Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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10. Juli 1962 Ingenieur bei Volvo Nils Bohlin erhält Patent auf Dreipunktgurt

Der Ingenieur Nils Bohlin hatte erkannt, welch außerordentlichen Kräfte bei einem Verkehrsunfall auf den menschlichen Körper wirken können. Und die vorhandenen Sicherheitsgurte waren nicht effizient genug. Also tüftelte Bohlin ein Jahr und präsentierte dann den Dreipunktgurt, der zum Standard wurde. Autorin: Julia Devlin

Stand: 10.07.2024

10.7.1962: Ingenieur bei Volvo Nils Bohlin erhält Patent auf Dreipunktgurt

10 Juli

Mittwoch, 10. Juli 2024

Autor(in): Julia Devlin

Sprecher(in): Irina Wanka

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Autofahren war früher ganz schön gefährlich. Nach dem Krieg, als der Wohlstand stieg, immer mehr und immer schnellere Autos auf den Straßen fuhren, kam es auch zu immer mehr und immer schlimmeren Unfällen. Einen solchen hatte ein Kollege von Gunnar Engellau, dem Geschäftsführer der schwedischen Automarke Volvo. Er war aus seinem Auto geschleudert und dabei schwer verletzt worden - obwohl er einen Sitzgurt getragen hatte. Das brachte Engellau zum Nachdenken: wie könnte man den Sitzgurt so verbessern, dass er tatsächlich vor Tod und Verletzungen schützte? Und er berief den Sicherheitsingenieur Nils Bohlin. Der hatte bei einem großen Flugzeugbauer Schleudersitze für Piloten entwickelt. Klingt erst einmal widersprüchlich: Bei dem einen Job ging es darum, Menschen aus einem Vehikel herauszuwerfen, bei dem anderen, sie am Platz zu behalten. Doch bei beiden ging es um den Schutz des Menschenlebens durch genaues Beobachten der Bewegungsgesetze und das Wissen um menschliche Anatomie.

"Freiheit" oder Sicherheit?

Bohlin brauchte ein Jahr, um einen Dreipunktgurt zu entwickeln, der den Ober- und Unterkörper beim Aufprall sicher schützte und mit einer Hand zu bedienen war. Am 10. Juli 1962 erhielt er dafür das US-Patent.
Doch was uns heute so selbstverständlich scheint, brauchte erstaunlich lange Zeit, um sich durchzusetzen. Und das, obwohl Volvo großzügig die Erfindung auch anderen Autobauern zur freien Verfügung stellte.
Bohlin und seine Mitstreiter gingen sogar auf Tourneen, um die Vorzüge des Dreipunktgurts zu demonstrieren, zeigten an Dummies, was ein Aufprall ohne Sicherungssystem am menschlichen Körper anrichtet, führten Studien durch, die die Unfallstatistiken analysierten, heuerten gar einen Stuntmen an, der sich in einem "Buckel-Volvo" mehrmals überschlug und dann lächelnd aus dem auf dem Dach liegenden Autowrack stieg - unverletzt, dank Dreipunktgurt.
Aber es half nicht viel. Seine ernüchternde Erfahrung fasste Bohlin einmal so zusammen: Die Piloten, mit denen er zuvor gearbeitet hatte, hätten fast alles angelegt, um im Falle eines crashes sicher zu sein. Doch normale Autopassagiere akzeptierten nichts, was ihnen eine Einschränkung ihrer Freiheit bedeutete.

Zum Glück gezwungen

Das änderte sich nur, weil der Gesetzgeber nachhalf. In vielen Ländern wurde seit den Siebziger Jahren das Anschnallen Pflicht. Doch erst als 1984 das Nicht-Anschnallen in Westdeutschland mit 40 Mark geahndet wurde, waren die Gurtmuffel überzeugt: nun schnallten sich hierzulande nicht mehr nur 60, sondern immerhin 90 Prozent der Autofahrer an. Das schlug sich deutlich in der Statistik der Verkehrsunfallopfer nieder. Und allmählich wurde das Tragen des Gurtes nicht nur eine Vorschrift, sondern eine kulturelle Norm.
Nils Bohlin starb 2002. In seinem Nachruf stand zu lesen, dass er mit seinem Dreipunktgurt schätzungsweise über einer Million Menschen das Leben bei Unfällen gerettet hat - in den vier Jahrzehnten seit seiner Erfindung. Eine beeindruckende Bilanz. Und gleichzeitig ein Lehrstück darüber, wie schwierig der Weg von der Erfindung zur Innovation sein kann - auch wenn alles doch so offensichtlich auf der Hand liegt.


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