24. April 1671 Selbstmord à la carte: Koch Vatel stürzt sich in seinen Degen
Er war der Star der französischen Prunk- und Prachtküche zur Zeit des Sonnenkönigs: François Vatel. Diesem Ruhm fühlte sich der Koch verpflichtet – bis in den Tod.
24. April
Freitag, 24. April 2020
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Caroline Ebner
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Wann die Sache kippt? Schwer zu sagen. Vielleicht ganz zuletzt, als das mit den Fischen passiert? Oder schon am Abend zuvor, als der Braten fehlt und das Feuerwerk floppt? Gewiss ist nur eins: Die Ehre ist der Strick, an dem der Teufel François Vatel in die Hölle zerrt.
Ein Magier der Kulinarik
Dass die Schlinge sich zuzieht, ahnt Vatel im Frühjahr 1671 wohl kaum. Der Bauernsohn und einstige Zuckerbäcker hat es weit gebracht. Mit knapp 30 ist er contrôleur général de la bouche des Prinzen von Condé. Verantwortlich für alles, was die fürstliche Tafel betrifft, herrscht Vatel unbeschränkt über Küche und Keller. Er kommandiert ein Heer von Köchen und Gehilfen, organisiert den Einkauf, erstellt Menü- und Arbeitspläne, formt aus dem Durcheinander zahlloser Einzelhantierungen eine geschmeidig schnurrende Genussmaschine auf Schloss Chantilly
Doch nicht der graue Alltag, sondern erst die ganz große Bühne bringt das wahre Genie des François Vatel zum Leuchten. Keiner versteht sich besser auf die Organisation spektakulärer Schauessen und Festlichkeiten. Er ist der unerreichte Magier kulinarischer Extravaganzen, der Generalissimus weithin gerühmter Prunk- und Prachtevents, der Tausendsassa des Staunens. Auf dieses Talent setzt Monsieur le Prince im April 1671 seine ganze Hoffnung. Condé, einer der angesehensten Fürsten Frankreichs, steckt in Schwierigkeiten. Ludwig XIV. misstraut ihm. Ein dreitägiges Fest zu Ehren des Sonnenkönigs soll die Majestät gnädig stimmen und das Glück des Hauses sichern.
Vatel hat zwei Wochen, um sein Meisterstück vorzubereiten. Die Latte liegt hoch: täglich drei opulente Diners für 3000 Gäste, dazu eine endlose Folge exquisiter Lustbarkeiten, Konzerte, Picknicks, Feuerwerke und Wasserspiele gilt es zu stemmen. Als der König mit seinem Hofstaat am Abend des 23. April in Chantilly eintrifft, glaubt sich Vatel bestens gerüstet. Aber der hohe Besuch lockt überzählige Esser an, an zwei Tischen wird das Fleisch knapp, obendrein verschliert dichter Nebel das Feuerwerk.
Vatel ist geknickt, seine Ehre angekratzt. Doch noch ist Zeit, die Scharte auswetzen. Der 24. April 1671 sieht ihn früh auf den Beinen. Vatel wartet ab 4 Uhr morgens auf eine besondere Lieferung. Er hat Einkäufer in alle Häfen der Normandie geschickt, um an diesem Freitag fangfrischen Fisch und Meeresfrüchte aufzutischen. Die georderte Menge ist ungeheuer, die Küste 200 Kilometer entfernt, das Ganze ein gewagtes Spiel! Und Vatel ist drauf und dran, es zu verlieren. Regen hat die Wege aufgeweicht, die Wagen kommen nicht durch. Vatel weiß nicht ein noch aus, zetert kopflos, bejammert die tödliche Kränkung. Um 8 Uhr gibt er die Schlacht verloren, trollt sich wie ein geprügelter Hund.
Wenig später rasselt Karren um Karren im Wirtschaftshof ein. Endlich, die Fische sind da! Aber wo ist Vatel? Man sucht ihn, findet seine Kammer verschlossen, bricht die Tür auf, erblickt ihn vom eigenen Degen durchbohrt. "Alle rühmten seine Ehre und rügten seinen Übereifer", berichtet Madame de Sévigné. "Trotz des Schrecks speisten wir wirklich vorzüglich, betört vom Duft ringsum im Garten erblühter Narzissen".