Das Labyrinth Das Ur-Labyrinth
Die älteste Labyrinth-Darstellung ist etwa 5.000 Jahre alt. Sie stammt aus einer Grabanlage auf Sardinien: Ein Kreis umschließt einen Innenraum. Es gibt nur einen kleinen Einlass. Hier beginnt ein verzweigungsfreier Weg, dessen sieben Umgänge unweigerlich in die Mitte führen. Aber auch diese Form ist nicht das Ur-Labyrinth, sondern die grafische Fassung einer noch älteren Form. Und diese Form wurde getanzt.
Ins Zentrum des Kreises und wieder zurück
Am Anfang dessen, was in einem mehrstufigen Transformationsprozess zum Labyrinth des Theseus wird, steht vermutlich ein nächtlicher Gruppentanz. Mädchen und Jünglinge fassen sich bei den Händen oder halten sich an einem Seil fest. Im Schein flackernder Fackeln folgt die Tänzerkette einem Tanzführer. Langsam schreitend zieht die Gruppe immer engere Bögen um eine gedachte Mitte. Im Zentrum wechselt die Richtung. Von hier aus bewegen sich die Tänzer auf umgekehrtem Weg und schneller zum Ausgangspunkt zurück.
Die Kurzschrift einer Choreografie
Der Weg, dem die Tänzer folgen, ist kompliziert. Sieben konzentrische Umgänge mit einer Reihe abrupter Wendungen sind stolperfrei zu bewältigen. Darum ist der Pfad auf dem Boden des "Labyrinthos" genannten Tanzplatzes durch eingeritzte Furchen oder Steine vorgezeichnet. Ritzungen auf Tontafeln oder Wänden halten die Choreografie des Tanzes als grafische Figur fest. Sie umfasst bereits die für lange Zeit unveränderten Merkmale des Ur-Labyrinths.
- Das runde oder quadratische Labyrinth ist ein abgeschlossener Innenraum. Es gibt nur einen schmalen Einlass und einen Weg mit sieben Umkehrpunkten auf beiden Seiten.
- Der verzweigungsfreie Weg füllt den ganzen Innenraum aus und führt unweigerlich in die Mitte.
- Da es nur einen Weg und keine Wahlmöglichkeiten gibt, kann sich niemand verirren.
- Die Mitte ist leer, sie ist ein gestaltloser Durchgang und Umkehrpunkt.
- Wer das Zentrum erreicht hat, geht den Weg in umgekehrter Richtung und findet sicher zum Ausgangspunkt zurück.
Im Lauf der Zeit verdichtet sich die grafische Kurzschrift zum Symbol. Dabei wird aus dem "Labyrinthos" genannten Tanzplatz und der gleichnamigen Bewegungsform allmählich das Labyrinth als eigenständiges Sinnbild.