12. April 1934 Waschbären beginnen mit der Eroberung Europas
In diesem Fall haben die Menschen sich selber ausgetrickst und die Waschbären haben die Nase vorn. Sie kamen nicht freiwillig, aber in weniger als 100 Jahren eroberten sich die Tiere aus Nordamerika mit dem wunderschönen Pelz einen neuen Kontinent: Europa. Und ihr Vormarsch dürfte noch lange nicht beendet sein. Autorin: Anja Mösing
12. April
Mittwoch, 12. April 2023
Autor(in): Anja Mösing
Sprecher(in): Irina Wanka
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Ganz klar, dieser Punkt geht an die Tiere! Aber sowas von!
Einen neuen Kontinent erobern? Ohne dabei Blut zu vergießen?
Keine Aktion, für die wir Menschen uns rühmen könnten. Also: Hut ab!
Okay, zugegeben, Menschen hatten auch hier wieder ihre Hände im Spiel.
Anfangs sogar reichlich. Da waren zuerst die Hände der Jäger, dann die der Händler, also der Pelzhändler und dann die der Züchter. Alle hatten es auf das Fell der Waschbären abgesehen.
"Bereicherung der Fauna"
Das ist aber auch wirklich herrlich flauschig! Und warm, besonders im Winter! Als Mensch kann man da schon mal neidisch werden und auch so ein Fell haben wollen! Vor allem, wenn man auch in den Breitengraden lebt wie die Waschbären selbst. Und in Nord-Europa tun wir das.
Gerade bei Männern, die in ihren neu erfundenen noch unbeheizten Automobilen fröstelten, waren Mäntel aus Waschbären-Pelz schwer in Mode.
Nur Waschbären, die ja kaum größer werden als richtig große Katzen und die vorn ausgestattet sind mit dunklen Knopfaugen, drumherum die typische Maske aus schwarzem Fell und hinten raus mit diesem prächtigen, grau-schwarz geringelten Puschelschwanz, diese hübschen Tiere leben im fernen Nordamerika! Nur in Nordamerika.
Eigentlich. Wenn da nicht diese Sache mit dem hessischen Pelztierzüchter gewesen wäre! Natürlich waren längst Hunderte auf die Idee gekommen, hier in Europa Waschbären zu züchten, um den teuren Transport der Felle aus Übersee zu sparen. Aber selber Breitengrad hin oder her: Pelze von gezüchteten Waschbären waren einfach nicht so dicht und auch nicht so schön, wie die ihrer Artgenossen aus der nordamerikanischen Freiheit.
Und damit leider nicht so wertvoll.
Pelztierzüchter Haag hatte nun die famose Idee, zwei Waschbären-Pärchen zu entlassen. In die hessische Freiheit. Heißt: ganz in seiner Nähe. Und zwar aus "der reinen Freude, unsere Fauna bereichern zu können". So wird der Züchter zitiert. Noch heute läuft einem das Herz über, bei so viel Tierliebe!
Der Beginn der Eroberung
Am Vormittag des 12. April 1934 brachten Forstarbeiter tatsächlich zwei Holzkisten mit Haags gespendeten Waschbären ans Ufer des hessischen Edersees und öffneten sie unter Aufsicht des örtlichen Revierförsters. Allerdings ohne amtliche Genehmigung aus Berlin. Der Grund für die Eile: eine der Waschbärinnen war trächtig und sollte ihre Jungen in Freiheit bekommen. Aber die Genehmigung kam später nach, ging also alles klar.
Nur wollten die Freigelassenen stundenlang nicht aus ihren Kisten heraus.
Erst am nächsten Morgen waren die Kisten leer: die Waschbären hatten auf kleinen Pfoten mit der Eroberung des europäischen Kontinents begonnen. Und bald kamen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs aus Zoos und anderen Pelzzüchtungen noch andere Waschbären frei, so dass allen Nachkommen unterschiedlichste Partner zur Auswahl standen.
Inzwischen wird die Zahl der pelzigen Eroberer allein in Deutschland auf mehrere Hunderttausend geschätzt. In der EU gelten sie quasi als Plage. Aber hey: die Waschbären, die können sich in dieser Geschichte wirklich ihre Pfoten in Unschuld waschen!