Johnathan Rado - For Who The Bell Tolls

Nach zehn Jahren meldet sich Jonathan Rado zurück, der mit dem Duo Foxygen bekannt geworden ist. Mit „For Who The Bell Tolls“ läutet er die Glocken für zwei Künstlerfreunde, deren Tod er auf dem Album verarbeitet. Schon mit Foxygen ließ Rado den Glampop der 70er wieder aufleben und sorgte danach als Produzent bei Indiebands wie den Lemon Twigs für Retrocharm. Auch auf „For Who The Bell Tolls“ liegt Glampop-Glitzer. Die Songs takelt er mit Chören, Bläsern und Streichern auf. Das große Besteck. Doch der Pomp kann nicht drüber hinwegtäuschen, dass das Songwriting schwach ist. Die Lieder sind monoton und nach zehn Jahren hätte man mit mehr Ideen rechnen können. (5 Punkte)

V.A. Moping In Style: A Tribute To Adam Green

Es klingt viel besser, wenn Jonathan Rado andere Songwriter interpretiert. Rado ist einer von vielen Künstlern, die auf dem neuen Adam Green Tribute Sampler dessen Lieder covern. Adam Green ist bis heute eine der wichtigsten und schillerndsten Figuren der New Yorker Antifolk-Szene. Ob als eine Hälfte der Moldy Peaches oder später solo, er war die erfrischende Note, die der ernste Folk gebraucht hatte. 26 Freunde und Wegbegleiter covern seine besten Lieder. Beim Nullerjahre-Indieklassentreffen sind dabei: Devendra Banhart, Jeffrey Lewis, Regina Spektor, Pete Doherty und The Libertines, Turner Cody, Jenny Lewis, Ben Kweller und viele mehr. Die Bandbreite der Covers ist groß und es ist schön, all diese Stimmen zu hören. Zum Beispiel bei der tänzelnden Country Ballade von Father John Misty, Jeffrey Lewis interpretiert ganz reduziert und minimalistisch auf der Klampfe. Kyp Malone von TV on The Radio geht es dagegen elektronischer an und die Libertines singen „Jessica“ als Art Kneipenchor.  Und immer wieder die wortwitzigen, bildreichen Geschichten von Adam Green. Nicht alle 26 Songs sind gleich gelungen, aber es gibt etliche Highlights. (8 Punkte)

Peter Gabriel – i/o

21 Jahre hat Peter Gabriel für dieses Album gebraucht. Eigentlich hätte es schon 2004 erscheinen sollen. Aber er dokterte immer wieder an den Songs. Außerdem hat er etliche Künstlerfreunde an dem Album mitarbeiten lassen. Darunter: Brian Eno, Aiweiwei und Nick Cave. I/O steht für Input und Output. Io ist aber auch der Name eines Jupitermonds. Das passt, denn in den vergangenen zwölf Monaten hat Peter Gabriel zu jedem Vollmond einen neuen Song veröffentlicht - in einer Tag- und Nachtversion. Jetzt erscheint der komplette musikalische Mondkalender. Die Bright und Dark-Mixes unterscheiden sich aber nur marginal.  Der 73-jährige klingt dabei weder altbacken noch rückwärtsgewandt. Ob bei Piano-Balladen, elegischen Hymnen oder bei Pophits mit dem typischen Sledgehammer-Funk: i/o macht auf guten Boxen richtig Spaß. Bei Peter Gabriel, der auch immer als Aktivist für die gute Sache einstand, sind natürlich auch die Themen wichtig. Er setzt sich mit Trauer, Tod, Terror, Überwachungsstaat und religiösem Fanatismus auseinander und bleibt doch Optimist. Der Mensch sei zwar im Vergleich zur großen Welt oder dem Universium nur ein Sandkorn. Aber auch beim kleinsten Sandkorn im Getriebe knirscht es. Das ist seine Message gegen Politikverdrossenheit. Der Einzelne kann etwas bewegen. (8 Punkte)

Harp - Albion

Tim Smith war früher Sänger und Songwriter der texanischen Indiefolkband Midlake. Ihre Alben waren eher eine Andacht: Mittelalterliche Mystik traf auch ästhetische Askese. Franz von Assisi hätte wohl Midlake gehört. Nun hat Tim Smith mit seiner Frau das neue Projekt Harp gegründet. Der Gesang von Tim Smith ist unverkennbar und eindringlich. Deswegen erinnert Harp noch so stark an seine frühere Band. „Albion“ klingt düster und sakral. Auch diesmal finden sich wieder etliche Bezüge zur mittelalterlichen Sagenwelt. (7 Punkte)

