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Vorarbeit
Lernziele: Die Schülerinnen und Schüler werden über die europäische Hexenverfolgung informiert, die nicht im "finsteren" Mittelalter, sondern in der frühen Neuzeit stattfindet. Das Hochstift Bamberg lernen sie als Ort einer exzessiv-dramatischen Hexenjagd kennen, der binnen weniger Jahre mehr als 1.000 Unschuldige zum Opfer fallen.
Dabei wird den Schülerinnen und Schülern klar, dass Hexenverfolgungen in engem Zusammenhang mit gesellschaftlicher Orientierungslosigkeit, religiöser Unsicherheit (Reformation/Gegenreformation), Aberglauben und einer die Menschen tief verstörenden Klimaänderung ("Kleine Eiszeit") stehen. In Zeiten wie diesen werden Südenböcke gesucht.
Darüber hinaus erfahren die Schülerinnen und Schüler, dass Hexenverfolgung in katholischen und protestantischen Gegenden stattfindet - hier wie dort wüten Hexenjäger mit beträchtlichem Verfolgungseifer.
Schließlich verstehen die Schülerinnen und Schüler, dass bei der Hexenverfolgung nicht gezielt gegen bestimmte Personengruppen wie "Kräuterweiber", Hebammen oder Heilerinnen vorgegangen wird. Es kann jeden treffen - ohne Ansehen von Person (Beispiel Bamberg: Hinrichtung des Kanzlers Dr. Haan und des Bürgermeisters Junius im Jahr 1628), Geschlecht oder gesellschaftlichem Rang.
Einsatz im Unterricht
Hinführung zum Thema: Das Gefühl einer permanenten Bedrohung durch den Teufel ist längst aus unserem Alltag gewichen. Der Glaube an Zauberer und Dämonen dürfte sich bei den meisten Menschen ebenso in Grenzen halten wie die Angst ums Seelenheil im Jenseits. Unwillkürlich horchen wir aber auf, wenn von Menschen mit "magischen Kräften" die Rede ist. Hexen haben also auch in Zeiten rationalen Denkens nichts von ihrer Faszination verloren.
Übersinnliches ist nach wie vor gefragt. Film, Fernsehen und Literaturbetrieb reagieren mit einer anhaltenden Fantasy-Schwemme - Zauberwesen geistern ebenso umher wie die Hexe als Femme fatale. Kinder werden schon früh mit Grimms Märchen "Hänsel und Gretel", mit Elfie Donnellys kleiner Hexe Bibi Blocksberg oder mit Knisters Hexe Lilli vertraut gemacht.
Hexen dürften auch die Phantasie der Schülerinnen und Schüler beflügeln, ein Zugang zum Thema fällt somit nicht schwer.
Zunächst geht die Klasse der Frage nach, wann uns "Hexen" heute begegnen.
Mögliche Antworten:
- Wer "Hexe" googelt, wird mit Fundstellen geradezu erschlagen; es gibt zahlreiche Hexenportale, Anhänger von Hexentum und Satanskult tummeln sich im Netz.
- Vor allem auf dem Land werden manche Frauen noch immer als "alte Hexe" bezeichnet. Und wenn jemand von der "alten Hexe" spricht, wissen alle sofort, was gemeint ist.
- Wir sagen, etwas sei "verhext" oder bekommen statt Rückenschmerzen einen "Hexenschuss".
- Landbewohner wissen, dass ihre Vorfahren noch bis ins 20. Jahrhundert hinein in Apotheken "Hexenpulver" kauften und ins Tierfutter mischten, um Schadenszauber vorzubeugen.
- In vielen Orten gibt es Hexenzünfte, also Fasnachtsvereine, die beispielsweise Besenumtriebe veranstalten.
- Zur Faschingszeit steht das Hexenkostüm stets hoch im Kurs; auch Männer präsentieren sich gern in Hexenkleidern.
- Mancherorts finden in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai Walpurgisfeiern statt. Dazu werden Feuer entzündet, die Menschen tanzen in den Mai, Verliebte springen gemeinsam über das Feuer. Zuweilen wird bei Walpurgisfeiern auch "Hexenbrennen" mit Holzfiguren veranstaltet. Hintergrund der Walpurgisnacht sind alte Hexensabbat-Beschreibungen.
- Feministinnen haben die Hexe zum Maskottchen erkoren.
Die Lehrkraft erklärt, dass all dies der Nachklang heftiger emotionaler und gesellschaftlicher Eruptionen ist, die Europa in mehreren Wellen von der frühen Neuzeit bis zu Beginn der Aufklärung erschüttern und die wir als Zeit der Hexenverfolgungen kennen.
