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Deutungen menschlichen Lebens Das Thema

Stand: 15.01.2009 | Archiv

Die Nachbildung der "Argo", der griechischen Mythologie zufolge das Schiff des Jason. | Bild: picture-alliance/dpa

"Ich wünschte, das lange Schiff, die Argo, hätte nie die Meeresenge bei den Symplegaden überstanden; Ich wünschte, dass die Kiefern, die ihm Mast und Ruder lieferten, sich noch im Winde des Pelion wiegten, dass der Fischadler noch in ihnen nistete und dass die großen Abenteurer sie nie zum Sonnenaufgang Asiens und zur morgendlichen Küste einschifften, das Goldene Vlies zu holen. Dann hätte meine Herrin, Medea, den Jason nicht gesehn, nicht geliebt und nicht gerettet und hätte sich von ihrer Heimat nicht getrennt, um ihm zu folgen in dieses Land der lächelnden, plappernden Griechen und zu den Dächern von Korinth, auf denen sich das Unheil auftürmt: Wolke über Wolke. Denn sie ist nicht sanftmütig, sondern ungebärdig - eine Königstochter."

Monolog der Amme Medeas

Robinson Jeffers hat in unserem Jahrhundert ein Medea-Drama nach der Vorlage des Euripides geschaffen (Übersetzung: Eva Hesse). Wie der große antike Tragödiendichter beginnt auch Jeffers mit einem Monolog der alten Amme Medeas, in dem die Vorgeschichte gerafft erzählt wird:

Die Geschichte mit dem Vlies

Jason, der Königssohn aus dem thessalischen Iolkos, hatte ein Schiff, die Argo, ausrüsten lassen, um im Auftrage seines Onkels oder Stiefbruders Pelias, der ihn um die Thronfolge bringen wollte, aus dem fernen Kolchis an der Ostküste des Schwarzen Meeres das sagenhafte Goldene Vlies zu holen. Nach langen Irrfahrten waren die "Argonauten" in Kolchis angekommen. Der dortige König, Aietes, ein Sohn des Sonnengottes Helios, versprach Jason, ihm das Vlies zu geben, allerdings nur, wenn er zuvor eine bestimmte, für einen gewöhnlichen Sterblichen unmöglich zu bewältigende Aufgabe erfüllte. Da kommt Medea ins Spiel, die Tochter des Aietes, eine Anhängerin der düsteren Mond- und Unterweltgöttin Hekate, bewandert in Zauberkünsten alle Art. Sie hat sich in Jason verliebt und hilft ihm nun heimlich, die scheinbar unerfüllbare Aufgabe zu bestehen. Da aber Aietes sein Versprechen nicht halten will, steht Medea Jason auch noch bei, das Goldene Vlies zu rauben. Gemeinsam fliehen sie dann nach Iolkos. Dort lässt Medea weiter ihre Zauberkünste spielen, beseitigt Pelias, Jasons Nebenbuhler um die Thronfolge. Vergeblich - wieder müssen Jason und Medea fliehen: nach Korinth diesmal, wo sie von König Kreon aufgenommen werden. Und hier beginnt die Tragödie.

Das Drama nimmt seinen Lauf

"Jason hat sich von ihr abgewandt - er nennt die alte Bindung eine Paarung von Barbaren, keine Griechen-Ehe. Verworfen hat er sie und sich dem gelbhaarigen Kind des Kreon anvermählt, der hier zu Lande herrscht. Er ist auf seinen Vorteil aus, vornehme Freunde, und hohen Rang bei den Korinthern. Und das bewog ihn, Medea zu verstoßen, als wär sie eine Hure, und die Kinder zu verleugnen, die sie ihm gebar."

Erzähler

Kreon verfügt, Medea als Zauberin zu verbannen. Doch sollen die Kinder weder mit ihr ziehen noch unter der Obhut des Vaters bleiben dürfen. An einem fremden Ort will Jason sie in Pflege geben.

