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Eine Spurensuche mit Hindernissen Das Thema

Stand: 14.01.2014 | Archiv

Ein riesiges Kleeblatt aus Gras auf einem Feld bei Frankfurt am Main  | Bild: picture-alliance/dpa

Glück bedeutet für jeden etwas anderes. Die vielfältigen Meinungen und Untersuchungen, die Dichtung, Kunst, Philosophie und Biologie dazu geliefert haben, sind vielfältig und oft widersprüchlich. Doch lässt sich nicht auch etwas Gemeinsames finden? Glück - besteht das nicht einfach darin, einen gesunden Körper, genug zu essen und gute Freunde zu haben? Nach einer Wanderung ein kühles Glas Wasser, in der Einsamkeit ein Verbündeter, genügend Geld, gesellschaftliches Ansehen - die Erfüllung solcher Wünsche beschert uns Glück.

Die Wunschliste

Freilich währt dieses immer nur so lange, bis ein neuer Wunsch entsteht, oder so lange, bis ein bisheriger Glücksgarant durch "unglückliche Umstände" wegfällt. "Äußere Güter", wie es in der antiken Philosophie heißt, können uns glücklich - aber auch abhängig, und somit unglücklich machen. Daher stellt sich die Frage: Dinge und Personen, über die wir verfügen, sind sicherlich wichtig und angenehm - aber reichen sie aus zum Glücklichsein? Und geht es nicht vielleicht auch ohne sie?

Kurz und unberechenbar

Für viele Menschen sind Glücksmomente so etwas wie Überraschungsgeschenke: Einmalige, unvorhersagbare Ereignisse von unfassbarer Intensität. Und vor allem: Ereignisse, die sich in keiner Weise aus eigener Kraft herbeiführen lassen.

Der Genuss eines Sonnenstrahls am Morgen, ein frisch gemachtes Bett, das Lächeln eines Passanten. Hier geht es um mehr als die bloße Befriedigung von Bedürfnissen: Im Gegenteil, oft sind es die eigentlich unnötigen Dinge und beiläufigen Gegebenheiten, bei denen wir diesen leicht zerbrechlichen Zauber des Glücks spüren. Das Unkontrollierbare daran hat Dichter wie Hermann Hesse inspiriert, hinter der vom Verstand durchdringbaren Welt eine verborgene wunderbare Sphäre anzunehmen, die nur dem Gefühl zugänglich ist. Etwas nüchterner lassen sich Glücksmomente beispielsweise mit Kant oder John Dewey als "ästhetische Erlebnisse" charakterisieren. Alle unsere Erkenntniskräfte kommen hier gleichermaßen zum Einsatz, kein Interesse herrscht vor, der Mensch befindet sich in einer Art dynamischem Gleichgewicht. Psychoanalytisch wird Glück manchmal als Erinnerung an das kindliche Einssein mit der Welt gedeutet. In diesem Zusammenhang steht auch Mihaly Csikszentmihalyis bekannte Theorie des "Flow": In diesem Zustand ist der Einzelne seinen Fähigkeiten gemäß weder unter- noch überfordert, und ist daher mit seiner Tätigkeit in höchstmöglicher Harmonie.

Wohlverdientes Glück - antike Philosophen

Für viele Philosophen ist das Glück dagegen nichts Zufälliges, sondern das begleitende Gefühl eines aktiven Lebensstils - der Anstrengung, den täglichen Sorgen und Freuden mit einer stabilen Haltung zu begegnen. Zu den Klassikern dieser Art von philosophischer Lebenskunst zählen Platon, Aristoteles und die Stoiker.

Glück stellt sich demnach im ständigen Vollzug von Tugenden ein: wenn der Mensch seine sinnlichen Begierden zügelt und sich in Fleiß und Tapferkeit übt; und wenn er sich bemüht, mit seiner Vernunft nicht nur den eigenen Körper, sondern auch das Feld der Wissenschaft zu beherrschen. Je weiter man, mit Platon gesprochen, ins Reich der Ideen, der unwandelbaren Gesetze und Urbilder, vordringt - Aristoteles würde sagen, je besser man die höchste Fähigkeit des Menschen verwirklicht -, desto mehr Glück empfindet man.