Die Allgegenwart von Zauberwesen: Bevor auf die Verfolgungen eingegangen wird, erläutert die Lehrkraft, dass die Menschen in vergangenen Jahrhunderten fest von der Existenz von Hexen und Zauberern überzeugt sind. Um sich gefährlicher Dämonen zu erwehren, tragen sie Amulette, malen den Drudenfuß (umgekehrtes Pentagramm) an die Wand oder vergraben lebendige Katzen als Bauopfer unter der Türschwelle eines Hauses.
Mit dem Buchdruck kommt die massenhafte Verbreitung von Hexenbildern, die sich in den Köpfen festsetzen. Man hat nun konkrete Vorstellungen von Hexen und ihrem Tun und man weiß vom Hexensabbat (Trudentanz), dem orgiastischen Fest zu Ehren des Teufels. Dazu werden Bilder betrachtet bzw. gegoogelt.
Gerade in der frühen Neuzeit beschäftigen sich Künstler mit Hexen. Maler reagieren auf den sich ausbreitenden Hexenwahn, sie werden von der erotischen Faszination der Zauberwesen inspiriert. Betrachtet man Bilder, erfährt man viel über das Weltbild der Zeit, versteht, wie sich die Menschen das Wirken von Hexen vorstellen.
Beispiele:
- Schedelsche Weltchronik 1493; Hexe reitet mit dem Teufel.
- Hans Baldung Grien (1484/85-1545); Hexen werden als lüsterne, böse Verführerinnen gezeigt.
- Albrecht Dürer (1471-1528); "Die vier Frauen" (oder "Die vier Hexen", 1497) sind Dürers erster datierter Kupferstich, um 1500 präsentiert er eine rückwärts reitende Hexe auf einem Ziegenbock.
- Frans Francken der Jüngere (1581-1642) widmet sich Hexenversammlungen.
- David Teniers der Jüngere (1610-1690) zeigt junge nackte Hexen, die auf ihren Ritt auf dem Besen vorbereitet und eingesalbt werden, bevor durch den Kamin nach oben steigen und starten.
- Francisco de Goya (1746-1828), der von sich sagt "Ich bin ein Teufelsmaler", schafft eine Serie von sechs kleinen Arbeiten über die Hexerei ("Vuelo de brujas", "Caprichos", "Aquelarre", "El conjuro", "La cocina de brujas", "El hechizado por fuerza").
Verursacht durch Klimaänderung, Pest, Krieg, Konfessionalisierung und religiösen Fanatismus kommt es zu schweren Krisen, die Gesellschaft wird in ihren Grundfesten erschüttert. Schuldige werden gesucht, Hexen als Übeltäter ausfindig gemacht. Vorwürfe, die aus heutiger Sicht haarsträubend sind (Teufelsbuhlschaft, Hexensabbat, Schadenszauber wie das Verderben der Ernte, Wegzaubern der Manneskraft …), erscheinen aus damaliger Sicht quer durch alle Bevölkerungsschichten plausibel. So entsteht eine fatale Verfolgungsdynamik, die durch den Einsatz der Folter verstärkt wird. Gequälte "besagen" immer neue Personen (meist Nachbarn, Bekannte, Mitbürger), weitere Verhaftungen, Prozesse, Hinrichtungen folgen.
Gerade am Beispiel Bamberg, berichtet die Lehrkraft, ist zu sehen, wohin solch fehlgeleitetes Denken und Handeln führen kann.
Hören
Die Schülerinnen und Schüler hören die Sendung oder die Audioausschnitte.
Nacharbeit
Nachbearbeitung: Nun kann sich die Klasse mit den Arbeitsblättern beschäftigen.
Arbeitsblatt 1 (mit Audioclip 2) beschäftigt sich mit den Gründen der Hexenverfolgung.
Arbeitsblatt 2 (mit Audioclips 1 und 3) konzentriert sich auf Täter und Opfer.
Arbeitsblatt 3 lenkt den Blick auf den Junius-Brief aus dem Jahr 1628. Dieses kurz vor der Hinrichtung verfasste Abschiedschreiben des Bamberger Bürgermeisters Johannes Junius an seine Tochter macht die vernichtende Logik von Hexenverfahren besonders deutlich. Der Junius-Brief ist bei historicum.net und auf youtoube (Stichwort Johannesjunius) zu finden.
Erweiterung
Die Gegner der Hexenverfolgung
Ausgehend von den Bamberger Ereignissen kann sich die Klasse mit Gegnern der Hexenprozesse beschäftigen, die sich ab dem späten 16. Jahrhundert zu Wort melden. Nachdem der Buchdruck Heinrich Kramers "Hexenhammer" zum Bestseller gemacht hat, nutzen auch die Kritiker der Hexenjagd das neue Medium.
