Bayern 2 - Nachtmix


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Wühlen im Ego in 3D und Stereo Peter Gabriel

Zum 60. Geburtstag des Popmusikers und Multimedia-Künstlers Peter Gabriel blickt das Nachtmix-Playback zurück auf ein Leben zwischen Pop, Politik und Performance.

Von: Noe Noack

Stand: 12.02.2010 | Archiv

Peter Gabriel, 2012 | Bild: picture-alliance/dpa

Peter Gabriel feierte am 13. Februar 2010 seinen 60. Geburtstag. Der Sänger, Komponist, Multimediakünstler, Labelchef und Menschenrechtsaktivist steckt voller Tatendrang und beschenkt sich selbst mit seinem neuen Album Scratch my Back voller Coverversionen. Im März 2010 geht er wieder auf Tour. Diesmal mit einem Orchester.

Nicht die orchestrale, sondern die Originalversion haben wir im Ohr und im Kopf, wenn wir an seinen Welthit "Sledgehammer" denken, gespickt mit witzigen, sexuellen Anspielungen vom mächtigen Hit-Album So aus dem Jahre 1986. "Sledgehammer" war vielleicht der größte audiovisuelle Geniestreich in der bislang über 40 Jahre andauernden Karriere von Peter Gabriel. Ohne Zweifel war das Video zu "Sledgehammer" bahnbrechend. Mit neuen Animationstricks und Spezialeffekten wurden da Obst-Männchen und Gemälde zum Leben erweckt.

Das Video gewann zahlreiche Preise und setzte neue Standards für die Musikindustrie. Und "Sledgehammer" zeigt, dass für Peter Gabriel die visuelle Umsetzung, die Inszenierung seiner Kunst immer genau so wichtig war wie das Schreiben von Songs, das Komponieren von Musik und das Experimentieren mit Sounds. Heute - fast 25 Jahre nach "Sledgehammer" - beklagt sich Peter Gabriel in Interviews über die "Trivialisierung unserer Kultur". Für Innovationen und Experimente sei heute kein Platz mehr in den Massenmedien. Popkultur werde auf den kleinsten, gemeinsamen Nenner reduziert. Die Popmusik habe die Kraft zur gesellschaftlichen Veränderung verloren. An ihre Stelle könnte aber das Internet treten, weil es noch ein völlig demokratisches Medium sei, an dessen Entwicklung jeder teilhaben kann. Nicht das Netz diktiere die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft diktiere das Netz, so Peter Gabriel.

Peter Gabriel in jungen Jahren

Immer neugierig, immer auf der Suche nach sich selbst und einer kreativen Herausforderung, das ist Peter Gabriel noch immer und das war er schon als Teenager im Elite-Internat. Im Frühjahr 1967 wusste der 17-jährige Schüler erstmals, wonach er gesucht hatte, als er Otis Redding, begleitet von Booker T&The MG’s live im Ram Jam Club in Brixton/London erlebte. Black American Soul - das war sein Initial-Zündung. Nach diesem Konzert beschloss Peter Brian Gabriel aus Chobham in der Grafschaft Surrey, Musiker zu werden. Und er gründete mit seinen Mitschülern Tony Banks, Anthony Phillips, Mike Rutherford und Chris Stewart die Band "Genesis."

Mit ihrem Progressiv-Rock sorgten Genesis vor allem live für Aufsehen. Denn Peter Gabriel trat in zahlreichen bizarren Kostümen auf, mal als Master of Ceremony im Stile eines Schamanen mit Fuchskopf oder Bärenkostüm, mal als Blume oder Mann in Pantoffeln, der die Songs mit sarkastischen Geschichten und Traumsequenzen einleitete. Mit dem Album "The Lamb Lies Down On Broadway" gingen Genesis auf Welttournee. Zwischen Peter Gabriel und dem Rest der Band kam es während dieser Tour mehrfach zu Streit wegen unterschiedlicher, musikalischer Auffassungen. Nach dem letzten Konzert der "Lamb"-Tour verließ Peter Gabriel die Band. Schlagzeuger Phil Collins übernahm seinen Job als Frontmann. Peter Gabriel begründete seine Entscheidung auch mit Eheproblemen und der mit Komplikationen verlaufenden Geburt seiner Tochter. Diese Zeit verarbeitete Peter Gabriel auf seinem ersten Solo-Album, das 1977 erschien. Dabei konnte er mit "Solsbury Hill" seinen ersten Solo-Hit landen.

Die Demos zu seinem ersten Solo-Album hatte Peter Gabriel mit seinen ehemaligen Genesis-Kollegen Phil Collins, Mike Rutherford und Anthony Phillips aufgenommen. Rückblickend sagt Peter Gabriel, der Friede unter den alten Bandmitgliedern sei deshalb bald wieder eingekehrt, weil alle gute Songschreiber waren und das ohne Neid akzeptierten. Damals allerdings, nach dem Ausstieg bei Genesis wollte Peter Gabriel zunächst ganz mit der Musik aufhören. Er versuchte, seine Psyche zu erforschen, machte Therapien und Yoga, baute Gemüse an und beschäftigte sich mit der New Age Bewegung. Als düstere, experimentelle Nabelschau geriet auch Peter Gabriels Zweitling, den er 1978 mit dem King Crimson-Gitarristen Robert Fripp aufnahm. Auf seinem dritten Solo-Album gab sich Peter Gabriel 1980 wieder luftiger, zugänglicher und poppiger und landete prompt wieder Hits wie "Games without frontiers". Hier wagte sich Gabriel an völlig neue Aufnahmemethoden, wie zum Beispiel die mächtig anschwellenden und abreißenden Schlagzeug-Hall-Effekte, und er setzte damit Maßstäbe. Auch Phil Collins setzte bei seinem Hit "In the air tonight" auf diese Effekte.

