30. Januar 1962 Lachepidemie in Tansania
Sie waren nicht betrunken, hatten nichts geraucht, trotzdem konnten am 30. Januar 1962 ein paar afrikanische Schülerinnen nicht mehr aufhören zu lachen. Bald schon lachten ganze Dörfer in Tansania, damals noch: Tanganjika.
30. Januar
Freitag, 30. Januar 2015
Autor(in): Anja Mösing
Sprecher(in): Andreas Wimberger
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Julia Zöller
Einzigartig? Naja, einzigartig sind wir bestimmt schon auch. Also alle. Jeder wenigstens ein bisschen. Aber noch viel mehr ist der Mensch das Gegenteil:
Ein Nachmacher, ein Abgucker und ein echtes Gruppentier, das ist der Mensch!
Er tickt einfach gern gleich - wurscht wie besonders er sich dabei vorkommt.
Das konnten Forscher in hochkomplizierten Studien beweisen und nennen es dort angenehm neutral Soziale Ansteckung.
Kichererbsen im Unterricht
Sollte zum Beispiel jemand gerade stolz drauf sein, zwei Kilo abgenommen zu haben, dann wetten die Forscher, dass dieser Mensch in seiner Umgebung mindestens drei weitere kennt, die vor Kurzem genau das Gleiche geschafft haben. Wer seine Vorliebe fürs Stricken oder für Schach entdeckt hat, oder wer über das Gefühl der Einsamkeit oder Überforderung klagt, der ist mit Sicherheit auch damit nicht allein in seinem Freundes- und Bekanntenkreis.
Er hat sich einfach irgendwo anstecken lassen.
Angeblich überträgt sich Soziale Ansteckung wie ein Virus: von Mensch zu Mensch. Und wie beim echten Virus ist man sich selten bewusst über den Moment der Übertragung. Dafür sorgt die soziale Ansteckung oft für Zusammenhalt.
Trotzdem war es seltsam als in einer Mädchenschule das große Lachen ausbrach. Das war am 30. Januar 1962. Die Schule lag am Viktoriasee im heutigen Tansania, und die ersten drei Kichererbsen wurden ganz einfach aus dem Unterricht geschickt. Seltsamer Weise beruhigten sich die Mädchen aber nicht, ihre Lach-Anfälle kamen immer wieder. Mal für ein paar Minuten, mal für Stunden. Und bald kichert sie nicht nur, sie weinten, schrien, rangen um Luft und kämpften mit Angst und Ohmacht.
Trotzdem muss das Lachen dieser Mädchen unglaublich ansteckend gewesen sein. Nach einigen Tagen waren schon knapp 100 Mitschülerinnen angesteckt. Der Schulleitung wurde es zu bunt. Schließlich konnten die Lehrer die Mädchen ja nicht wieder und wieder aus der Klasse schicken. Sie schlossen die Schule kurzerhand, und die Schülerinnen gingen heim. Immer wieder von Lach-Anfällen gebeutelt kamen sie zu ihren Familien, in oft weit entfernt liegende Dörfer.
So verbreiteten die Mädchen die Lach-Epidemie im ganzen Land.
Vergangenheit weglachen
Mehr als 1000 Menschen waren bald von dieser merkwürdigen Krankheit befallen, die den Erwachsenen einige Sorgen machte. Niemand konnte sagen, warum fast nur Mädchen und junge Frauen betroffen waren, warum sich in ihrem Blut keine Erreger fanden, und warum die Lachanfälle einfach nicht aufhören wollten.
In einigen Regionen hielt sie sich fast ein Jahr! Wilde Gerüchte kursierten, von Lebensmittelvergiftung bis zum Einfluss der Atombombenabwürfe war alles dabei. Nichts war stichhaltig.
Inzwischen haben Soziologen, Psychologen, Mediziner und Politologen, das für sie hochinteressante Phänomen der Lachepidemie erforscht und sie glauben, dass die besondere Situation im Land ausschlaggebend war: Die Menschen in Tansania waren ihre Kolonialmacht erst ein Jahr lang los, und es lag viel Aufbruch, viel Erwartung, viel Unsicherheit kurz: viel Stress in der Luft. Sich einfach vom großen Lachen anstecken zu lassen - auch wenn‘s auf die Dauer weh tat - muss unglaublich befreiend gewesen sein. Versteht jeder, der einmal die Wirkung eines zündenden Witzes in betretener Runde genossen hat.
Ein Hoch auf das Lach-Virus!