Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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19. Januar 1973 David Rosenhan berichtet als falscher Patient aus der Psychiatrie

Wer ist psychisch krank und wer gesund? - Der US-Psychologe David Rosenhan schleuste Kerngesunde in eine geschlossene Klinik ein, um psychiatrische Diagnosen als willkürlich zu entlarven. Doch seine berühmte Studie hat mit großer Wahrscheinlichkeit so nicht stattgefunden. Autorin: Prisca Straub

Stand: 19.01.2023 | Archiv

19.1.1973: David Rosenhan berichtet als falscher Patient aus der Psychiatrie

19 Januar

Mittwoch, 19. Januar 2022

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

"Ich höre Stimmen! Sie sind undeutlich, aber sie sagen: 'leer', 'hohl' und - 'wums'" - "Haben Sie 'wums' gesagt?" - "Ja, genau: 'wums!" - "Äh ..., und sonst?" - "Sonst nichts, Herr Doktor."

So oder so ähnlich sollen sich die Aufnahmegespräche in diversen psychiatrischen Notaufnahmen abgespielt haben. Der Ablauf war immer derselbe. Ein knappes Dutzend Freiwilliger hatte behauptet, seltsame Stimmen zu hören. Doch die Symptome waren schlicht erfunden. Der US-Psychologe David Rosenhan hatte bewusst ein Szenario ausgeheckt, das zu keiner gängigen psychiatrischen Erkrankung passte. Und dennoch: Seine Versuchspersonen landeten ausnahmslos hinter geschlossenen Kliniktüren - im Schnitt für drei Wochen, in einem Fall sogar für fast zwei Monate. Und obwohl Rosenhans Anweisung lautete, sich während der Unterbringung völlig normal zu verhalten, keine Symptome mehr vorzuspielen, mit dem Personal zu kooperieren und freundlich zu den Mitpatienten zu sein - keiner der Scheinpatienten wurde entlarvt. Im Gegenteil - so gut wie ausnahmslos erhielten sie die Diagnose: Schizophrenie.

Das Rosenhan-Experiment - Gesund in kranker Umgebung?

Das jedenfalls behauptete David Rosenhan. Sein Studienbericht erschien am 19. Januar 1973 im Fachmagazin Science und machte den 42-jährigen Psychologieprofessor der Stanford University über Nacht zur großen Nummer: Wie steht es mit der Treffsicherheit psychiatrischer Diagnosen? Sind Psychiater möglicherweise außerstande, zwischen gesund und krank zu unterscheiden?

Für seinen Fachaufsatz "On Being Sane in Insane Places" - "Gesund in kranker Umgebung" - hatte sich Rosenhan übrigens auch selbst in einer Klink vorgestellt. Unter falschem Namen und mit falscher Berufsbezeichnung. Nach neun Tagen stationärer Therapie und einer Fülle von Tabletten, die Rosenhan die Toilette herunterspülte, wurde er entlassen. Die Diagnose: 'Schizophrenie in Remission' - also symptomfrei, aber nicht gesund.

Zahlreiche Ungereimtheiten

Rosenhan war es also gelungen, die Glaubwürdigkeit der Psychiatrie ernsthaft zu erschüttern. Und obwohl die Ergebnisse durchaus kontrovers diskutiert wurden, zweifelte niemand grundsätzlich an seiner Studie. Erst über 40 Jahre später - Rosenhan war bereits gestorben - drängten sich Ungereimtheiten auf. Die allermeisten der damaligen Scheinpatienten konnten nicht zurückverfolgt werden, und was noch überprüfbar war, stellte sich anders dar, als von Rosenhan geschildert. Offenbar war sein bahnbrechender Aufsatz in weiten Teilen erfunden.

Also alles Schwindel? - Zu Rosenhans Lebzeiten gab es übrigens noch ein kurioses Nachspiel zu seinem Experiment: Eine Klinik hatte ihn zur Gegenprobe herausgefordert: Er solle ihnen ruhig ein paar falsche Patienten schicken, man würde die Simulanten leicht entlarven. Rosenhan hatte zugesagt, und in den kommenden Wochen "identifizierte" die Einrichtung etliche mögliche Kandidaten. Doch Rosenhan hatte ihnen keinen einzigen geschickt.


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