28. Oktober 1589 "Werwolf" wird hingerichtet
Werwolf kann man werden. Eine Möglichkeit, den stark gefährdeten Bestand, der sein trauriges Dasein nur noch in Mainstream-Filmen und -Büchern fristet, wieder aufzufrischen. Autorin: Christiane Neukirch
28. Oktober
Mittwoch, 28. Oktober 2015
Autor(in): Christiane Neukirch
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
"Du sehnst dich nach einem freien und geheimnisvollen Leben? Vieles an der menschlichen Gesellschaft erscheint dir verlogen? Dann nutze einen uralten Zauber. Entdecke das geheimnisvolle Tier in dir - werde ein Werwolf!" Dieser Aufruf entstammt nicht etwa einer mittelalterlichen Werbebroschüre für Gestaltwandlerei, sondern der modernen Ratgeberliteratur. Das Handbuch "Werwölfe: wie sie leben, wer sie sind" stammt aus dem Jahr 2010. Werwölfe, so erfahren wir darin, sind keine Hirngespinste der Vergangenheit. Sie leben mitten unter uns.
Einst weltweit verbreitet, Bestand heute stark gefährdet
Angesichts dieser Erkenntnis wissen wir erstaunlich wenig über unsere pelzigen Verwandten. Sie verstehen es ganz gut, als normale Menschen zu erscheinen, wenn sie nicht gerade durch besondere Umstände Wolfsgestalt annehmen. Diese Umstände können sein: Vollmond, die Einnahme von Zaubertrank oder der Verzehr von Menschenfleisch, je nach Typ. Werwölfe gibt es weltweit; doch sehen sie überall ein bisschen anders aus und folgen unterschiedlichen Ritualen. In Japan kann es geschehen, dass man sich einer zierlichen Werfüchsin mit großen Manga-Augen gegenübersieht. Weniger gerne möchte man wohl den Nachfahren des nordischen Fenrir begegnen.
Der "Stüpp"
In Deutschland haben viele Wesen aus der Zauberwelt ihren Wohnort im Rheinland. Nicht nur die Loreley, auch der deutsche Werwolf ist dort heimisch. Seinen Namen, "Stüpp", hat er von einem Bauern namens Peter Stubbe geerbt. Dessen Geschichte ist ein trauriges Beispiel dafür, dass man sich das Werwolfsein nicht unbedingt aussuchen kann. Ein schlechter Ruf genügt, schon wird man dazu gemacht. Peter Stubbe stand in dem Ruf, dreizehn kleine Kinder und zwei schwangere Frauen getötet zu haben.
Angeblich hatte er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und angeblich vollbrachte er die Gräueltaten infolgedessen in Wolfsgestalt. Unter Folter gestand Stubbe und wurde zum Tode verurteilt. Seine Hinrichtung am 28. Oktober 1589 war ein Medienereignis. Illustrierte Flugschriften brachten Berichte mit drastischen Bildern, auch jenseits der Landesgrenzen. Das wiederum löste in Frankreich einen regelrechten Werwolf-Hype aus. Ein Prozess folgte dem nächsten. Erst 1603 stoppte ein umsichtiger Richter die Serie von Hinrichtungen.
Heute birgt das Werwolfdasein keine Gefahr für Leib und Leben mehr. Das Schlimmste, was einem passieren kann, ist, einem Psychiater vorgestellt zu werden. Auf der anderen Seite genießt man als Werwolf aber auch nicht mehr das Ansehen als machtvolles mythisches Wesen. In jedem Wald gibt es Handyempfang und somit potenziell lauernde Smartphonebesitzer, die die Verwandlung filmen und auf Facebook der Lächerlichkeit preisgeben könnten. Die letzten Nischen der Werwölfe sind Bücher und Filme - wo sie als Figuren der Unterhaltungsindustrie ihr Dasein fristen. Das kommt schon fast einem Todesurteil gleich.