Gabriele Tergit Effingers - Aus dem Roman und aus den Erinnerungen
Sie sind großbürgerlich, kleinbürgerlich, patriotisch, liberal, kunstbeflissen, unternehmerisch, emanzipiert, modern, konventionell, jüdisch, preußisch, süddeutsch: die Effingers. Gabriele Tergit schrieb den Jahrhundertroman einer Familie. Die Kritik feierte das Buch euphorisch - leider erst 70 Jahre nach Erscheinen. Katja Bürkle liest vier Teile.
Dieser Roman beginnt mit einem Brief des jungen Paul Effinger im Jahr 1878. Er endet mit einem Brief des alten Paul Effinger im Jahr 1942 (und dann gibt es noch den Nachkriegsepilog). Dazwischen liegen Firmengründungen und Pleiten, Weltkriege und Revolutionen, Geburten, Tod, Mord, gebrochene Herzen und offene Beziehungen, Bismarck, der Kaiser, Revolution, die Weimarer Republik, Hitler. Und auch Menu-Folgen, Inneneinrichtungen, Kleidermoden. "Effingers" holen uns direkt hinein in den Alltag der Zeit.
Katja Bürkle liest den Jahrhundertroman
Es sollte der große Roman über alles werden, an dem Gabriele Tergit (1894-1982) seit Anfang der 1930er Jahre schrieb, seit ihrem Erfolg mit "Käsebier erobert den Kurfürstendamm". "Effingers" würde über Epochen und Generationen hinweg von einem bürgerlichen Milieu erzählen, das Deutschland geprägt hatte. Tergit konnte damals nicht ahnen, dass die SA sie wenig später ins Visier nehmen, dass sie ihr 900-Seiten-Werk über Jahre hinweg in Hotelzimmern, im Exil, weiterschreiben würde, dass zum Schluss auch der Zivilisationsbruch des Holocaust den Weg ins Buch finden musste. Nicht wenige ihrer lebenslustigen, rechtschaffenen, geistreichen, merkwürdigen Effingers werden ermordet.
Als das Buch 1951 erschien, wollte kaum einer es verkaufen und kaum einer es lesen. Für Verdrängungsprozesse war es nicht geeignet. In den 1970er Jahren erhielt es etwas mehr Aufmerksamkeit - eine Zeitlang. Aber erst seit dem letzten Jahr, mit der Neuauflage im Schöffling Verlag, ist die Literaturkritik sich einig: dieser Roman gehört in den Kanon. Gerade haben die Münchner Kammerspiele das Werk für die Bühne adaptiert.
Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Zeit, den Holocast und die Zeit danach
In der klassischen Lesung sind vier große Ausschnitte zu hören: um die Gründerjahre 1878 bis 1885 geht es im ersten Teil, um Hochzeiten und andere Erfolge zwischen 1885 und 1900 im zweiten, um das Chaos der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg im dritten und um die NS-Zeit im vierten Teil. Es liest Katja Bürkle, die das umfangreiche Personal und die vielen schnellen und zeitgeistigen Dialoge souverän gestaltet.
Die Regie führte Irene Schuck. Redaktion und Moderation: Judith Heitkamp. BR 2020. Auch im Podcast – zusammen mit einer Lesung aus Tergits Erinnerungen „Etwas Seltenes überhaupt“.
Unsere Lesungen können Sie nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download in der ARD Audiothek und im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks.