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Kalifornische Melancholie Aimee Mann zum Fünfzigsten

Von: Klaus Walter

Stand: 07.09.2010 | Archiv

Aimee Mann | Bild: picture-alliance/dpa

Das musikalische Fach der Aimee Mann ist die gepflegte Melancholie derer, die schon was gesehen haben vom Leben. Und nicht nur die schönen Seiten. Davon erzählen ihre Songs und es ist sicher kein Zufall, dass diese Songs immer wieder in Hollywoodfilmen auftauchen. 1999 läßt sich der Regisseur Paul Thomas Anderson von Aimees Songs zu seinem Episodenfilm "Magnolia" inspirieren. Das Resultat: ein Blockbuster im Kino und der Durchbruch für Aimee Mann im reifen Pop-Alter von 39 Jahren.

Ohne eine gewisse Wehmut kommt kaum einer ihrer Songs daher. Das gilt auch für die späteren Alben von Aimee Mann. Vor allem "The Forgotten Arm" von 2005 hat wieder diese filmischen Qualitäten. Erzählt wird die Geschichte von John und Caroline, eine  Liebesgeschichte, aber keine allzu glückliche, wie Aimee Mann erklärt: "John ist ein drogenabhängiger Vietnamveteran und Boxer, Caroline will raus aus dem gottverlassenen Nest im Süden, in dem sie lebt. Sie hauen gemeinsam ab und treiben sich in einer Spielerstadt wie Reno oder Vegas rum, wo schließlich ihre Beziehung in die Brüche geht."

"Dear John" ist der Titel eines Songs auf  "The Forgotten Arm". Ein Briefanfang. Im Englischen ist der Dear John-Letter ein stehender Begriff. So bezeichnet man einen Brief, den eine Frau an ihren Mann schreibt. Der Mann ist im Krieg an irgendeinem gottverlassenen Fleck dieser Erde, die Frau ist zu Hause geblieben, vielleicht mit dem Kind, den Kindern? Und wenn der Mann Wochen und Monate und Jahre weg ist, weit weg, dann wächst die Sehnsucht. Und nicht nur die Sehnsucht, auch die Spürsucht, gewissermaßen, also die Sehnsucht nach einem anderen Körper. Und wenn die Frau dieser Sehnsucht nachgeht, dann hat sie meist ein schlechtes Gewissen. Dann schreibt sie ihrem Mann einen Dear John-Letter. Sie beruhigt ihn – und ihr eigenes schlechtes Gewissen. Sie schreibt ihm, dass zu Hause alles okay ist und dass sie Sehnsucht ihm hat, nach ihrem Dear John.

Von so einem Dear John-Letter singen 1981 die Au Pairs, eine englische Post Punk Band. Das sind Altersgenossinnen von Aimee Mann, aber doch kulturell, musikalisch und eventuell auch geschlechterpolitisch ganz woanders als die Kalifornierin Aimee Mann. "Hier kommt ein Brief, der dir guttun soll" heißt es bei den Au Pairs: This is a letter to make you feel better. Einen solchen "Dear John Letter" könnte es auch in der Geschichte von John und Caroline gegeben haben, der Geschichte einer Liebe, die zu Bruch geht. Diese Geschichte erzählt Aimee Mann auf dem Album "The Forgotten Arm". Produziert wurde das Album von John Henry, Spezialist für einen abgehangenen, organischen Sound. Wäre der Sound eine Hose, man würde ihn wohl vintage nennen. Qualitätshandwerk im Stil der guten alten Zeit. Oder, mit den Worten von Aimee Mann: "Mott The Hoople trifft auf Alternative Country" – so hat sich Aimee Mann den Sound für dieses Album vorgestellt.

