Bayern 2 - Notizbuch


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Deutsche Ausländerpolitik Abwehren und begrenzen

Nicht nur der langjährige Innenminister und CSU-Politiker Friedrich Zimmermann stand für eine extrem restriktive Ausländerpolitik. Erst im neuen Jahrtausend brachte Deutschland ein halbwegs modernes Zuwanderungsgesetz auf den Weg.

Stand: 24.03.2010 | Archiv

CSU-Politiker Friedrich Zimmermann (Aufnahme von 1980) | Bild: picture-alliance/dpa

"Wir wollen und können kein Einwanderungsland sein", stellte 1979 Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) fest. Dieses Credo galt auch unter dessen Nachfolger Helmut Kohl (CDU). Ein Ausländeraufenthaltsgesetz, das seinem langjährigen Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) vorschwebte, diente laut dessen Parteikollegen Hermann Fellner "der Abschottung".

Stichwort: Migration

Als Migrant bezeichnet man einen Menschen, der mindestens ein Jahr lang seinen sozialen Lebensmittelpunkt verlagert: als Binnenmigrant oder, wenn er die Grenzen seines Landes verlässt, als Außenmigrant.

Motive können unter anderem sein: Notlage, Arbeitssuche, Heirat, Auswanderungswunsch, Familiennachzug oder auch Alterswanderung. Zu den erzwungenen Formen der Migration gehören Flucht, Vertreibung, Deportation.

Noch 1996 beantworte die Bundesregierung eine parlamentarische Anfrage, ob sich Deutschland als Einwanderungsland begreife, mit Nein - und das angesichts der Tatsache, dass Millionen von "Gastarbeitern" hier lebten, zum Teil bereits in dritter Generation und eingebürgert. In der Ausländerpolitik hatte sich eben stets der Politiker durchsetzen können, der "für größtmögliche Begrenzung und Abwehr sorgte", schreibt Rita Süssmuth in ihrem Buch "Migration und Integration".

Die CDU-Politikerin leitete die von der Bundesregierung 2000 eingesetzte "Unabhängige Kommission zur Vorbereitung eines neuen Zuwanderungsgesetzes", das am 1. Januar 2005 in Kraft trat.

Migrationsexpertin Rita Süssmuth

Damit gab die deutsche Politik 50 Jahre nach Anwerbung der ersten Gastarbeiter sowohl Integration als auch Einwanderung erstmals einen gesetzlichen Rahmen, auch wenn der Begriff Einwanderung sorgsam vermieden wurde.

1973: Anwerbestopp für Gastarbeiter

Doch die Einwanderung hatte, ohne dass es den Beteiligten damals bewusst war, de facto bereits in den 1950er-Jahren mit dem Zuzug von Gastarbeitern eingesetzt. Wegen des Arbeitskräftemangels nach dem Zweiten Weltkrieg schloss die Bundesrepublik 1955 das erste Anwerbeabkommen mit Italien, dem weitere derartige Verträge mit anderen Ländern folgten. Für deutsche Firmen war das eine Goldgrube.

1969 in München: Der millionste Gastarbeiter aus Südosteuropa wird am Hauptbahnhof begrüßt.

Die zumeist ungelernten Ausländer mit wenig Schulbildung akzeptierten geringe Löhne als deutsche Arbeitnehmer. Der ursprüngliche Ansatz von einem befristeten Aufenthalt war jedoch bald durch die Realität überholt. Die Ölkrise war dann Anlass, dass der Bundestag 1973 einen Anwerbestopp beschloss.

Arbeitsmarkt - nicht für Migranten

"Nach 1973 hat das Hauptziel der Migrationspolitik darin bestanden, Migranten durch ein kompliziertes System verschiedener Aufenthaltsregeln vom Arbeitsmarkt fernzuhalten", so Süssmuth. Bis dahin hatte man, außer bei Aussiedlern, jegliche Art von Integrationspolitik und nachträglicher Qualifizierung versäumt, obwohl die Ausländer in den 1960er-Jahren bereits fast zehn Prozent der Bevölkerung stellten. Ab 1974 bot man zumindest Sprachkurse für Migranten an. Die weitaus größeren Finanzmittel dieses Politikbereichs flossen jedoch in Rückkehrprogramme.

