26. April 1803 Steinregen in der Normandie
Was für ein Glück! Noch zu seinen Lebzeiten konnte der Forscher Ernst Chladni seine seltsame Theorie beweisen, dass es im All Überreste kosmischer Materie geben müsse. Am 26. April 1803 ging über dem Dorf L'Aigles in der Normandie ein Steinregen nieder.
26. April
Dienstag, 26. April 2011
Autorin: Christiane Neukirch
Sprecher: Andreas Wimberger
Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung
Die Briten sind Kummer gewöhnt. Dass es in ihrem Land ab und zu "Katzen und Hunde" regnet, nehmen sie seit jeher gelassen hin. Anders die Franzosen - oder, genauer: die Bewohner des Dorfes L'Aigle in der Normandie, die am 26. April 1803 mit schweren Niederschlägen konfrontiert werden. Doch das sind auch weitaus härtere Geschosse, die da aus heiterem Mittagshimmel auf sie einhageln.
Das Unwetter beginnt mit einer leuchtenden Feuerkugel, die durch die Luft schießt. Noch im Flug zerbricht sie in mehrere tausend Teile. Flammen und Funken stieben zischend und knatternd durch die Luft. 130 Kilometer weit hören die Menschen das Donnern, Rumpeln und Trommeln, als Brocken vom Himmel auf den Boden fallen und in Dächer einschlagen. Zum Glück wird niemand verletzt.
Doch einer freut sich, als er von dem Ereignis erfährt: Ernst Chladni. Für ihn ist der Steinregen von L'Aigle der Durchbruch zum Erfolg. Chladni ist ein deutscher Forscher. Er hat Jura studiert, doch auch und vor allem faszinieren ihn die Naturgesetze. Er ergründet die Regeln der Akustik, entwirft Musikinstrumente und reist durch Europa, um Vorträge über seine Erkenntnisse zu halten. Aber ganz besonders haben es ihm Meteoriten angetan - Boten aus einer anderen Welt. Dass sie nicht irdischen Ursprungs sind, davon ist er fest überzeugt, anders als seine Zeitgenossen.
Als Chladni auf seinen Vortragsreisen im Jahr 1793 durch Göttingen kommt, lässt er sich die Gelegenheit nicht entgehen, den bekannten Gelehrten Georg Christoph Lichtenberg zu treffen, der ebenfalls über die Grundlagen der Naturlehre forscht. Mit ihm diskutiert er über Feuerkugeln, über deren Erscheinungen Menschen immer wieder berichten. Viele Wissenschaftler schenken den Berichten keinen Glauben. Als 1790 ein Steinregen über das französische Barbotan niedergeht, schreibt der Bürgermeister aus den 300 Zeugenaussagen der Bewohner ein Protokoll zusammen und schickt es nach Paris. Die Reaktion: eine harsche Zurückweisung mit dem Vorwurf, die Gemeinde wolle auf diese Weise Volksmärchen amtlich machen. Lichtenberg zweifelt nicht an der Existenz der Feuerkugeln, wohl aber an Chladnis Annahme, sie hingen mit den Steinregen zusammen und seien Überreste kosmischer Materie - Stücke von anderen Himmelskörpern.
Chladni steht also mit seiner Theorie alleine da - bis zu jenem 26. April 1803. Wieder wird Paris informiert. Doch diesmal liegen dem Bericht Gesteinsproben bei. Man entsendet einen Wissenschaftler, Jean Biot, der ein Gutachten schreiben soll. In mühsamer Kleinarbeit sucht er die Bruchstücke zusammen, mehrere Tausend an der Zahl. Daraus lässt sich errechnen, dass der Brocken, aus dem sie entstanden sind, 37 Kilogramm gewogen haben muss - das Gewicht eines ausgewachsenen Schäferhundrüden. Die Stücke sind von einer dünnen schwarzen Schmelzschicht überzogen; in ihrem Inneren finden sich Körner aus diversen Metallen, Nickel, Eisen - und Chondrit. Eine Materie, die auf der Erde nicht vorkommt. Urmaterie! Damit war Chladnis Theorie von der kosmischen Herkunft endgültig die Tür geöffnet. Er gilt heute als einer der Väter der modernen Meteoritenforschung.
Mit Hilfe des Urgesteins ließ sich noch ein weiteres Rätsel lösen. Das Material erlaubt es uns, die Geburtsstunde unseres Sonnensystems und damit der Erde zu ermitteln: vor 4,5674 Milliarden Jahre. Zum Vergleich: Katzen und Hunde gibt es - grob geschätzt - seit 15.000 Jahren. Die Franzosen von L'Aigle können sich also das traditionsreichere Niederschlagsgut auf die Fahnen schreiben.