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Das Vorbild Das Thema

Stand: 18.01.2012 | Archiv

Figuren von Menschen in verschiedenem Alter auf dem Gebäude des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Berlin in der Glinkastraße | Bild: picture-alliance/dpa

"Bei Vorbildern ist es unwichtig, ob es sich dabei um einen großen toten Dichter, um Mahatma Gandhi oder um Onkel Fritz aus Braunschweig handelt, wenn es nur ein Mensch ist, der im gegebenen Augenblick ohne Wimperzucken gesagt oder getan hat, wovor wir zögern."

Erich Kästner

Der deutsche Schriftsteller, konnte sich wie kein anderer vor allem in Kinderseelen einfühlen. Auf dem Weg zum Erwachsenwerden sind Vorbilder notwendig und hilfreich. Die stärksten Leitbilder zur Orientierung und zum Nachahmen stellen als nächste Bezugspersonen meistens Mutter und Vater dar. In der Zeit des Heranwachsens eifern Jugendliche dann vielen verschiedenen Vorbildern nach und huldigen ihren Idolen.

Vorbilder im Wandel der Zeit

Welche Persönlichkeiten aus öffentlichen Leben gerade "en vogue" sind und den stärksten Einfluss haben, ist dem Zeitgeist und den gesellschaftlichen Normen einer Zeitepoche geschuldet. So hätten sich in den Fünfziger Jahren viele Deutsche für den evangelischen Theologen und Urwaldarzt "Albert Schweitzer" ausgesprochen, dessen übergroße Mitmenschlichkeit den Deutschen, die gerade den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten, als bewundernswert und beispiellos vorkam. Ganz anders sicherlich Jahrzehnte davor, als die Gesellschaft der zwanziger Jahre noch militärische Tugenden hochhielt und hoch dekorierte Generäle wie Hindenburg und Ludendorff - gerade nach der so hart empfundenen Niederlage des Ersten Weltkriegs und der "Schmach" von Versailles. Wie fragwürdig und willkürlich das Präsentieren kollektiver Leitbilder für die junge Generation ist, zeigte Siegfried Lenz in seinem Roman "Das Vorbild": die Experten, die für ein Schullesebuch den jungen Menschen eine Liste ausgewählter Vorbilder zusammenstellen sollten, scheiterten am Ende. Nicht zuletzt aus der Erkenntnis heraus, dass es viel besser wäre, die jungen Leute selbst wählen zu lassen, wen sie als vorbildlich empfinden.

Lernen am Vorbild

Zu Beginn des Lebens ist der Mensch ungebildet und unkultiviert, steht am Anfang, sich die Welt mithilfe von verschiedenen Verhaltensmustern zu erschließen. Von der Geburt bis zum Reifungsziel, eine eigenständige Persönlichkeit zu werden, liegt ein weiter Weg. Von Anfang an nimmt jedoch das Kind alle Eindrücke auf, die sich sozusagen als prägend in das Gehirn des Kleinkindes einspeichern. Zusammen mit seinen angeborenen Verhaltensmustern und der genetischen Ausstattung formt sich über eine immer komplexere Netzwerkbildung im Gehirn das, was man später Persönlichkeit nennt. Dabei, so der Neurobiologe Manfred Spitzer, ist das Gehirn des Menschen so ausgestattet, dass er, zum Beispiel bei Gefahr, auf "eingeschliffene Verhaltensweisen" zurückgreifen muss. Damit wird klar, welche Bedeutung Eltern als Vorbilder in den ersten Lebensjahren eines Kindes haben.

Erziehungsstile einst und jetzt

Das war allerdings nicht immer pädagogisches Allgemeingut. In früheren Epochen wurden Kinder oftmals nicht als Bereicherung des eigenen Lebens gesehen, sondern als Störenfriede, deren lebhaftes Interesse an der Welt eingedämmt und in strenger Regelhaftigkeit kontrolliert wurde. Nicht Vorbild sollten Eltern und Lehrer sein, sondern Erzieher. Und so wurden Kinder auch als "Zöglinge" angesehen, deren Charakter und Potential allenfalls wie ein Lehmklumpen geformt und genormt werden sollte. Nicht Einfühlung in die Bedürfnisse und Gefühlswelt der Kinder war angesagt, sondern "Zucht und Ordnung". Viele Erziehungsratgeber aus dem 18. und 19. Jahrhundert zeugen von dieser körperlichen und seelischen Gewaltanwendung. Willfährig sollte das Kind gemacht werden, unterzuordnen allein unter den Willen des Erziehers sowie unter die gesellschaftlichen Moralvorstellungen von Berufspädagogen und Kirche. Verbrämt wurde dieser seelenlose Erziehungsstil mit der nicht hinterfragten Annahme der naturgegebenen Elternliebe. Erst die moderne Psychologie, allen voran die Schweizerin Alice Miller, räumte mit diesem Mythos auf.

Auf dem Weg zur Persönlichkeit

Heute weiß man, dass im Lernen am Vorbild für Kinder nicht nur sachliche Inhalte vermittelt werden, sondern ebenso die Art und Weise, wie Vorbilder, zunächst die Eltern, mit den Kindern umgehen. Wenn Kinder geschimpft werden, lernen sie, zu schimpfen, wenn Kinder hart angegangen werden, lernen sie das ebenso. Das "Wie" ist also entscheidender als das "Was" in der Erziehung. Besonders, wenn das Verhalten der Eltern von dem abweicht, was sie den Kindern predigen, lernt das Kind, wie man Normen mit Tricks umgehen kann.

Loslösen von den ersten Vorbildern

Zu den "Identifikationen" , wie Psychologen die Prägungen der ersten Jahre nennen, kommen weitere hinzu, vor allem in der Pubertät. Vorbilder werden nun zu idealtypischen Figuren, die Jugendlichen Glück, Reichtum, Bildung, Mitmenschlichkeit, Freiheit, Kraft, Ruhm versprechen mögen. Das können Popstars sein, Sportler, Politiker, Friedens- und Umweltaktivisten. Deren Glanz und Ruhm strahlt bei Anbetung und Bewunderung - man strebt an, so zu werden wie sie - auf den Jugendlichen ab. Eine ganz natürliche Phase im Reifungsprozess von Heranwachsenden, sagen Psychologen, wenn Jugendliche dabei zunächst auch nur die Lichtseiten ihrer Idole wahrnehmen.

Vorbilder als Mentoren

Wenn das Heranwachsen zum Erwachsenen, zur eigenen Persönlichkeit, oder wie Psychologen es formulieren, zur "kritischen Ich-Reife" gelingen soll, ist eines dabei wichtig: dass die Jugendlichen sich von den angebetenen Vorbildern später wieder lösen können. Oder auch, wie Beispiele in der Kulturgeschichte immer wieder gezeigt haben, dass der Schüler seinen Meister übertrifft. Da wird die Funktion von Vorbildhaftem deutlich: Lernen am Modell, Aneignen der Fähigkeiten des Vorbilds, um höher, weiter, kritischer voranzuschreiten. Allerdings brauchen Schüler dabei Förderung des Meisters, der Eltern, von Lehrern, um ihre Ziele zu erreichen. Und das wiederum ist letztendlich ihr verantwortlicher Part.


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