Ein Umdenken in der öffentlichen Meinung zugunsten der Opfer der Hexenverfolgung leitet der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) ein, der 1626/1627 in Würzburg zum Tode verurteilte Hexen als Beichtvater betreut. 1631 veröffentlicht er anonym seine Schrift "Cautio criminalis", eine Generalabrechnung mit den Hexenprozessen. Das Werk findet weite Verbreitung.
Weitere namhafte Kämpfer gegen den Hexenwahn sind der Arzt Johann Weyer (um 1514-1588), der katholische Theologe Cornelius Loos (1546-1595), der Pfarrer Anton Praetorius (1560-1630) sowie der evangelische Theologe Johann Matthäus Meyfart (1590-1642).
Trotz aller Kritik werden noch bis ins späte 18. Jahrhundert Hexen verbrannt. Die letzten bekannten Hinrichtungen finden in den 1790er Jahren in Posen statt. Die Verfolgung endet im Zuge der Aufklärung - als das Humanitätsideal Fuß fasst, die Naturwissenschaften Erklärungen für "magische" Ereignisse liefern und Machthabern wie Bürgern klar wird, dass Fortschritt und Wirtschaftsaufschwung Rechtsicherheit statt Willkürjustiz brauchen.
Ist Bamberg überall?
In den 1620er Jahren, als die Hexenhysterie in Bamberg dem Höhepunkt zusteuert, sehen sich Volk und Führung des Hochstifts von einem "Terrornetzwerk" bedroht. Vermutet wird eine Verschwörung in großem Stil (Hexensabbat). Viele Menschen glauben, dass ihnen eine bestens organisierte Sekte (Hexen, Druden) Schaden zufügt (Missernten, Preissteigerungen, "Jahr ohne Sommer"). Der Chef der "Terrorzellen" ist kein Geringerer als der Teufel. Um der Gefahr zu begegnen, scheint jedes Mittel recht. So gehen die Hexenkommissare mit rechtswidriger Brutalität gehen Hexen und Zauberer vor, es wird hemmungslos gefoltert, um den Verbrechern auf die Spur zu kommen.
Dass Jahrhunderte später ein Land der westlichen Wertegemeinschaft in die Nähe Bambergs geraten kann, zeigt das Beispiel USA. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York kann die Führung um Präsident George W. Bush der Folterversuchung nicht widerstehen. Sie gestattet "erweiterte Verhörtechniken" wie Waterboarding und betreibt mit der Sonderhaftanstalt für Terrorverdächtige auf Guantánamo und den vom Geheimdienst CIA rund um den Erdball betriebenen Geheimgefängnissen "moderne Malefizhäuser". Erst 2009 werden diese Maßnahmen gestoppt.
In Deutschland haben vor einigen Jahren Juristen und Historiker über Möglichkeiten nachgedacht, bei akuter Anschlagsgefahr Informationen aus Terrorverdächtigen unter Folter herauszupressen (Folter bei Gefahr im Verzug). Medien griffen das Thema auf, eine leidenschaftliche Debatte entbrannte.
Wichtig ist deshalb das Unterrichtsgespräch. Die Schülerinnen und Schüler sollen den autoproduktiven Charakter der Folter verstehen. Gefolterte legen nahezu jedes Geständnis ab, Unschuldige denunzieren unter der Folter andere Unschuldige, diese werden wiederum gefoltert - ein Teufelskreis. Zudem darf nicht vergessen werden, dass Menschenwürde das höchste Gut unseres Rechtsstaats ist (Artikel 1 Grundgesetz). Folter ist damit nicht vereinbar - auch wenn dies einigen selbsternannten Antiterrorkampfexperten naiv erscheinen mag.
Hexenverfolgung früher - und heute?
Es bietet sich an, ausgehend von der Hexenverfolgung, mit den Schülerinnen und Schülern über stetig wiederkehrende Verfolgungsmechanismen zu sprechen. Hier ein Szenario.
- Phantasien entwickeln sich und werden von Medien via Sensationsberichterstattung verbreitet, Stereotypen entstehen.
- In Krisenzeiten reagieren viele Menschen verunsichert; sie suchen nach Südenböcken, die die "Gemeinschaft" oder die "kulturelle Identität" zerstören.
- Gerüchte werden gestreut, Scharfmacher versuchen die "Ängste des Volkes" für ihre Zwecke zu nutzen. Verschwörungstheorien wirken als Brandbeschleuniger.
- Es kommt zu Übergriffen durch Fanatiker und Fällen von Lynchjustiz.
