf ist er unsportlich und wendet verbotene Griffe an. Das Versmaß sind edle Hexameter, der Inhalt ist rohe Gewalt:
Und die Gesellschaft? - Selbst schuld!
„Indessen hatte der Lose zwischen die Schenkel des Gegners die andere Tatze geschoben, bei den empfindlichsten Teilen ergriff er denselben und ruckte, hielt mit beiden den Wolf nun fester und fester, kneipte und zog, da heulte der Wolf und schrie so gewaltig, dass er Blut zu speien begann, es brach ihm vor Schmerzen über und über der Schweiß durch seine Zotten, er löst sich vor Angst, er gab sich verloren.“
Und der Ausgang des Kampfes? Kein Schiedsrichter geht dazwischen, hier ist einfach der der Sieger, dem die besseren Tricks einfallen! Der Hofstaat schwenkt sofort um auf Reinekes Seite, und bei seiner Vereidigung zum höchsten Beamten werden herrliche Reden über die unveräußerlichen Werte der Gesellschaft geschwungen.
Und wieder perlen die Hexameter: „Hochgeehrt ist Reineke nun! Zur Weisheit bekehre sich jeder und meide das Böse, verehre die Tugend! Dieses ist der Sinn des Gesangs, in welchem der Dichter Fabel und Wahrheit gemischt, damit ihr das Böse vom Guten sondern möget und schätzen die Weisheit, damit auch die Käufer des Buchs vom Laufe der Welt sich täglich belehren. Denn so ist es beschaffen, so wird es bleiben, und also endigt sich unser Gedicht von Reinekes Wesen und Taten. Uns verhelfe der Herr zur ewigen Herrlichkeit. Amen.“