"Jetzt lernt sie, was es heißt, Fremde zu sein - verstoßen allein, verachtet!"

Medeas Amme

Medeas Rache

Hier lässt Robinson Jeffers ein Thema anklingen, das den Medea-Mythos in allen seinen dramatischen Gestaltungen durch die Jahrhunderte von Euripides bis zu Jean Anouilh und Dagmar Nicks Prosaerzählung aus der jüngsten Zeit durchzieht und das als eine unter anderen psychologischen Begründungen für die übergroße Trauer und den Zorn Medeas über das, was man ihr antut, gelten kann. Jeder psychologischen Deutung aber entzieht sich der ungeheuerliche Racheplan, den Medea schmiedet, angedeutet schon in den düsteren Vorahnungen der Amme:

"Unterwürfigkeit aber wird sie nie lernen, wird niemals lernen, Schmähungen zu trinken wie harmloses Wasser. Oh, mir graut vor ihr: ob sie ein Messer durch ihr eigenes Herz bohrt, ob sie dem Bräutigam mit seiner neuen Braut nachsetzt oder was sonst an größerem Entsetzen sich durch die dunkle Waldung ihrer Seele pirscht, das eine weiß ich: Besser wäre es, Jason hätte eine Löwin gereizt oder barhändig die Welpen einer Tigerin entwendet."

Die Amme

Und Medea selbst:

"Tod, Tod ist mein Wunsch. Für mich, für meine Freunde, meine Kinder: die Vernichtung. So heißt das Wort: zermahlen, zerstampfen, verbrennen, Vernichtung."

Medea

Sie wird sich nicht selbst töten. Doch Tod bringt sie erst - durch ein vergiftetes Hochzeitsgewand - Jasons Braut und deren Vater Kreon. Dann aber: ihren eigenen Kindern! So glaubt sie Jason vernichtender zu treffen, als wenn sie ihn selbst tötete.

Die Flucht

Auf einem von geflügelten Drachen gezogenen Zauberwagen ihres Großvaters Helios, an ihrer Seite die Leichen ihrer Kinder, flieht Medea - so will es der Mythos, und auch noch Euripides berichtet das - aus Korinth. Über Athen, wo sie von König Aigeus einen Sohn bekommt, gelangt sie nach Kolchis, wo sie einen Usurpator beseitigt und ihren Vater Aietes wieder auf den Thron setzt. Ihr Sohn Medos, ein großer Held, galt im Altertum als Stammvater des Volkes der Meder im nordwestlichen Iran.

Der Mythos Medea - ein Kulturprodukt?

"Hintergrund der Tragödie ist der Zusammenstoß der frühasiatischen mit der früheuropäischen Kultur. Medea, die Kolcherin, ist die Fremde, deren maßloses Wesen den griechischen Idealen strikt entgegengesetzt ist. Sie ist von göttlicher Herkunft, eine Enkelin des Sonnengottes Helios; eine Zauberin, die mit Hekate, der unheimlichen Göttin des Mondes im Bunde steht. Medea besitzt für die Griechen den exotischen Reiz und den Schrecken des Barbarischen. Kränkung, Demütigung, beleidigter Stolz einer verlassenen und ausgestoßenen Frau sind (...) in den dämonischen Hass, die reuelose Rache, den erbarmungslosen Hohn gesteigert - ins Übermenschliche, das hier als das Nichtgriechische, das unbegreiflich Fremde, begreifbar gemacht wird."

Der Kritiker Georg Hensel

Die Geschichte der Medea wurde zum Stoff vieler Dramen und anderer nicht nur literarischen Gattungen. So berichteten nach Euripides (431 v. Chr.) auch Seneca (ca. 50 n. Chr.), Fr. W. Gotter (1775), P. Corneille (1635 ), F. Grillparzer (Das goldene Vlies. Trilogie, 1821) und H. H. Jahnn (1920), R. Jeffers (1946), J. Anouilh (1946) in ihren literarischen Werken von der Medea-Sage.


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