- Teile "des Volkes" verlangen ein hartes Vorgehen gegen bestimmte Personengruppen und üben öffentlichen Druck aus. Politiker wollen sich der "Volksbewegung" andienen und Aktionsfähigkeit beweisen, Verfolgungen auf Initiative von unten beginnen.
- Auch Verfolgungen auf Initiative von oben sind vorstellbar: Politiker zeigen, dass sie hart durchgreifen können und zu (präventiven) Abwehrmaßnahmen fähig sind; sie nutzen dabei die Gelegenheit, aufmüpfige Personen zu disziplinieren.
- Denunziationen ist Tür und Tor geöffnet (Gründe sind Neid, Nachbarschaftsstreit, Familienfehden, Geschäftsinteressen, Gewinnsucht).
Und am Ende brennen - im übertragenen Sinne - die Scheiterhaufen.
Diskussion: Was können Zivilgesellschaft und Staat tun, um das Entstehen solch verhängnisvoller Ereignisketten zu verhindern?
Weitere Gesprächsthemen
- Wie ist der Satz des Historikers und FAZ-Autors Oliver Jungen "Die frühe Neuzeit hat mit der Hexe eine Bad Bank für alle toxischen Gedanken und irrationalen Ängste gegründet" zu verstehen?
- Macht euch mit dem bekannten Märchen "Hänsel und Gretel" vertraut. Wie endet das Märchen? Wie verhalten sich Hänsel und Gretel nach dem Tod der Hexe? Wie bewertet ihr das Märchen nachdem ihr die Sendung über die Hexenjagd in Bamberg gehört habt? (Kurzfassung "Hänsel und Gretel": Eine Menschen fressende Hexe fängt Kinder, um sie zu mästen und später zu braten. Als sich die Gelegenheit bietet, stößt Gretel die Hexe in den Ofen, sie verbrennt bei lebendigem Leib. Die Kinder nehmen die Schätze aus dem Hexenhaus mit und gehen nach Hause. / Anlehnungen an die Hexenverfolgungen sind unverkennbar: Die Hexe wird als lebensgefährliche Bedrohung erkannt und verbrannt, man bereichert sich an ihrem Besitz - Bamberg lässt grüßen).
- Was wäre in den 1620er Jahren in Bamberg mit Jugendlichen geschehen, die sich für Harry Potter begeistert hätten?
Lehrplanbezug
Lehrplan für die bayerische Mittelschule
Geschichte - Sozialkunde - Erdkunde
7. Jahrgangsstufe
7.4 Das Konfessionelle Zeitalter
7.4.2 Der Dreißigjährige Krieg 1618 - 1648
- Ursachen, Verlauf und Ergebnis des Krieges; Alltag
Wiederholen, Üben, Anwenden, Vertiefen
- Hintergründe der Konfessionalisierung
- die Erinnerung an die Reformation oder den 30-jährigen Krieg in der Region
- Jahreszahlen: 1517, 1618-1648
Lehrplan für die bayerische Realschule
Geschichte
7. Jahrgangsstufe
7.3 Europa im Wandel vom Mittelalter zur Neuzeit
- Wandel in der Informations- und Wissensvermittlung: die Druckmedien
- "Frühkapitalismus"
7.4 Reformation und Kampf um die Vorherrschaft in Europa
Reformation und Konfessionalisierung
- Luthers Glaubensverständnis und die Reaktionen geistlicher und weltlicher Macht
- Ausformung der evangelisch-lutherischen, reformierten und katholischen Konfession
- Intoleranz in der frühen Neuzeit am Beispiel der Hexenverfolgungen
Der Dreißigjährige Krieg als Kampf um die Vorherrschaft in Europa
- Kriegsführung und Leiden der Bevölkerung
8. Jahrgangsstufe
8.2 Prägung Europas durch Barock und Aufklärung
Die Aufklärung: Ideen und Auswirkungen
- Veränderung der Weltsicht durch Rationalismus und Naturwissenschaften; Säkularisierung
- gesellschaftlich-kulturelle Auswirkungen der Aufklärung in Deutschland
Lehrplan für das bayerische Gymnasium
Geschichte
7. Jahrgangsstufe
7.3 Neue geistige und räumliche Horizonte
Die Zeit zwischen 1350 und 1650 begreifen die Schüler als eine Epoche grundlegender Veränderungen hinsichtlich der konfessionellen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
- Krisenerscheinungen im späten Mittelalter, u. a. Pest
- Anfänge moderner Wirtschaftsformen am Beispiel der Medici, Welser oder Fugger
- Renaissance und Humanismus, u. a. neues Menschenbild; Erfindungen
- Reformation, Bauernkrieg, konfessionelle Spaltung
- der Dreißigjährige Krieg als konfessionelle und machtpolitische Auseinandersetzung