Hochzeitskapelle + Japanese Friends – The Orchestra In The Sky

Die Münchner Hochzeitskapelle zusammen mit ihren Japanese Friends. Markus Acher – bekannt auch als Frontmann von The Notwist – pflegt seit vielen Jahren Freundschaften und den musikalischen Austausch mit japanischen Musikern. Beispielsweise mit dem Projekt Spirit Fest. Vor einiger Zeit organsiert Acher für die Hochzeitskapelle eine Musikreise nach Japan. Mit Sousafon, Posaune, Geige und Banjo im Gepäck spielen sie in Tokyo und Kobe Sessions mit japanischen Underground-Musikern. Diese Aufnahmen erscheinen jetzt auf einer Doppel-LP. Die Lieder dieser bayerisch-japanischen Musikaustauschs sind so vielseitig wie die japanischen Freunde der Band. Vom traditionellen japanischen Folksong über Brassmusik zum rumpelnden Trauermarsch, dann wieder westernlastige Banjo-Parts und erhabene Posaunenmelodien. Und immer wieder der anmutende japanische Gesang. Das ist große Kunst und gleichzeitig die Dokumentation eines besonderen Kulturprojekts. Der Name betont es: Hier spielen Freunde zusammen. Wir spüren diese Magie der Sessions – das gegenseitige Zuhören und aufeinander Eingehen. Die Aufnahmen sind sehr berührend. Wer die Hochzeitskapelle live sehen will: Nächstes Wochenende führen sie beim Alien Disko Festival die große Parade, den Musik-Umzug zum Münchner Volkstheater an. Der Zündfunk präsentiert die Alien Disko.  (9 Punkte)

Rogér Fakhr – East Of Any Place

Es ist 2021. 45 Jahre nachdem Rogér Fakhr in seinem vom Bürgerkrieg gebeutelten Heimatland Libanon ein Album auf Kassette aufgenommen hat, veröffentlicht das Berliner Label Habibi Funk diesen verloren geglaubten Schatz neu. Diese Lost Tapes und Folkevergreens begeistern uns sofort und Fakhr wird prompt Album der Woche. Jetzt erscheinen überraschend noch weitere alte Aufnahmen. Sie schicken uns wieder zurück in die aufwühlende Zeit im Libanon der 70er Jahre.  „East Of Any Place“ ist erst eingängig, gegen Ende immer psychedelischer. Hier hören wir die Unentschiedenheit des damals jungen Musikers deutlich. Der Sound des Westens zieht ihn schon an. In Drown To My Bones klingt neben Folk auch Blues durch. Drinking Tea könnte ein Beatles-Song sein. Gleichzeitig sind Laute und Flöte zu hören, die stellvertretend für den Sound seiner Heimat stehen. (7 Punkte)

Plastikman – Sheet One (30th Anniversary)

1993, also vor 30 Jahren, erscheint wiederum eine prägende Techno Platte: Sheet One von Plastikman. Plastikman aka Richie Hawtin war eine der prägenden Figuren der elektronischen Musik: Erst mit Acid-House, später mit Acid Techno. Strukturell stark am Techno angelehnt, aber die Melodien entstanden nahezu ausschließlich am Roland 303 Synthesizer. Hawtin galt als der Jimi Hendrix am Gerät, weil er mit so vielen Effekten spielte. Nun erhält das Album mit einer Remastered-Ausgabe ein Update. (ohne Wertung)

Shkoon – Masrahiya

Wie Roger Fakhr hat der Bürgerkrieg im eigenen Land auch den nächsten Künstler aus der Heimat vertrieben. Ameen ist allerdings aus seiner Syrien geflohen. Ameen landet in Hamburg und lernt dort durch Zufall Thorben kennen. Einen Elektroproduzenten und DJ. Dann geht’s schnell: Die beiden beginnen ihre beiden Welten miteinander musikalisch zu mischen und nennen ihr Projekt Shkoon – übersetzt: „Was“. Ameen singt arabische Texte, orientalische Melodien auf abendländische Elektrobeats. Völkerverständigung im Club. Die zwei Klangwelten stehen hier ebenbürtig nebeneinander. In die Mischung aus Deephouse, Downbeat, Dub und Trap weben sie auch Klavier, Percussions, Oud oder Geige ein. Der Sound erhält dadurch Wärme.
Die Fluchtgeschichte seines Bandkollegen ist für Producer Torben Beeken eine Aufforderung auf die Lage der Kriegsgeflüchteten aufmerksam zu machen. Bei CNL erzählt er: „Auch wenn ich diese Erfahrungen nicht gemacht habe, kann ich doch Awareness erzeugen. Gerade weil ich ein privilegierter, weißer Mann bin, kann ich Botschaften setzen“. Diese Botschaft der Völkerverständigung tragen Shkoon in die Welt. (7,5 Punkte)

Froid Dub – Synch Unity

Die beiden Franzosen Francois und Stephane sind alte Schulfreunde und betreiben mittlerweile ein gemeinsames Plattenlabel in Paris. Auf„Synch Unity“ mischen sie wieder Lofi-Grooves mit Wave und Dubmusik in Zeitlupen-Geschwindigkeit. (7,8 Punkte)

Violent Femmes– Violent Femmes (40th Anniversary)

Gerade erscheinen noch neue Platten, aber die Reissue-Welle zum Weihnachtsgeschäft geht schon los. Vor 40 Jahren ist das Debüt von Violent Femmes erschienen. Mit Hits wie „Blister in the sun“ begründet das US-Trio den Folk-Punk. 40 Jahre später erscheint nun eine Jubiläumsausgabe. Parallel gibt’s auch alte Demoaufnahmen – wie von „Please Do Not Go“. Im Frühjahr soll auch eine große Violent Femmes Box mit Raritäten und Liveaufnahmen erscheinen. (ohne Wertung)