Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. August 2013 Londoner Wolkenkratzer lässt Luxuskarosse schmelzen

Seiner ungewöhnlichen Form wegen wird das 160 Meter hohe Bauwerk im Londoner Bankenviertel "Walkie-Talkie" genannt. Es ist nicht nur ein ungewöhnlicher Blickfang, sondern hat in seinen Anfangstagen auch massive Schäden in seiner Umgebung angerichtet. Schuld war der sogenannte Brennglas-Effekt. Autorin: Prisca Straub

Stand: 29.08.2024 | Archiv

29.08.2013: Londoner Wolkenkratzer lässt Luxuskarosse schmelzen

29 August

Donnerstag, 29. August 2024

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Frank Halbach

Den Fahrer des schwarzen Jaguars beschleicht ein ungutes Gefühl: Was machen all die neugierigen Gaffer rund um seine Luxuskarosse? Neidvolle Blicke ist er ja gewohnt, aber da wird - ungläubig gekichert! Noch ein paar Schritte - und der Anblick ist niederschmetternd: Sein Jaguar! - Erst am Vormittag hatte ihn der Geschäftsmann hier im Londoner Bankenviertel geparkt - und jetzt: total deformiert! Kaum wiederzuerkennen! Der linke Seitenspiegel ist schlaff in sich zusammengesunken, das Armaturenbrett wirft fiebrige Blasen. Auf der Motorhaube schwächelt der silberne Jaguar auf zittrigen Hinterbeinen. Kurzum: Der Wagen sieht aus, … - als wäre er gegrillt worden.

Zwei Stunden wie unter einem Brennglas

Nun, dieser 29. August 2013 ist zwar ein sonniger Tag - doch von brandgefährlichen Außentemperaturen ist in der City of London nichts zu spüren. Und dennoch: Seit Tagen stinkt es in der Häuserschlucht von Nummer 20, Fenchurch Street nach verschmortem Plastik. Im Eingangsbereich mancher Shops sind die Fußmatten verkohlt. Und ein Restaurantbetreiber schwört, einer seiner Strohstühle sei völlig unerwartet in Flammen aufgegangen.

Und gegenüber - da wird gebaut! Ein neues Mega-Hochhaus mit 37 Stockwerken: ein nach oben auskragender, immer breiter werdender Koloss - wegen des breitschultrigen Profils auch "Walkie-Talkie" genannt. Die gekrümmte Fassade ist gerade verglast worden - ganze 160 Meter hoch. Nur: Seitdem bündelt die südliche Glasfront das Sonnenlicht - und reflektiert es in einem besonders ungünstigen Winkel: punktgenau in die Straßenschlucht hinab.
Am Fuße des Wolkenkratzers lebt man nun also für rund zwei Stunden am Tag wie in unter einem Brennglas.
Jetzt kommen Kamerateams. Sie filmen aufplatzenden Straßenbelag und gesprungene Kacheln. Passanten taumeln geblendet durch gleißende Lichtstrahlen. Ein Reporter brät publikumswirksam ein Spiegelei - direkt auf den Eingangsstufen eines Cafés. Das Thermometer zeigt fast 100 Grad Celsius.

Der Architekt: Nichts gelernt

Schon vor Baubeginn war der "Walkie-Talkie"-Wolkenkratzer umstritten: Ein maßloser Entwurf, hieß es damals. Unverhältnismäßig für Londons Skyline! Und jetzt stellt sich noch dazu heraus: Probleme mit der Sonnenreflektion hat sich der Architekt Rafael Viñoly hier nicht zum ersten Mal eingehandelt. Nur wenige Jahre zuvor hatte schon ein anderes Gebäude des US-Amerikaners für ähnliche Schlagzeilen gesorgt: in Las Vegas. Auch dort hatte die gekrümmte Glasfassade eines Luxus-Hotels gebündelte Sonnenstrahlen nach unten geschickt - auf die Terrasse! Am Außenpool war es lebensgefährlich geworden: Einigen Gästen wurden die Haare versengt, andere berichteten von schweren Verbrennungen im Liegestuhl.

In London reagiert die Baufirma umgehend. Mit Sonnenschutz-Lamellen auf der Fassade des brandgefährlichen "Walkie-Talkie". Und sie ersetzt den geschmolzenen Jaguar. - Heute ist das Gebäude eines der bekanntesten Hochhäuser der Welt. In Großbritannien wurde es zum hässlichsten Neubau des Landes gekürt und erhielt den "Carbuncle Cup", den Eiterbeulen-Preis.


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