Der Bauchredner Tom Waits
Am 7. Dezember 2009 ist Tom Waits 60 Jahre alt geworden und der Nachtmix gratuliert ihm, der lebenden Industrieruine, zum runden Geburtstag.
Am 7. Dezember 1949 wird Thomas Alain Waits als Sohn einer Lehrerin und eines Trinkers im Los Angeles County geboren, der Vater verlässt die Famile, als Tom 10 Jahre alt ist. Im November 1970 hat er seinen ersten Auftritt - er gibt eine Mischung aus Dylan Stücken, Country und derben Witzen. Sein Talent spricht sich in San Diego schnell herum, Waits spielt im Vorprogramm von Sonny Terry und Tim Buckley - wenig später zieht er nach West Hollywood, wird vom Zappa und Captain Beefheart Manger Herb Cohen entdeckt und schließlich als Auftragsschreiber für andere Künstler verpflichtet.
1972 nimmt Tom Waits innerhalb von nur zehn Tagen für David Geffens Asylum Records sein erstes eigenes Album auf. Waits wird als Vorband von Frank Zappa auf Tour geschickt – keine gute Idee, die Zappa Freaks können mit Tom Waits damals noch schnurgeraden Songwriting herzlich wenig anfangen und buhen ihn auf der gesamten Tour gnadenlos aus. Immerhin: Tim Buckley und Lee Hazlewood werden sich später an dem Song "Martha" versuchen. Und die Eagles Ol’ 55 covern, den Opener vom allerersten und eher untypischen Tom Waits Album "Closing Time".
Tom Waits verbringt in den 70er Jahren einen legendären Daueraufenthalt in einem herunter gekommenen Motel in Hollywood. Typisches Outfit: zerschlissenes Sakko, um den Hals eine schlecht gebundene Krawatte, Schiebermütze, Zigarrette hängt quer im Mundwinkel. Aber er schreibt die ganzen 70er hindurch immer wieder gute Songs, seine Bekanntheit wächst. Höhepunkt und Endpunkt dieser Phase: Das Album Blue Valentine, auf dem er im Artwork alle Americana Klischees bis zur Karikatur auskostet. Auf der Rückseite bedrängt er die vollblonde Rickie Lee Jones an der Kühlerhaube eines 64er Ford Thunderbirds vor einer 24 Stunden Tankstelle.
Der US-amerikanische Blues-Sänger während eines Auftritts im Konzerthaus in Stockholm am 29. Oktober 1985
Ende der 70er Jahre war Tom Waits ziemlich am Ende – er geht in Therapie, zuviel von allem, künstlerisch in der Sackgasse, seine damalige Lebensabschnittspartnerin Rickie Lee Jones schießt dagegen gleich mit ihrem Debüt und der Hitsingle "Chuck E's in Love" in die Top 3 der amerikanischen Billboard Charts - das hatte Tom bis dahin nie geschafft. Da kommt es ihm sehr gelegen, dass er über ein, zwei Ecken Francis Ford Coppola kennenlernt. Der verpflichtet ihn für eine Auftragsarbeit, den Soundtrack zum Musical "One from the heart". Waits bezieht ganz ordentlich Büro und Schriebtisch auf dem Filmgelände, führt ansatzweise ein geregeltes Leben und schreibt für den Film hauptsächlich Duette, die er mit der Sängerin Chrystle Gayle intoniert.
Wenn man Tom Waits künstlerisches Leben in zwei Hälften hauen müsste, dann wären die frühen 80er ein ganz guter Zeitpunkt. Heartattack and Vine war die Übergangsplatte, das Album Swordfishtrombones der Wendepunkt. Bis Swordfishtrombones war Waits, ein Betrübtheitsdarsteller, ein Identifikationsbettler, ein Authentizitätsposer, ein künsterlischer Kleinkrimineller - danach war er ein Schwerstgewicht, ein hochkulturiger und -touirger Undergroundler, ein Bauchredner, der seine zahlreichen Figuren ziemlich gut unter Kontrolle hat.
Sowohl der Waits Biograf Barry Hosknys als auch der Ex-Waits Produzent Bones Howe schreiben die Veränderungen seiner Frau Kathleen Brennan zu, einer Drehbuchautorin, die er 1980 bei den Arbeiten mit Francis Ford Coppolas lieben lernt – und die von da an an vielen seiner Songs mitschreibt. Vor allem bringt sie ihn auf neue musikalische Pfade - sie spielt ihm Captain Beefheart vor, macht ihm wohl aber auch Kurt Weill vertraut, wo bei mir normalerweise immer die Alarmglockenschrillen – weil viele Künstlern mit dem Brecht/Weill Verweis spürbar darum betteln, endlich ernst genommen zu werden.
