Kalenderblatt Salvador Dali macht Fanbesuch bei Sigmund Freud
Surrealisten – die mag Freud nicht. Aber der bald berühmteste aller Surrealisten, Salvador Dalí, ist ein absoluter Freud-Fan und verdammt scharf darauf, dem Ahnherrn der surrealistischen Kunst endlich seine Aufwartung zu machen. Lange Zeit klappt es nicht. Dann vermittelt Stefan Zweig ein Treffen. Autor: Simon Demmelhuber
19. Juli
Freitag, 19. Juli 2024
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Caroline Ebner
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Es geht nicht anders. Er muss ihn treffen! Muss erkannt und erhoben werden, gesegnet von ihm, der sein Denken und seine Kunst wie niemand sonst in Bann geschlagen hat. Der junge Salvador Dalí ist besessen von Sigmund Freud und seinen Tauchgängen ins Unbewusste. Alles verdankt er den unerschrockenen Nachtfahrten des Psychoanalytikers. Sie haben ihn ermutigt, den tiefen Kontinent der Träume, die dunkel drängende Kraft der Ängste und Wünsche, des Begehrens und Halluzinierens malerisch fruchtbar zu machen.
Die "Paranoid-Kritischen Methode"
Den Weg ins Über- und Innerwirkliche geht Dalí nicht alleine. In Paris verdichten Künstler in den frühen 1920er Jahren Freuds Ideen zu einer Strömung, die sie Surrealismus nennen. Dalí schließt sich der Gruppe an und entwickelt ein künstlerisches Verfahren, das bewusst herbeigeführte Wahnzustände als Stimulanz und Inspirationsquelle nutzt. Jetzt soll Freud der "Paranoid-Kritischen Methode" die Weihe spenden und ihren Schöpfer als Statthalter im Reich der Künste bestätigen.
Dreimal reist Dalí 1937 dazu nach Wien, umkreist das Wohnhaus seines Übervaters, wird jedoch nicht vorgelassen. Freud ist durch einen Mundhöhlenkrebs geschwächt und weist alle Besucher ab. Erst im Juli 1938 ergibt sich eine neue, vielleicht letzte Chance, den Sterbenden aufzusuchen. Allerdings nicht mehr in Österreich.
Der mittlerweile 82-jährige Freud hat sich vor den Nazis nach London gerettet. Hier lebt inzwischen auch sein enger Freund, der ebenfalls aus Wien geflohene Dichter Stefan Zweig. Der wiederum kennt den Kunstmäzen Edward James, bei dem Salvador Dalí als Gast logiert. Zweig erklärt sich bereit, einen Besuch zu arrangieren und Freud willigt ein.
Eigentlich kann er Surrealisten nicht leiden, aber wenn's dem Zweig so wichtig ist, soll der Maler halt kommen.
Bilder, die einer Analyse wert wären
So findet Dalí, begleitet von Edward und Zweig, am 19. Juli 1938 doch noch Einlass im Tabernakel seiner Obsession. Die so oft herbeigesehnte Begegnung ist schwierig. Freud und sein überdrehter Gast finden keine gemeinsame Sprache. Beide können schlecht Englisch, Zweig vermittelt deutsch-französisch, der Gastgeber ist reserviert, Dalí deklamiert, predigt, quasselt ohne Punkt und Komma auf seinen scheinbar gleichgültigen Mentor ein.
Freud spricht kaum. Freud beobachtet. Er registriert das Fuchteln mit einer Zeitschrift, die Dalís Paranoia-Artikel enthält, registriert die wachsende Not seines Gegenübers, sein habichthaftes Kopfstoßen, die fiebernden Wortkaskaden. Dalí hingegen spürt die kühle Distanz, spürt, wie ihn Freuds musternder, schälender Blick harpuniert, aufbricht und ausweidet. Jetzt bloß nicht Wegducken! Dagegenhalten! Zurückstarren! Sonst äschern dich die Augenblitze ein.
Nach zwei Stunden endet die Audienz. Dalí ist tief enttäuscht. Er wähnt sich durchgefallen, am Boden zertreten. Und irrt gewaltig: "Bislang hielt ich Surrealisten für komplette Narren", schreibt Freud anderntags an Zweig. "Aber der junge Spanier mit seinen treuherzig fanatischen Augen legt mir eine andere Schätzung nahe. Es wäre durchaus interessant, die Entstehung eines seiner Bilder analytisch zu erforschen."