Bayern 2 - Nachtstudio


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Peter Weiss zum 100. Ästhetik, Kunst und Widerstand

Er droht aus dem Bewusstsein zu verschwinden, der einst viel besprochene, immer umstrittene Schriftsteller Peter Weiss. Da ist sein 100. Geburtstag genau der richtige Zeitpunkt, um sich an ihn und seine großen Texte zu erinnern.

Von: Thomas Kretschmer

Stand: 08.11.2016

Der Schriftsteller Peter Weiss mit seiner Frau Gunilla Palmstierna-Weiss 1965 in Berlin | Bild: picture-alliance/dpa

Es gibt Autoren, die lassen nicht locker, die lassen einfach nicht los. Selbst wenn man sie links liegen lässt, mit ihnen fremdelt. Peter Weiss zum Beispiel, der wie kein zweiter anschrieb gegen die Gemütlichkeit der bundesdeutschen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, der es so leicht fiel, all die Verbrechen der Nazi-Zeit zu vergessen – man arbeitete ja so hart am Wirtschaftswunder. Peter Weiss ließ das nicht gelten: er forderte eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen, und bekam sie. Und nebenbei erfand er das dokumentarische Theater neu. Um dann, in einem ungeheuren Kraftakt mit der Ästhetik des Widerstands die Form des Romans neu zu definieren.

"Du musst Stellung ergreifen"

Peter Weiss, 1968

Peter Weiss mit seiner scharfkantigen, schwarzen Brille. Dem bis ins hohe Alter vollen, dunklen Haar. Vor allem aber, dem ernsten Blick. Fotos, die einen lächelnden, lachenden, entspannten Peter Weiss zeigen, sind äußerst rar. So wie seine Werke den Lesenden kaum einmal ein Lächeln oder gar ein Lachen ins Gesicht zeichnen. Bei Peter Weiss gibt es nichts zu lachen, in seinen Texten geht es um Konflikte, Ungerechtigkeit, Leid, Hass, Unmenschlichkeit, den Tod, das Grauen. Und nur am Ende gibt es die vage Hoffnung, zumindest jene, die bisher keine Worte fanden, zum Sprechen gebracht zu haben. Peter Weiss wird am 8. November 1916 geboren, in Nowawes, heute ein Stadtteil von Potsdam. Es folgen Stationen in Bremen, Polen und Berlin. 1935 flieht Peter Weiss, Sohn eines jüdischen Vaters, zuerst nach England und dann nach Schweden: Stockholm wird zu seinem neuen Wohnort, sein Leben aber ist das Schreiben. Peter Weiss, das ist Haltung und Stellungnahme, Aufruf und Anklage. Allerdings nicht von Anfang an.

"Ich hatte jahrelang die Einstellung, mich zurückzuziehen, mich zu verstecken, keine Stellung zu beziehen. Das war vor allem vor, während und in den ersten Jahren nach dem Krieg. Das scheint mir heute völlig falsch. Von diesem Standpunkt habe ich mich gänzlich entfernt."

Peter Weiss im Gespräch mit Dieter Hasselblatt, 1965

"Der Schatten des Körpers des Kutschers" oder: Anerkennung als Schriftsteller

"Wie kann ich das ausdrücken?" Peter Weiss, die Kunst und der Widerstand


Mit Verena Fiebiger, Thomas Loibl und Thomas Kretschmer, BR 2016
Die Produktion steht ab Sendung 7 Tage zum Download bereit.

Das Jahr 1960 ist eine wichtige Zäsur im Leben von Peter Weiss. Da ist er bereits 45 Jahre alt, hat sich ausprobiert, als Maler, als Filmemacher, auch als Schriftsteller, aber kaum Anerkennung erhalten. Vor allem – und das stürzt Peter Weiss in die große Krise – vor allem hat er bis dahin nicht ausdrücken können, was er ausdrücken will. Nun findet der Autor, der seit 1940 im schwedischen Exil lebt, aber vor allem auf Deutsch schreibt, einen Verleger. Siegfried Unseld veröffentlicht bei Suhrkamp seinen Roman Der Schatten des Körpers des Kutschers. Im Jahr darauf erscheint dort schon der nächste Text Abschied von den Eltern. Fortan ist Peter Weiss Suhrkamp-Autor.

Das Jahrzehnt des Dramatikers Peter Weiss

Nun beginnt sein Jahrzehnt, denn nach den beiden Romanen widmet er sich dem Theater und schreibt Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade im Jahr 1963 über die Französische Revolution und Die Ermittlung im Jahr 1965 über den Auschwitzprozess. Zwei Dramen, die ihn zu einem der bekanntesten deutschsprachigen Autoren machen. Wichtig ist hier zuallererst dieser große Schritt vom Künstler der Innerlichkeit zu einem Schreiber, so nannte sich Peter Weiss selbst gerne, der seine dezidierte Haltung zum politischen Geschehen deutlich und pointiert in die Öffentlichkeit trug: In Interviews, in Gesprächen, Reden oder Artikeln in diversen Zeitschriften.

"Im Schreiben bin ich vorhanden, es ist meine Art des Existierens."

Peter Weiss

"Die Ästhetik des Widerstands" oder: Vom Ende der postmodernen Ironie

Peter Weiss, 1965

Ist das nicht so was von gestern: Stellung nehmen, Haltung zeigen, sich als Autor politisch eindeutig positionieren? In der recht linken und auch schon recht betagten Zeitschrift konkret trägt die Rubrik für Rezensionen und Kritiken den Titel Ästhetik & Widerstand. Böse Menschen würden das als gewichtiges Indiz dafür sehen, wie überholt und anachronistisch Peter Weiss geworden ist und das direkt gegen den Autor verwenden – was natürlich Unsinn ist. Postmodernde Kultur-Konservative würden sich vermutlich an Weiss‘ Stil und Äußerlichkeiten festbeißen, diese Brille geht ja gar nicht, in Wahrheit aber doch seine linke Gesinnung meinen, wenn sie ihn, seine Brille und nebenbei auch mal seine Werke abtun. Aber so weit kommt es ja kaum mehr. Denn eine öffentliche Auseinandersetzung mit und um Peter Weiss findet kaum mehr statt. Dabei würde sich eine Auseinandersetzung entschieden lohnen. Peter Weiss hinterlässt ein Werk, das es heute wieder zu entdecken gilt. Denn das Ende der Geschichte ist entgegen anders lautender Prognosen noch lange nicht erreicht – auch wenn die Welt heute entschieden anders aussieht als zu Zeiten von Peter Weiss. Antworten auf aktuelle Fragen finden sich in seinen Texten weiterhin.

Aktuelle Bücher über Peter Weiss

  • Werner Schmidt: Peter Weiss. Leben eines kritischen Intellektuellen. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2016.
  • Peter Weiss: Dem Unerreichbaren auf der Spur. Schwedische Essays und Interviews 1950-1980. Herausgegeben und übersetzt von Gustav Landgren. Berlin: Verbrecher Verlag, 2016.
  • Der Wundbrand der Wachheit. Peter Weiss lesen. Zusammengestellt von Christa Grimm, Christoph Hein und Jürgen Krätzer. Göttingen: Wallstein Verlag, 2016.

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