Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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3. Juli 1929 Erste Versammlung der Men’s Dress Reform Party in London

Kleidung ist nun mal Geschmacksfrage. Nein, denken sich einige findige Londoner und gründen eine Partei. Die will sich dafür einsetzen, dass Männer sich endlich mal locker kleiden dürfen. Viel Politik beinhaltet das Programm der Men’s Dress Reform Party allerdings nicht. Autorin: Ulrike Rückert

Stand: 03.07.2024 | Archiv

03.07.1929: Erste Versammlung der Men’s Dress Reform Party in London

03 Juli

Mittwoch, 03. Juli 2024

Autor(in): Ulrike Rückert

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Buntere und bessere Kleidung braucht der Mann! Weg mit dem düsteren, steifen, öden Zeug!

Mit diesem Programm gründeten ambitionierte Garderobenverbesserer im Sommer 1929 in London die Men’s Dress Reform Party, die Partei zur Reformierung der Männerkleidung, kurz MDRP. Ein Aufruf in der Times appellierte an "Männer und Frauen, alt und jung, reich und arm", sich der Partei anzuschließen.

MDRP - für gut angezogen

Am 3. Juli fand die erste öffentliche Versammlung statt. Rund einhundertfünfzig Gleichgesinnte erschienen. Die Gründer bliesen zum Kampf gegen die "Tyrannei der Krawatte". Überhaupt war der Hals als Hauptkrisengebiet ausgemacht, eingeklemmt von gestärkten Krägen und luftabschnürenden Knöpfen.

Feind Nummer Zwei waren die langen Hosen: grässliche Röhrenapparate und, aus schwerem Wollstoff gemacht, unhygienische Staubfänger. Hüte verursachten Haarausfall. Und weg mit den unförmigen gepolsterten Anzugjacken! Die Herrenoberbekleidung der Zukunft müsse luftig, leicht, bequem und waschbar sein. Man plädierte für offene Hemdkragen und kurze Hosen.

Lotterklamotten führen zu Lotterleben

Ein grundstürzender Vorschlag. "Nach meiner Lebenserfahrung", teilte ein Leserbriefschreiber mit, "führt unkonventionelle Kleidung zu unkonventionellem Benehmen und einem niedrigeren Niveau der Gesellschaft." Und ein Fachblatt für das Herrenschneiderhandwerk warnte: "Wenn Krawatten gelockert und Knöpfe verbannt werden, löst sich die ganze Struktur moderner Kleidung auf, und es ist nicht zu weit hergeholt zu sagen, dass dann auch die Gesellschaft auseinanderfällt."

Die Gründerväter der MDRP waren ältere Herren: Ärzte, ein Schuldirektor, der Dekan der St-Paul’s-Kathedrale und dazu zwei prominente Künstler. Die meisten kamen aus der Lebensreformbewegung, die auch auf dem Kontinent blühte und neben Forderungen nach gesunder Ernährung, Licht, Luft und Sonne einige skurrile Apostel hervorbrachte.

Anscheinend machten sie nie Anstalten zu dem, was Parteien im Allgemeinen tun, nämlich Kandidaten für öffentliche Ämter aufzustellen. Sie betrieben rührige Öffentlichkeitsarbeit. Ortsgruppen gründeten sich. Die geselligen Veranstaltungen der MDRP kamen gut an. Von den Modevorschlägen der Amateurdesigner kann man das nicht sagen: Bauernkittel statt Hemdkragen, seidene Kniebundhosen als Abendanzug, das riss keinen vom Stuhl. Immerhin spielte einmal das Orchester der BBC eine Saison lang statt im Frack in einem Entwurf der MDRP mit ungestärktem Hemd und legerem Sakko.

Das Lieblingsprojekt der Reformer, Shorts zu allen Anlässen, blieb ein unerfüllter Traum. Sogar der Tennisspieler, der 1932 als Erster bei der Meisterschaft in Wimbledon in Shorts antrat, hatte zwei Jahre lang mit sich gerungen, um den nötigen Mut zu fassen.

Zwar sei die Verpackung der unteren männlichen Gliedmaßen in parallelen Röhren nicht die optimale Lösung, gestand eine Zeitschrift zu, "aber es scheint kein großer ästhetischer Vorteil darin zu bestehen, die Röhren am Knie abzuschneiden".

Und so endete die Geschichte der Men’s Dress Reform Party nicht mit einem Paukenschlag. Sie schlief nach ein paar Jahren sachte ein.


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