Vor allem aber hinterlässt der amerikanische Avantgarde-Komponist Harry Partch hörbar Spuren im Werk von Tom Waits.
Mit all den neuen Einflüssen im Gepäck gelingt Tom Waits nach Swordfishtrombones mit Rain Dogs sofort ein weiteres großartiges Album. Mittlerweile hat er in der New Yorker Kunstszene Fuß gefasst, Freundschaften geschlossen mit Andy Warhol und Jean Michel Basquiat, John Lurie kennen gelernt, über Lurie Jim Jarmusch und den Lounge Lizards Gitarristen Marc Ribot, der mit seinem unglaublich einprägsamen großartigen Gitarrensound in der Folge viele Waits Platten prägen wird. Aber nicht nur die Gitarren klingen anders: Waits tauscht immer öfter sein Barpiano gegen ein Harmonium, benutzt Dampfmaschinen, Hämmer, Schrottplatzfundsachen und Marimbas – Tom Waits beginnt also sein Junkyard Orchester zusammen zu klauben. Tom Waits fasst sogar Mut, den anderen großen Schrotthaufen der Rockgeschichte für Rain Dogs anzufragen. Und tatsächlich – Keith Richards hat Zeit. Von den drei Stücken mit Keith ist allerdings nur "Jockey Full Of Bourbon" wirklich toll.
Immer mehr Künstler entdecken den Songwriter Tom Waits - Stücke vom Album Rain Dogs werden in der Folge von unter anderem von Tori Amos, Scarlett Johansson und Bob Seeger gecovert - die glitschigste Version kommt wohl von Rod Stewart, der "Downtown Train" in Samt und Seide hüllt. Auch eine ganze Menge deutscher und deutschsprachiger Künstler beginnen, sich auf Waits zu berufen. Eine Kölner Band um den Schröder Roadshow Sänger Gerd Köster nennt sich nach einem Waits Song "The Piano Has Been Drinking" und singt Waits auf Kölsch, die Münchner Carribean Folk Trash Band G Rag verbeugt sich immer wieder mit Würde vor Tom Waits, die junge Münchner Moon Band hat gerade eben ein Stück ihres ersten Albums schlicht und einfach Tom Waits genannt und Wolfgang Ambros bestreitet ein ganzes Album mit Waits Covern. Er nennt es Nach mir die Sintflut und wer weiß, was er sich dabei gedacht hat.
Zurück zu Tom Waits. 1985 hat er einen unglaublichen Output - er übernimmt bei Coppola Filmrollen in "Rumble Fish", "The Outsiders" und im "Cotton Club", gemeinsam mit Jim Jarmusch und John Lurie schreibt er das Drehbuch für "Down By Law" und übernimmt eine der Hauptrollen als Radio DJ Zack, der mit seinem Filmpartner Roberto Benigni aus dem Gefängnis ausbricht.
Waits selbst drängt es in den Folgejahren nicht nur ins Kino, sondern immer mehr ins Theater – er schreibt gemeinsam mit seiner Frau das Stück "Franks Wild Years", das in Chicago uraufgeführt wird und ab 1989 arbeitet er auch immer wieder mit Starregisseur Robert Wilson zusammen. Seine Film- und Theaterrollen haben definitiv auch seine Musik beeinflusst, die immer komplexer und avantgardistischer wird.
In den frühen Neunzigern ist Tom Waits endgültig angekommen in der allerersten Liga zeitgenössischer Kulturproduktion. Zeit für ein kleines Verschnaufpäuschen von sieben Jahren. Zeit auch, die Plattenfirma zu wechseln. Zeit, die Kinder großzuziehen. Nach sieben Jahren Pause erscheint 1999 Mule Variations, das von Alan Lomax und seinen Field Recordings beeinflusst ist, sein erstes Album für Epitaph Records. Das vielleicht schönste Album seiner Spätphase heißt Real Gone und kommt aber 2004, hat den wieder unvergleichlichen Marc Ribot an der Gitarre.
Pünktlich zu seinem 60. Geburtstag 2009 gibt es die Tom Waits-Festspiele. Die von ihm nicht autorisierte Biografie von Bob Hoskyns "Ein Leben am Straßenrand" ist gerade auf deutsch erschienen – und soeben ist auch eine Live-Album von Tom Waits erschienen. Der liegt eine zweite CD bei, auf der man Tom Waits als Stand Up Comedian erleben kann, der zwischen den Songs derbe Schoten reißt.