4. Mai 1891 Arthur Canon Doyle verübt Mordanschlag auf Sherlock Holmes
Keine Lust mehr, weitere Zeit mit dem Typen zu verbringen – das denkt sich Arthur Canon Doyle und bringt kurzerhand seinen Helden Sherlock Holmes um die Ecke. Doch die Holmes-Fans wollen das nicht hinnehmen. Doyle muss Holmes also widerwillig wiedererwecken. Autor: Simon Demmelhuber
04. Mai
Donnerstag, 04. Mai 2023
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Christian Baumann
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Der Mörder zaudert lange. Dann schlägt er zu. Vorsätzlich, heimtückisch, eiskalt. "Ich hab' die Kreatur erledigt!", jubelt der Killer kurz nach der Tat. Keine Reue, nur wilder Triumph. Arthur Conan Doyle hat gerade den scharfsinnigsten Detektiv der Welt getötet und plädiert auf Notwehr: "Da gab's nur er oder ich! Wäre ich nicht schneller gewesen, hätte der Teufel mich erledigt."
Wie konnte es so weit kommen? Es lief doch wie geschmiert. Zwei Jahre lang stürmen Sherlock Holmes und Dr. Watson von Erfolg zu Erfolg. Das viktorianische England ist besessen von den raffinierten Denkabenteuern, die das Strand Magazine seit 1891 monatlich bringt. In Holmes feiert sich das Empire selbst: Fernschreiber, Telefon, Eisenbahn, Tempo, Tempo, Tempo. Methodik, Verstand, Wissenschaft siegen immer! Rule Britannia, alles ist lösbar, alles beherrschbar.
Kombiniere, kombiniere
Es sind goldene Zeiten für das Strand Magazine. Der Holmes-Hype nährt die Zeitschrift und spendiert üppige Honorare. 50 Pfund, das Jahresgehalt eines Arbeiters, bekommt Doyle pro Geschichte. Zwölf davon muss er jährlich liefern, pünktlich und bitte immer verzwickter, noch schneller, noch greller.
Doyle liefert, doch von Mal zu Mal widerwilliger. Holmes saugt ihn aus, plündert sein Hirn, degradiert ihn zum Schreibhandwerker, zum Schundliteraten. Wo er doch so viel Besseres schaffen könnte: echte Romane, seriöse Bügelfalten- und Großliteratur statt billiger Groschenhäppchen.
Geplanter Abgang
Der Kerl muss weg! Aber wie? Ein Feuerwerksende müsste es sein, etwas Elementares, Gewaltiges, etwas, das ihn für den Überdruss entschädigt und seinen Hass ausbrennt. Bei einem Urlaub in de Schweizer Alpen findet Doyle, was er für den Abgangsknaller sucht. Er stößt auf die Reichenbachfälle im Kanton Bern, sieht, wie das Wasser zornig in die Tiefe schießt und weiß: Ja! Hier! Hier muss es sein. Hier stirbt Holmes, hier reißt ihn sein Erzfeind Moriarty in einen nassen, gurgelnden Tod.
Der ausgelaugte Autor hält Wort: Am 4. Mai 1893 erscheint im Strand Magazine "Das letzte Problem", jene zutiefst infame Geschichte, mit der er Holmes in einem brausenden Felskessel ersäuft.
Der Meisterschnüffler verschwindet spurlos, bleibt ohne Grab und Begräbnis, doch beileibe nicht unbeweint. Tausende verwaister, verzweifelter Fans belagern die Redaktion, 20.000 kündigen ihr Abo, beschimpfen Doyle als Bestie und Monster. In England und Amerika fordern Holmes-Rettungs-Clubs Vergeltung für die Untat, sogar die Mutter des Autors droht, erst wieder mit ihrem Sohn zu reden, wenn er den Versenkten zurückgeholt hat.
Doch weder horrende Honorarangebote noch entzogene Mutterliebe fruchten. Doyle bleibt stur. Drei Jahre hält er durch, verfasst laues Zeug, das keiner liest, drechselt dann eine halbwegs plausible Auferstehungsgeschichte, schreibt noch zwei Romane und an die 30 Geschichten, bevor 1927 das wirklich letzte Abenteuer des klügsten aller Detektive erscheint.
Nur Dr. Watson weiß, wo sein berühmter Freund danach den wohlverdienten Ruhestand genießt. Er hat es uns bis heute nicht verraten.