Bayern 2 - radioTexte


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Charlotte Casiraghi und nemo Kartographie der Leidenschaften

Ein "unvernünftiges Unterfangen", ein ungewöhnliches Autorenduo: Vierhändig haben Charlotte Casiraghi, Tochter von Prinzessin Caroline von Monaco, sowie ihr Philosophielehrer Robert Maggiori eine "Kleine Philosophie der großen Gefühle" entworfen. Antonio Pellegrino hat mit den Autoren gesprochen. Zweiteilige Lesung mit Annette Wunsch und André Jung - und eine neue Folge des literarischen Ratespiels nemo

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 15.01.2020 | Archiv

Charlotte Casiraghi und Robert Maggiori trafen BR-Redakteur Antonio Pellegrino zum Gespräch in Paris. Foto: Andreas Krieger | Bild: BR / Andreas Krieger

"Ist Leben nicht erfahren, das heißt spüren oder fühlen?
Ja, so könnte man sagen. Doch Fühlen muss man so verstehen wie die spanische Philosophin María Zambrano, als eine Fähigkeit, die wir sind, die ursprünglicher ist als die Fähigkeiten, die wir haben, wie etwa das Denken."

(Aus: Archipel der Leidenschaften, Vorwort)

Was zunächst als privater Dialog zwischen ehemaliger Schülerin und ihrem Philosophie-Lehrer begann, wurde alsbald ein gemeinsames "unvernünftiges Unterfangen" und ist nunmehr ein Buch geworden, das sich nichts weniger vorgenommen hat als "so etwas wie einen Archipel des Erlebten sichtbar zu machen", eine Geometrie der Gefühle zu erarbeiten. Anlass für ihr Projekt sei gewesen, so Casiraghi und Maggiori im Vorwort des Buches "Archipel der Leidenschaften", dass sich der Stellenwert der Gefühle gewandelt habe in einer extrem mobilen Gesellschaft, in einer "flüssigen Moderne", wie es der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman benannte, in einer "liquid society".

Macht, Emotionen und "likes"

Es sei, so die Diagnose des Autoren-Duos, eine neue Art der Machtausübung entstanden, die in der Lenkung von Emotionen bestehe. Zugleich habe das dazu geführt, dass die Machtausübung in den verschiedenen Bereichen auf eine emotionale Weise erfahren und erlitten werde. In der Demokratie der sozialen Medien und der netzweiten Reaktion komme es einzig darauf an, Emotion auszudrücken, die bestenfalls zu likes werden.

"Das Bild eines Archipels haben wir gewählt, weil es bei einem Archipel keine festen Grenzen gibt. Er besteht aus lauter Inseln, die sich berühren, die aber aus einer Materie sind, vom selben Meer umgeben sind. Das ist eine empfindliche Materie, die sich bewegt. Wir wollten die Leidenschaften als Fundus empfindlicher Materie ansehen, als Teil unserer Existenz. Damit wollten wir den Gefühlen eine materielle, eine spürbare Form verleihen."

(Charlotte Casiraghi im Gespräch mit Antonio Pellegrino)

"Archipel der Leidenschaften"

Casiraghis und Maggioris "Archipel" der Gefühlswelt reicht von "guten Absichten" (Liebe, Erbarmen, Anbetung z. B. ) über "intensive Gefühle und Affekte" bis zu "bösartigen Bestrebungen" (Knausrigkeit, Spott oder Hass).

"Liebe führt zu Gerechtigkeit", schreiben Casiraghi und Maggiori in ihrem Buch "Archipel der Leidenschaften".

Ihrem poetisch-philosophischem Werk "Archipel der Leidenschaften" liegt der sehnsüchtige Impetus zugrunde, für eine Achtsamkeit der Gefühle zu sensibilisieren, letztlich für Toleranz gegenüber dem zutiefst Menschlichen im Anderen, denn, so schreiben die Autoren, "wenn wir Gefühle, Leidenschaften oder Stimmungen achten, so akzeptieren wir das Geheimste in jedem von uns, akzeptieren wir uns selbst in unserem Widersprüchlichsten, Verletzlichsten, Menschlichsten und zugleich Unmenschlichsten".

 In aller Kürze: die Autoren

Charlotte Marie Pomeline Casiraghi, 
1986 in La Colle/Monaco geboren, ist das zweite Kind von Caroline von Hannover und dem italienischen Unternehmer Stefano Casiraghi.

Die Enkeltochter der legendären Grace Kelly ist Springreiterin, Modell, Mutter zweier Kinder, Philosophin, Gründungsdirektorin des philosophischen Instituts "Les Rencontres philosophiques de Monaco" und seit kurzem auch Autorin.

Robert Maggiori, geb. 1947, ist ein italienisch-französischer Philosoph, Journalist und Literaturkritiker für die Tageszeitung Libération. Er ist Mitbegründer von "Les Rencontres philosophiques de Monaco".

"Archipel der Leidenschaften" in zwei Folgen und nemo

Zweiteilige Lesung mit Annette Wunsch und André Jung am 21. und 28. Januar in den radioTexten am Dienstag, jeweils um kurz nach 21.00 Uhr auf Bayern2

Am 28. Januar folgt im Anschluss an die Lesung eine neue nemo-Raterunde mit Elisabeth Tworek und Andreas Trojan sowie als Gast-Detektiv Daniel Baierstorfer!

Die Nemo-Detektive im Studio: Daniel Bayerstorfer (ganz links) als Gastdetektiv sowie Elisabeth Tworek, Antonio Pellegrino und Andreas Trojan

Daniel Bayerstorfer, geboren 1989 in Gräfelfing, ist Verfasser erzählender Prosa, Essays und Lyrik und als Übersetzer und Literaturvermittler tätig. Zuletzt erschienen die Gedichtbände "Gegenklaviere" und "Die Erfindung des Rußn" (gemeinsam mit Tobias Roth). Seit 2018 unterrichtet er Kreatives Schreiben für Schüler*innen am Literaturhaus München. Außerdem ist er Mitorganistator der Münchner Lesereihe "meine drei lyrischen ichs", sowie des Festivals "Großer Tag der Jungen Münchner Literatur". Bayerstorfer, der an seinem ersten Roman schreibt, ist im Januar zu Gast bei nemo.

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Das Buch "Archipel der Leidenschaften. Kleine Philosophie der großen Gefühle", aus dem Französischen übertragen von Grit Fröhlich, André Hansen und Ruth Karzel, ist bei C.H.Beck erschienen.

Unsere Lesungen können Sie nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


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