Berührende Geschichten und stille Intensität Barbara Honigmann erhält den Jakob Wassermann Literaturpreis
Mit der Jury-Begründung: "In Anerkennung ihres vielgestaltigen literarischen und essayistischen Werks, das abstrakte Geschichte in berührende Geschichten verwandelt und mit ganz eigener, stiller Intensität für die auch von Jakob Wassermann vertretenen Werte der Toleranz und Humanität einsteht“, wird die deutsch-jüdische Schriftstellerin Barbara Honigmann am 1. Juli mit einem Festakt im barocken Fürther Stadttheater geehrt. Cornelia Zetzsche hat sich mit Barbara Honigmann unterhalten, über ihr Schreiben und ihr Leben, und Ulrike Kriener liest Ausschnitte aus "Chronik meiner Straße".
Berührende Geschichten und stille Intensität
"Ja, ich hab mich sehr gefreut, das ist ja immer so, wenn man einen Preis bekommt, und Wassermann ist natürlich nochmal was Besonderes, weil der sich mit Fragen rumgeschlagen hat, mit denen ich mich auch rumschlage, wenn auch anders, und deshalb fühle ich mich da besonders angesprochen."
Barbara Honigmann
"Vielgestaltig“ sei ihr Werk, sagte die Wassermann-Jury und vielseitig ist Barbara Honigmann in der Tat als Schriftstellerin, Librettistin, Malerin, als Deutsche und Jüdin in Frankreich, als Grenzgängerin zwischen den Sprachen und zwischen West und Ost. Der Vater: Journalist und Kommunist im Londoner Exil, kam 1947 nach Ostberlin, um "ein neues Deutschland“ mit aufzubauen. Die Mutter: eine Wiener Kommunistin, war in zweiter Ehe verheiratet mit einem britischen Meisterspion. Aufgewachsen ist Barbara Honigmann in der DDR, aber ihr halbes Leben ist sie nun in Straßburg zuhause. Genug Stoff für ihre schmalen, atmosphärisch dichten Bücher, lakonisch, aber humorvoll und von poetischer Kraft; in der Tradition jüdischer Autorinnen wie Glückel von Hameln vor 300 Jahren, wie der Intellektuellen Rahel Varnhagen und von Anne Frank, die im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde; drei Frauen stellvertretend für drei Zäsuren: den Eintritt der Juden in die deutsche Geschichte, ihre Emanzipation, ihre erbarmungslose Liquidation. Das sind die Koordinaten von Barbara Honigmanns Erinnerungsarbeit und ihrer heiter-melancholische Selbstsuche.
"Wo ich mich anlehne und wo ich mich auch angeregt fühle, ist eine ganz kleine Literatur des Anvertrauens. Es gibt ja diese Bezeichnung 'die kleine Literatur', die von Kafka kommt, der sich auch so am Rande sieht, der große Erzählfluss, das ist alles nicht meine Art, nicht meine Form."
Barbara Honigmann
Auszeichnungen für Barbara Honigmann
1986 Aspekte-Literaturpreis
1986 Preis der Frankfurter Autorenstiftung
1992 Stefan-Andres-Preis
1994 Nicolas-Born-Preis für Lyrik
1996 Kester-Haeusler-Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung
2000 Kleist-Preis
2001 Jeanette Schocken Preis
2004 Koret Jewish Book Award, New York
2004 Solothurner Literaturpreis
2011 Max Frisch-Preis der Stadt Zürich
2012 Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis
2015 Ricarda-Huch-Preis
2018 Jakob-Wassermann-Literaturpreis
Barbara Honigmann begann am 'Deutschen Theater' in Berlin mit einer Arbeit über Kleist und ging später in die Brandenburger Theater-Provinz. "Alles alles Liebe“ aus dem Jahr 2000 erzählt von dieser Theaterarbeit, vom Lieben, dem Leben, dem Freundeskreis in Berlin mit der Patina der DDR und dem Freundeskult der Romantik; ein Mosaik der Lebensentwürfe einer zaghaft-subversiven Bohème zwischen Liebe, Kunst und Politik; ein Aufstand der Poesie zwischen Romantik und Realsozialismus, Courage und Panik, Genosse Lorca, Clapton und Kleist. Das hieß, "dass das zu ‘ner Abkehr von so ‘ner zubetonierten, hohlen, öden Geselllschaft gehörte, das ist einfach eine andere Art von anderem Lebensentwurf, einem Liebes- und Freundschaftsentwurf dieser zubetonierten, verlogenen Gesellschaft gegenüber."