Glück, "Eudaimonia", das ist bei den alten Griechen die "heitere Gelassenheit" gegenüber den Widrigkeiten des Lebens: Was also zählt, ist richtig zu handeln und zu denken, und nicht, was einem von außen zustößt. Sinnliche Schwelgerei, Feigheit, mangelnder Wissensdurst, kurz: Passivität - das führt zu Unglück. Zu den Tugenden gehört auch, für Gerechtigkeit in der Polis zu sorgen. Platon behält die Herrschaft über Volk und Statt der intellektuellen Elite vor, den "Philosophenkönigen". Aristoteles dagegen plädiert für eine demokratische Regierung: Verantwortung für die Gemeinschaft ist bei ihm Bürgerpflicht und Voraussetzung für das persönliche Glück.

Die Stoiker legen ebensoviel Wert auf Selbstbeherrschung und politisches Engagement, doch verlangen sie dem Einzelnen noch viel mehr ab: Außer seinen Tugenden selbst darf ihm überhaupt nichts am Herz liegen - noch nicht mal der Verlust der eigenen Familie darf einen wahren Stoiker anrühren. Sein Glück hängt von gar keinem äußeren Gut mehr ab. Die Bedürfnislosigkeit des Diogenes von Sinope etwa geht der Legende nach so weit, dass er nichts besitzt außer einer Tonne.

Die griechisch-römische Tradition spiegelt sich wider im Denken des christlichen Philosophen Augustinus. Glück bleibt gebunden an Aktivität, an zum Teil mühsame Verbesserung seiner selbst. Als normative Instanz kommt aber nun der christliche Gott ins Spiel - außerdem erweitert sich der Tugendkanon um Glaube, Nächstenliebe und Hoffnung. Vollendetes Glück ist nur für die wenigen zu erreichen, die in den Genuss von Gottes Gnade kommen und nach dem Tod ins Paradies aufgenommen werden. Dort ist ihr Glück dafür auf ewig gesichert. Das menschliche Leben hat somit, anders als in der zyklischen Zeitvorstellung der heidnischen Philosophen der Antike, eine einzigartige Entwicklung und ein Ende.

Skepsis gegenüber Glücksrezepten - Voltaire und Nietzsche

Der französische Aufklärer Voltaire bezweifelt in seiner satirischen Erzählung "Zadig, ou la destinée" die Wirksamkeit der althergebrachten Anleitungen zum Glücklichsein. In einer Gesellschaft von bösartigen Mitmenschen, von Machtmissbrauch und religiösem Fanatismus hat wirkliches Glück Voltaires Ansicht nach keine Chance. So vernünftig und tugendhaft Zadig auch sein Leben führt, niemals kommt seine Seele zur Ruhe. Auch sein Reichtum und seine Schönheit bringen ihn nicht weiter. Er probiert alles, was angeblich zu Glück und Zufriedenheit führt - aber immer, wenn er meint, den richtigen Weg gefunden zu haben, wird er enttäuscht.

Schließlich hilft ihm ein Engel, sein Leben zu deuten: Nur vom begrenzten Standpunkt des Individuums erscheinen demnach manche Mühen vergebens und das Schicksal ungerecht. Im großen Plan der Schöpfung nämlich ist alles notwendig und führt am Ende doch zum Guten. Eine sehr optimistische Botschaft, die Voltaire in seinem späteren Roman "Candide" selbst noch einmal kritisieren wird.

Nietzsche stellt auf ganz andere Art das auf die Probe, was man gemeinhin als "Glück" bezeichnet. Es geht ihm nicht darum, ob man es erlangen kann, sondern ob man es überhaupt anstreben sollte. Er warnt davor: Denn es bedeutet, sich auf einem bestimmten Lebensstil auszuruhen, und nicht mehr über sich hinauswachsen zu wollen. Das Beispiel der "letzten Menschen" zeigt: Mit ihren gelegentlichen Vergnügungen und ihrer körperlichen Gesundheit sind sie völlig zufrieden, eine Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit streben sie also nicht an. Aber nicht nur dieses Glück nimmt Nietzsche aufs Korn: Denn in jedem Glück liegt die Gefahr des geistigen Stillstandes. In seinem Spätwerk "Also sprach Zarathustra" setzt er gegen den "letzten Menschen" noch den "Übermenschen": Denjenigen, der sich stets neu erschafft, der seine Überzeugungen ständig revidiert, und sein Leben somit zu einem radikal individuellen macht.


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