Warum ausgerechnet Mott The Hoople? Diese halbwegs vergessene englische Band um Ian Hunter, in den Siebzigern unterwegs in der Grauzone zwischen Glamrock und Pubrock? Aimee Mann erinnert sich:

"Ich hatte diese Band noch gar nicht so oft gehört, aber ich weiß noch genau, dass ich als junge Mädchen eine Einladung zu einem ihrer Konzerte hatte. Meine Eltern ließen mich damals nicht hingehen, weil an diesem Tag ein Familientreffen stattfand."

Aimee Mann

Der große Hit von Mott The Hoople heißt 1972 "All the young dudes", eine der Hymnen des Glamrock, geschrieben von David Bowie. 1972, da ist Aimee Mann gerade an der Schwelle zum Teenager und da ist man ja besonders empfänglich für die Musik, die da im Radio läuft, und besonders für Songs, die dieses furchtbar komplizierte und oft so wahnsinnig deprimierende Leben auf einen einfachen Nenner bringen. Und auf einen traurigen Nenner. Ein Song, der all das leistet und der in Aimees Teenagerjahren besonders oft im amerikanischen Radio läuft, den sollte sie später selbst singen. Und er sollte dann auch wieder ziemlich oft im Radio laufen.

"Ein klassischer Trennungsschmerzsong im Gewand einer mathematischen Reflexion."

So beschreibt der Kritiker Jens Balzer diesen amerikanischen Evergreen.

"Eins ist die einsamste Nummer. Eins ist nur eins. Eins kann man nicht teilen. Auch die Zwei kann eine sehr einsame Nummer sein. Zwei ist die einsamste Nummer, abgesehen von der Eins. Seit du gingst, ist mein Leben entzwei."

Übersetzung von Jens Balzer

Als Aimee Mann 1999 diese Zeilen mit dem ihr eigenen Schmelz in der Stimme singt, da sind nicht wenige Kinobesucher zu Tränen gerührt. "One", das Lied von der einsamsten Nummer ist nämlich so eine Art musikalisches Leitmotiv von "Magnolia", dem Spielfilm des amerikanischen Regisseurs Paul Thomas Anderson aus dem Jahr 1999. Er erzählt verschiedene Episoden aus dem Leben von ganz unterschiedlichen Menschen an einem einzigen Tag im kalifornischen San Fernando Valley. Das Drehbuch ist inspiriert  von den Songs von Aimee Mann, und die hat dann auch prompt einige Songs zum Soundtrack beigesteuert.

Der große Erfolg von "One" verdankt sich allerdings nicht nur dem Erfolg des Films, sondern auch dem Wiedererkennungseffekt. Schließlich läuft das Lied von der einsamsten Nummer schon seit rund 40 Jahren im amerikanischen Radio. Die Band Three Dog Night macht das Lied von der einsamsten Nummer 1970 zum ersten Mal zum Hit, diese Version läuft bis heute in den Classic Rock Radios dieser Erde. Dass der Song Filmqualitäten hat, das fällt 1998 den Machern von "Akte X" auf. Die Band Filter verpackt "One" in den mehr oder weniger zeitgemäßten Crossover-Sound.

Immer wenn das Lied von der einsamsten Nummer in Vergessenheit zu geraten droht, erinnert sich irgendjemand an die einsame Eins. Im Sommer 2010 waren das Alva Noto und Blixa Bargeld. Alva Noto ist das Ingenieurspseudonym des Chemnitzer Künstlers und Musikers Carsten Nicolai; Blixa Bargeld ist seit dreißig Jahren Sänger der Einstürzenden Neubauten, zusammen sind sie anbb und der Kritiker Jens Balzer ist hingerissen von ihrer Neubearbeitung von "One":

"Über einem einsam vor sich hin piependen Takt, nur gelegentlich von einem leisen schrillen Störton umrauscht, wird der Text halb singend, halb sprechend, mit einem bis zur Erschlaffung verzweifelten deutschen Akzent vorgetragen: Als würde hier jemand versuchen, im Klang der mit ihm musizierenden Maschine zu verschwinden. Doch der Klang ist zu kalt und zu karg, am Ende wird das Subjekt nur auf sich selbst zurückgeworfen."

Jens Balzer

Anbb haben sich mit den Mitteln des 21.Jahrhunderts an diesen ziemlich einzigartigen Song des wunderbaren Harry Nilsson herangemacht. Eine gelungene Adaption, findet der Kritiker Balzer:

"Nilsson selbst hat das Lied im gedämpften, gleichwohl barock ausgeschmückten Orchestersound der Epoche interpretiert, um in den letzten Takten in ein befremdliches Winseln zu fallen. In der Cover-Version von Aimee Mann wurde 'One' dann zuletzt zu einer gewöhnlichen Country-Pop-Ballade gestutzt."

Jens Balzer

Nun gut, gewöhnliche Country-Pop-Ballade ist vielleicht ein bisschen hart, aber man tut Aimee Mann sicher nicht Unrecht, wenn man ihre Musik als massenkompatibel bezeichnet. Das muss ja nicht immer gleich eine Beleidigung sein. Auch die Beatles wurden ja von den Massen geliebt. Apropos Beatles: Auch an Aimee Mann sind die Beatles nicht vorbeigegangen. Und auch diese Begegnung endete dann im Kino. "I am Sam" heißt das Scheidungsdrama von 2001, die Hauptrollen spielen Michelle Pfeifer und Sean Penn. Der Oscarpreisträger Sean Penn war mal der Ehemann von Madonna und er ist bis heute der Schwager von Aimee Mann. Die ist nämlich seit 1997 mit dem Sänger Michael Penn verheiratet, einem Bruder von Sean Penn.

In so einer musikalischen Ehe wird dann ja auch gerne mal gemeinsam gesungen. Und was eignet sich besser zum gemeinsamen singen zu zweit als ein Beatles-Lied über das Leben zu zweit? Gemeinsam singen Aimee Mann und Michael Penn den Beatles-Song "Two of us", für den Soundtrack zum Hollywoodfilm "I am Sam". Eine echte Familienaffäre: Sam, die Hauptfigur denkt und fühlt sein ganzes Leben quasi in den Songs der Beatles, diese Songs spielen dann auch die Hauptrolle in "I am Sam". Den Sam wiederum spielt Sean Penn, sein Bruder Michael Penn singt "Two of us", den Beatles-Song über die Zweisamkeit, mit seiner Gattin, Aimee Mann eben. Und wie es sich für eine richtige amerikanische Familie gehört, wird auch im Hause Mann & Penn das Weihnachtsfest gefeiert, mit Weihnachtsliedern, versteht sich.

"Kitsch zu Weihnachten ist legitim", sagt Aimee Mann und nimmt 2006 gleich ein ganzes Album mit Weihnachtsliedern auf, komplett mit allem Kitsch, der dazugehört. Und mit dem Wissen um den Kitsch. Und so erklingen auf dem Weihnachtsalbum "One More Drifter In The Snow" Glöckchen und Engelschöre, ein schmeichelndes Xylophon und hawaianisch angehauchte Gitarren. In einem Interview wurde Aimee Mann gefragt, wann sie die Platte aufgenommen habe:

"Ende Mai, Anfang Juni in Los Angeles. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, aber es war wirklich wunderbar, im Sommer Weihnachtslieder zu spielen. In Los Angeles, wo ich lebe, schneit es sowieso nie, und im Dezember ist es nicht viel kälter als im Mai. Sich in einem dunklen Studio weihnachtlich zu fühlen ist also gar nicht so schwer. Ich fand es sogar so entspannt, dass ich versucht habe, meine Freunde zu überreden, künftig im Sommer Weihnachten zu feiern. Das wäre doch ideal, weil es den Druck, der sonst auf den Feiertagen liegt, wegnähme."

Aimee Mann

In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag und frohe Weihnachten, Aimee Mann!


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