1. April 1937 Samuel Beckett trifft Karl Valentin in München
München hat dem irischen Dichter Samuel Beckett zunächst gar nicht gefallen, als er es 1937 besuchte – bis er Karl Valentin begegnete und auf ihn warten musste. Autor: Simon Demmelhuber
01. April
Montag, 01. April 2019
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Samuel Beckett hat den Blues. Er ist knapp 30, gescheitert an Leben und Kunst, er säuft, hat Todesängste, quält sich mit Schreibblockaden, brilliert als Selbstzerfleischer, hasst Dublin. Im Herbst 1936 ergreift er die Flucht vor seinen Dämonen. Er bereist Deutschland, pilgert von Museum zu Museum, füllt Tagebücher mit kunstfrommen Gedanken und Gesprächen. Doch die Kur misslingt. Nazis, Herpes und ein Furunkel am Hintern verhageln die Wallfahrt. München, wo er im März '37 ankommt, entpuppt sich als Tiefpunkt. Die Stadt ist grässlich, das Geld knapp, die Tour ein Riesendebakel.
Zum Lachen traurig
Aber der Zufall hat noch ein Ass im Ärmel. Er spült Beckett ins Kabarett Benz, wo ein steckerldürrer Komiker mit seiner rundlichen Partnerin auftritt. Wie das Duo strampelt, sich in Spitzfindigkeiten verheddert, im Spalt zwischen Sprache und Wirklichkeit einbricht und bittere Verzweiflung ins Lustige rettet, das ist große Kunst. Diesen Karl Valentin, der zum so Lachen traurig mit dem Entsetzen scherzt und weiß, welche Verwirrung das Reden mit den Dingen anstellt, den muss er kennenlernen, unbedingt!
Die Gelegenheit kommt am 1. April 1937, einen Tag vor Becketts Rückflug nach London. Josef Eichheim, ein Valentin-Spezl, arrangiert die Begegnung. Man trifft sich am Färbergraben 33, wo Valentin im Keller derzeit sein neues Panoptikum aufbaut. Fertig ist noch nichts, die wilde Mischung aus Kuriositäten-, Wachsfiguren-, Grusel- und Lachkabinett soll im Juni öffnen. Der Hausherr empfängt am Kopf einer finsteren Stiege. "S´Elektrische kommt erst", sagt er, knipst seine Taschenlampe an und hält dem verdutzen Beckett einen bepelzten Zahnstocher hin: "Bei der Kält'n braucht's was Warmes".
Warten auf Valentin
Dann geht's los, hinein und hinab in Valentins verschachtelte Unter- und Innenwelt. Bild um Bild fischt das Licht aus dem Dunkel, spießt verstörende Alptraumszenen auf: Hexen werden ausgepeitscht, Henker schnallen einen Mörder aufs Schafott, Kapuzenmänner verhören ein Kind.
Ein paar Schritte weiter tratzen Gespensterulk und Geisterklamauk die Sinne, ein Steg gibt unter den Füßen nach, Wasserleichen grinsen fahl gebläht. Dazwischen hängen und stehen Schaukästen voll dinghaft ausgehärteter Sprachspielereien. Da ist die "ins Korn geworfene Flinte", der "alte Hut" oder "Sah ein Knab ein Röslein stehn" plastisch Gestalt geworden.
Während das Trio im Gänsemarsch durch Korridore und Kammern stolpert, schraubt sich Valentin immer tiefer hinein in ein verschroben wucherndes Selbstgespräch: "So, nach England geht's morgen. Mit'm Flieger. Also, ich tät's nicht. Wie leicht bricht ein Propeller ab, dann ham's den Salat!". Die Suada stockt erst in einem kleinen Saal. Täuschend echte Wachspuppen sitzen da auf Bänken, starren eine leere Leinwand an, warten, dass der Film anfängt. "Nehmen's doch kurz Platz", sagt Valentin. Und weg ist er, verschwunden, lässt seine Gäste ratlos zurück. Es dauert, bis sie begreifen. "Hmmm", kaut Beckett das Rätsel klein: "ein Stück, das nie beginnt, ein Warten, das nur sich selber meint, ein Vorspiel ohne Ende - daraus lässt sich vielleicht etwas machen!"