2. September 1666 London steht in Flammen
Holzhäuser dicht an dicht gebaut, offene Feuer in den Herden und Kaminen allüberall und dazu nicht mal eine Feuerwehr, falls es in der Stadt irgendwo brennt. Das tut es denn auch und weil niemand sich zunächst so richtig zuständig fühlt, steht London bald weitgehend in Flammen. Autor: Sebastian Kirschner
02. September
Montag, 02. September 2024
Autor(in): Sebastian Kirschner
Sprecher(in): Caroline Ebner
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Manches Übel sieht man kommen - und reagiert doch erst, wenn es zu spät ist. Das gilt langfristig im Großen, wie beim Klimawandel. Und kurzfristig spüren wir es im Kleinen: Die eine Folge der Fernsehserie noch, weil es gerade so spannend ist - selbst wenn wir wissen, dass wir morgens wieder früh raus müssen. Den einen Moment noch in der Sonne genießen, obwohl sich der Sonnenbrand schon mit leichtem Spannen auf der Haut bemerkbar macht. Das eine Bierchen noch, auch wenn klar ist, das letzte ist meist das eine zu viel.
Einer geht noch
Dann klagen wir morgens über die Kopfschmerzen, obwohl wir wussten was kommt. Dann zetern wir leise, dass wir nicht früher nach Schatten oder Sonnencreme gesucht haben. Dann verfluchen wir uns innerlich, dass vor lauter Müdigkeit heute wieder gar nichts klappt. Und gleichzeitig erinnert es manchen an die ach so schlauen Weisheiten der Eltern oder Großeltern: "Hättest du mal lieber…!", "Wer nicht hören will, muss fühlen."
Siehste!
Das stellen auch die Einwohner von London am 2. September 1666 fest. Vielleicht hatte der königliche Hofbäcker vergessen, die Glut im Ofen zu löschen. Vielleicht hatte seine Magd eine Kerze brennen lassen. Jedenfalls breitet sich in der Nacht von Sonntag auf Montag von der Backstube in der Pudding Lane ein Feuer aus, wie es die englische Hauptstadt noch nicht gesehen hat.
Der Bürgermeister spielt das Feuer zunächst herunter. Eine Frau könnte es auspissen, urteilt er lapidar. Doch er wird eines Besseren belehrt: Die meisten der rund 400.000 Einwohner Londons leben damals in eng aneinander gebauten Holzhäusern. Ein Risiko, das der Bürgermeister bislang ignoriert hat, und ein gefundenes Fressen für die Flammen. Eine Feuerwehr gibt es noch nicht. Was kommt, hält Staatssekretär Samuel Pepys damals in seinem Tagebuch fest: "Jeder versuchte, sein Hab und Gut zu retten, alle überließen das Feuer sich selbst. Soweit man sehen konnte, leuchtete die schreckliche, böse, blutrote Flamme." Was er beobachtet, sollte als der Große Brand von London in die Geschichte eingehen.
Die Folgen der Feuersbrunst: Mehr als 13.000 Häuser und fast 90 Kirchen fallen den Flammen zum Opfer, darunter auch die St. Pauls Cathedral, das Wahrzeichen der Stadt. In den Flammen gestorben sind nach offiziellen Angaben zwar weniger als 10 Menschen. Aber nicht mitgezählt sind diejenigen unter den gut 100.000 jetzt Obdachlosen, die den folgenden Winter nicht überleben. Und wie so oft bei Katastrophen machen zügig Verschwörungstheorien die Runde. Die Jesuiten sollen schuld sein. Ein französischer Uhrmacher gesteht denn auch – wahrscheinlich unter Folter – auf Geheiß des Papstes das Feuer gelegt zu haben. Nach seinem Tod am Galgen stellt sich heraus, er war erst zwei Tage nach dem Brand in die Stadt gekommen.
Am Ende war der verheerende Brand nach vier Tagen vorbei. In gewisser Weise hatte er zumindest einen positiven Nebeneffekt: Denn mit dem großen Feuer war auch die Pestepidemie endgültig vorbei, die London seit zwei Jahren heimsuchte.
Wahrscheinlich waren die meisten Ratten und Flöhe, die den Pesterreger verbreitet hatten, den Flammen nicht entkommen. Vielleicht praktisch im Nachhinein, aber kein Grund, mit verschlossenen Augen zu in die Katastrophe zu steuern.