Mit zwei Büchern setzte Barbara Honigmann anderen ein Denkmal: einem Rabbi und Sohara, der arabischen Jüdin. Sonst aber schöpft sie aus der eigenen Biographie: als Frau und Künstlerin, als Deutsche in Frankreich; als Kind jüdischer Emigranten in der DDR, die zweite Assimilation probten; als Junge Wilde, die – mitten im Sozialismus – das Judentum für sich entdeckte.
"Was mich dann eigentlich angezogen hat, das war, als ich angefangen habe, mich ein bisschen dafür zu interessieren, was Judentum noch sein kann außer eben Erinnerung an die Shoa und Antisemitismus und das übliche, und da hat sich eine große geistige Welt vor mir ausgebreitet die ich angefangen habe in kleinen Schritten zu begehen, ich will nicht sagen zu durchschreiten, aber doch irgendwie zu erforschen."
Barbara Honigmann
"Nichts auf der Welt langweilt mich so wie Antisemitismus"
1984, da gab es die DDR noch, ging Barbara Honigmann mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen nach Straßburg, um jüdisches Leben zu leben. Einen "dreifachen Todessprung“ nennt sie das in „Roman eines Kindes“, ihrem ersten Prosaband, der sie 1986 bekannt machte. Ein "Todessprung“ von Ost nach West, vom Deutschen ins Französische, vom Sozialismus ins jüdische Leben. Seitdem wohnt sie in der Rue Edel, wenige Meter hinter der deutsch-französischen Grenze, am Rande der Straßburger Innenstadt. Eine Straße, die sich in diesen 34 Jahren stark verändert hat: Das jüdische Leben ist bunt geworden, mit orientalischen Migranten wie der sephardischen Freundin, der Barbara Honigmann in „Soharas Reise“ auf dem Weg in die Emanzipation folgt. Wie lebendig das Leben in der Rue Edel ist, schildern die Miniaturen und Porträts in „Chronik meiner Straße“. Ihr milder Blick zeigt, die Antisemitismus-Debatten in Paris und in Deutschland sind für Barbara Honigmann kaum Thema.
"Ich meine, der Antisemitismus ist nun wirklich überhaupt nicht neu, und den gibt's von rechts und von links und, ehrlich gesagt, ich kriege das mit, und ich nehme das zur Kenntnis, aber ich vertiefe meine Kenntnisse auch nicht, weil es nichts auf der Welt gibt, was mich so langweilt wie Antisemitismus."
Barbara Honigmann
Lesung und Gespräch im "Offenen Buch"
Die Schauspielerin Ulrike Kriener liest am Sonntag, dem 1. Juli, Ausschnitte aus "Chronik meiner Straße" von der mit dem "Jakob Wassermann Preis" frisch gekürten Schriftstellerin Barbara Honigmann. Die Rue Edel sei die zweithässlichste Straße Straßburgs, schreibt die Schriftstellerin, die seit über 30 Jahren dort wohnt. Es gibt keine Bäume, keine Sträucher, keine Parks, aber ein Vielvölkergemisch. Die große Welt im Kleinen und Stoff für die "schwebenden Beobachtungen und Werke" der Schriftstellerin.
Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche
"radiotexte - Das offene Buch" - jeden Sonntag um 12.30 Uhr auf Bayern 2