Peter Gabriel wollte sein drittes Album auch in verschieden Sprachen veröffentlichen. Aber lediglich der deutsche Ableger seiner Plattenfirma zeigte sich interessiert und so entstand ein komplett neu eingespieltes und abgemischtes Album. Bei den Texten half Horst Königstein, der auch für Udo Lindenberg schrieb. Und so hört sich Peter Gabriels deutsche Version von "Games without Frontiers" an: "Spiel ohne Grenzen" - gewöhnungsbedürftig, aber eben typisch Gabriel: nämlich mutig. Der eindringlichste Song auf Gabriels drittem Solo-Album ist "Biko". Ein Klagelied über den Apartheidsgegner Steven Biko. Der wurde 1977 im südafrikanischen Gefängnis gefoltert und getötet. Die Single "Biko" ist auch der Anfangspunkt eines vielfältigen sozialen und politischen Engagements von Peter Gabriel. Dafür wurde er mehrfach ausgezeichnet. Peter Gabriel agiert bei alledem angenehm aus dem Hintergrund.

Peter Gabriel war immer auch erfolgreich als Komponist von Filmmusik. Neben dem Soundtrack zu Martin Scorceses  "Die letzte Versuchung Christi" besticht vor allem die Intensität der Film-Musik, die Peter Gabriel für "Birdy" von Regisseur Alan Parker geschrieben und produziert hat. Dabei receycelte Gabriel stellenweise sein drittes und viertes Album.

"Ich wollte nach meinem Ausstieg bei Genesis eigentlich von der visuellen Umsetzung von Musik wegkommen, aber der Hang zur modernen Malerei und zum modernen  Theater war stärker. Der Entstehungsprozess von Konzept-Alben ist dem Malen mit kontrastierenden Farben ähnlich. Man muss beim Mischen nur aufpassen, dass kein braun rauskommt."

Peter Gabriel

Seine stärksten musikalischen Bilder komponierte Peter Gabriel ab 1986 bis Mitte der 90er Jahre. "Sledgehammer" aus dem 86er Album "So" und spätere Balladen wie "Don’t Give Up" im Duett mit Kate Bush und "Come Talk to Me"  mit Sinead O’ Connor. In diesem Song beschreibt Peter Gabriel seine Bemühungen, sich wieder seiner Tochter anzunähern. Auf dem Album "Us" bearbeitet Gabriel sein Dauerthema: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche. Unaufhörlich bohrt er in den Wunden der Vergangenheit, um sich das Hier und Jetzt erklären zu können.

Audiovisuelle Gesamtkunstwerke wollte und will Peter Gabriel umsetzen, so zum Beispiel während der "Secret World Tour" 1993/94: Ein bombastisches Spektakel , ein multimediales Rock-Theater mit Musikern aus der ganzen Welt, aus der Real World Familie von Peter Gabriel. Das Plattenlabel "Real World" wurde von ihm 1989 gegründet, um Musiker von Afrika bis Asien, von Osteuropa bis Lateinamerika zu fördern, mit ihnen zu spielen und sie zu produzieren. Von traditioneller Volksmusik bis hin zu Global-Pop-Produktionen reicht die Palette. Bekannt geworden sind dadurch u.a. Youssou N’ Dour. Und Nusrat Fathe Ali Khan.

Firmensitz von "Real World" samt dem Wasserschloss-ähnlichem Studiokomplex in einer ehemaligen Mühle ist im Städtchen Box, zwei Autostunden südwestlich von London. Der Chef kommt mit dem Kajak zur Arbeit, denn Wasser ist sein Element. Eine weitere Erfolgsgeschichte ist Peter Gabriels WOMAD-Festival, World Of Music , Arts&Dance: Ein Festival, das seit 1982 Musik, Kunst und Tanz aus verschieden Kulturen präsentiert und bislang 150 mal in 22 verschiedenen Ländern stattfand. Sehr erfolgreich ist Peter Gabriel auch als Komponist und Produzent und Sounddesigner für Computer-Spiele. Ab und zu verrennt und verzettelt sich der Tausendsassa auch oder er wird zurückgepfiffen, z.b. vom Weltfußballverband Fifa vor der WM 2006. Andre Heller wollte von Peter Gabriel die Musik für die Eröffnungszeremonie. Die Fifa wollte nicht und gab finanzielle Gründe an.

Doch zurück in die Gegenwart zum neuen Album, das pünktlich zum 60. Geburtstag erschienen ist. Auf "Scratch My Back" covert Gabriel Stücke von David Bowie, Paul Simon, Lou Reed, Radiohead und er versucht auch an die neue Songwriter-Generation anzudocken mit Songs von Arcade Fire, Bon Iver und den Magnetic Fields. Und im Gegenzug, quasi als Geburtstagsgeschenk werden diese Musiker Peter Gabriel Songs auf einem Album namens "I’ll scratch yours" covern. Wir sind gespannt.


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