11. Juli 1774 Klostergärtner von Andechs erschießt Taglöhner Zankl doch nicht
Als der Klostergärtner in Andechs die gierigen Vögel aus den Weichselbäumen vertreiben will und dafür zum Gewehr greift, sitzt da noch ein anderer im Geäst: Der Tagelöhner Zankl, der heimlich Weichseln nascht - und beinahe von den Kugeln des Gärtners durchsiebt wird. Autor: Simon Demmelhuber
11. Juli
Dienstag, 11. Juli 2023
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Ein warmer Sommer hat die Kirschen auf Hochglanz poliert. Granatrot glühen sie im Laub, so saftgeschwollen, so sonnendrall, dass einem Mund und Augen um die Wette überlaufen. Wie spendabel der Tisch im Grünen gedeckt ist, haben auch die Amseln spitzgekriegt. In schwatzenden Scharen fliegen sie jeden Morgen zum Plündern ein und rupfen die Bäume ratzeputz kahl.
Aber einfach so mir nichts, dir nichts lässt sich der Klostergärtner von Andechs die Weichseln nicht stehlen. Denn als Gott den Menschen auftrug, seinen Weinberg zu hüten, waren die Kirschgärten zweifellos mitgemeint. Und wofür gibt es Vogelflinten, wenn nicht dazu, den dreisten Dieben das Naschen so sauer wie möglich zu machen!
Fangt den Dieb!
Die Logik leuchtet ein. Fest entschlossen, das Feld keinesfalls kampflos zu räumen, zieht der Weichselhüter in die Abwehrschlacht. Und so liegt er, mit Pulver und Blei bestens versehen, auch am 11. Juli 1774 in aller Herrgottsfrüh auf der Lauer. Kaum hat er hinter einer Hecke Deckung genommen, fallen die Amseln wie schwarzer Hagel über die Bäume her.
"Na warts, eich hoif i!" - der Gärtner springt hoch, legt an, drückt ab - PENG! Blätter wirbeln, Vögel stöbern schimpfend auf und mittendrein ein Schrei, der so gar nichts Amselhaftes hat. Es kracht und knackt im Geäst, etwas plumpst schwer zu Boden, etwas Großes, etwas mit Armen und Beinen, das aussieht, wie ein Mensch und keinen Muckser mehr tut.
Verfehlt ...
"Jessas, Maria und Josef! Des is ja der Zankl!". In wilder Panik wirft der Schütze sein Gewehr ins Gras, rennt in den Klosterhof, rumpelt wie angestochen hin und her, plärrt laut in einer Tour: "Um Gott's wuin, i hab den Zankl daschossn"!
Rufe, Schreie, Sandalen patschen, Habite flattern, im Nu ist der kleine Platz voll. Aufgescheuchte Patres, Fratres und Klosterknechte umringen den Gärtner, der Tränen würgt und sich durch nichts beruhigen lässt. Weil er zwischen zwei Schluchzern immer nur "da hint', bei de Kerschbaam" greint, eilt der Pulk in den Garten und wirklich, es stimmt: da liegt der Taglöhner Zankl gstreckterlängs im Gras und rührt sich nicht mehr.
Es braucht a wengerl, bis sich der Prior ein Herz fasst. Dann tappt er auf das Kleiderknäuel zu, beugt sich hinab, merkt, dass der Zankl noch schnauft, winkt den Bader heran. Der findet kein Blut, keine Wunde am ganzen Kerl, reibt ihn kräftig ab, bis sich der Totgeglaubte zurück ins Dasein rappelt.
Zunächst stiert der Zankl bloß dasig in die Runde, stopselt aber schließlich doch nach und nach zusammen, wie ihn die Weichseln heut' Morgen gar so angespitzt hätten, wie er glustig in den Baum gestiegen, wie er danach vom Schuss erschrocken ins Gras purzelt und nichts mehr weiß, bis ihn der Bader durchwalkt.
Da lacht erst der Prior los, dann kudern die Mönche, am End' gackert und gickelt ganz Andechs. Der Himmel über dem Heiligen Berg glänzt wie frisch lackiert, auf dem See blinzeln Sonnenschuppen, die Berge schimmern fernwehblau, und langsam geht auch dem schniefenden Gärtner auf, dass er den Taglöhner Zankl an diesem wunderschönen Julimorgen zum Glück wohl doch nicht umgebracht hat.