Kalenderblatt Tauchkugel stößt auf unbekanntes Tiefsee-Leben
In den 1930er-Jahren unternimmt der US-Amerikaner Charles William Beebe im Inneren einer Stahlkugel aufsehenerregende Tiefsee-Expeditionen. Die sogenannte Bathysphäre dringt bis in eine Rekord-Tiefe von knapp 1.000 Metern vor. Beebe berichtet Erstaunliches. Nicht alle werden ihm glauben. Autorin: Prisca Straub
15. August
Donnerstag, 15. August 2024
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Redaktion: Frank Halbach
Am liebsten trifft Charles William Beebe den Schwarzen Drachenfisch. Wenn sich der amerikanische Zoologe vor der Küste Bermudas in seiner Tauchkugel abseilt, erscheint der Tiefseejäger hin und wieder vor dem Bullaugenfenster - reglos im Zwielicht - mit nadelspitzen Fangzähnen, die dolchartig gebogen und so lang sind, dass die geisterhafte Erscheinung ihr Maul nicht schließen kann.
Zusammengerollt in der Bathysphäre
Etliche Tauchversuche hat Beebe bereits unternommen - und jeder Sinkflug bringt den Tropenforscher noch etwas tiefer in die geheimnisvolle Welt des abnehmenden Lichts. Zusammengekrümmt in einer kugelförmigen Druckkammer aus Stahl - auf kaum anderthalb Meter Durchmesser. In seiner sogenannten Bathysphäre hängt Beebe an der riesigen Seilwinde eines Trägerschiffs. Sauerstoff kommt aus der Druckflasche. Von der Decke tropft eisiges Kondenswasser. Mit jedem Tiefenmeter sinkt die Temperatur in der Tauchkugel. Doch Beebe ist wie verzaubert - immer wieder: Durch die drei runden Quarzglasfenster blitzen Schwärme funkelnder Garnelen! Überall schimmert es in Grün und Blau. Denn die Tiefsee ist alles andere als eine lichtlose Welt. Der Forscher diktiert durch seine Sprechmuschel - hoch zum Mutterschiff, Hunderte Meter über ihm: - "Was für ein Sternschnuppenregen! - Ein Unterwasser-Feuerwerk!" Am 15. August 1934 erreicht Charles Beebe seinen persönlichen Tiefenrekord von 923 Metern.
Auf dem Schiffsdeck am anderen Ende der Telefonleitung notieren Mitarbeiterinnen bei jedem Tauchgang jedes Wort. Akribisch. Und weil die eingeschränkte Unterwasser-Sicht für Fotos und Filmaufnahmen kaum ausreicht, entstehen eindrucksvolle Zeichnungen - nur auf Grundlage der Expeditionsprotokolle.
Leuchtende Geschöpfe, durchsichtige Fangzähne
Die Abbildungen, die nach Beebes Beschreibungen entstehen, zeigen höchst bizarre Geschöpfe: transparent oder pechschwarz - mit nahezu schuppenlosen Körpern. Einigen baumeln leuchtende Beuteattrappen am Unterkiefer, manche haben durchsichtige Fangzähne! Andere spucken leuchtende Wolken, die noch nachglühen, wenn sie selbst schon lange verschwunden sind.
Die fantastischen Zeichnungen und Berichte machen Schlagzeilen. Charles Beebe schreibt einen Bestseller nach dem anderen. Bald ist er ein gefragter Redner und berauscht sein Publikum mit Erzählungen aus der unerforschten Tiefe. Manche Lebewesen, die Beebe vor Bermuda beschrieben hat, sind damals tatsächlich noch völlig unbekannt. Andere konnten Fachleute seitdem bestimmen. Und einige können gar nicht zugeordnet werden. Bis heute.
Zum Beispiel die von Beebe selbst so genannte "Bathysphära intacta" - ein wahres Seeungeheuer mit sagenhaften, knapp zwei Metern Körperlänge. Der schwarze Tiefseefisch soll aus nichts weiter bestanden haben als aus einem weit aufgerissenen Maul mit langem Schwanz. Nur hat nach Beebe nie wieder ein Mensch ein solches Exemplar zu Gesicht bekommen. - Einige seiner Sichtungen werden heute sogar mit der Bemerkung geführt: "Existenz zweifelhaft". Doch wer will schon wissen, was Beebe da unten in der Düsternis bei "Sternschnuppenregen" tatsächlich gesehen hat?