1984: Ausnahmen für Hochqualifizierte

Ab 1984 lockerte man zwar den Anwerbestopp durch Ausnahmeregelungen: mit den sogenannten Greencards. 

Arbeitsplatz in Deutschland per Greencard

Das erste Ausländergesetz von 1965 wurde infolge der deutschen Wiedervereinigung 1990 reformiert. Damit sollte auch die Einbürgerung von 1956 bis 1973 angeworbenen Gastarbeitern erleichtert werden. Die Reform war erster zaghafter Schritt in Richtung Akzeptanz von Einwanderung.

1990er: Fremdenfeindlichkeit und Politik

Herber Rückschlag für eine tolerantere Ausländerpolitik: fremdenfeindliche Attacken Anfang der 1990er-Jahre in Rostock-Lichtenhagen und anderswo

Doch die Migrationspolitik blieb im Prinzip restriktiv. Die fremdenfeindlichen Exzesse zwischen 1991 und 1993 in Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen verstärkten die Abwehrhaltung noch. Die anfangs geplante Liberalisierung des Ausländergesetzes kam dadurch nicht voll zum Tragen. Die Politik knickte vor der fremdenfeindlichen Stimmung ein.

1993: Einschränkung des Asylrechts

Vor allem Anfang der 1990er-Jahre kam ein vergleichsweise hohe Anzahl von Flüchtlingen nach Deutschland, viele aus den Bürgerkriegsgebieten Ex-Jugoslawiens. Da den meisten Menschen legale Einwanderungsmöglichkeiten nach Deutschland kaum noch zur Verfügung standen, wichen sie auf das Asylrecht aus. Auch wenn einige Ankömmlinge sich den Aufenthalt erschleichen wollten, sahen sich die Flüchtlinge schnell einem Generalverdacht ausgesetzt: Das böse Wort von den "Scheinasylanten" machte die Runde. 

Zuständig für Zuwanderer: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg

Im Asylkompromiss von 1993 verschärfte Deutschland die Asylpraxis. Wer aus, wie es hieß, "verfolgungsfreien" Ländern einreisen wollte, hatte keine Chance mehr; ebenso wenig, wer aus "sicheren Drittstaaten" kam, von denen Deutschland inzwischen lückenlos umgeben war.

Dabei hatte man in der jungen Bundesrepublik nach dem NS-Terror gegen Andersdenkende das Recht auf politisches Asyl ins Grundgesetz geschrieben.

Seit 2000: Deutsch durch Geburt

Erst Ende der 90er-Jahre steuerte man auf einen Wandel in der Migrationspolitik hin. Der damalige Innenminister Otto Schily reformierte im Jahr 2000 das alte Staatsangehörigkeitsrecht, das noch aus dem Kaiserreich stammte. Damit galt nicht mehr Blutrecht (Vererbung der Staatsangehörigkeit), sondern die Staatsbürgerschaft konnte nun durch Geburt in Deutschland erworben werden. Im selben Jahr beauftragte Schily die Süssmuth-Kommssion zur Ausarbeitung eines Zuwanderungskonzeptes, woraus 2005 das Gesetz resultierte. 2006 leitete Bundeskanzlerin Angela Merkel den ersten Integrationsgipfel und der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble die erste Deutsche Islamkonferenz.

Bayerischer Integrationsbeauftragter seit 2009

Der bayerische Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer (CSU)

Im Gegensatz zu einem klassischen Einwanderungsland wie Frankreich gibt es hierzulande zwar keinen Minister für Immigration, aber seit 1978 auf Bundesebene einen Integrationsbeauftragten. Auch Bayern richtete eine solche, dem Sozialministerium angegliederte Stelle ein, aber erst 2009 und als Ehrenamt. Sie wird von Martin Neumeyer bekleidet.

Der CSU-Politiker räumte Defizite seiner Partei in der Integrationspolitik ein. Man habe sie über Jahre hinweg nicht als vordringliches Thema erkannt und behandelt. "Viele Lebenslügen sind von der Politik kultiviert worden", so Neumeyer. Das müsse sich nun ändern.


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