"Unschuldig muss ich sterben"
Geschichte | MS, RS, Gy |
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Zwischen 1590 und 1630 herrscht in Bamberg Hexenhysterie. Exzessive Verfolgung und hemmungslose Folter münden in einen unfassbaren Massenmord. Ob Ratsherr oder armes Kräuterweib, ob Mann, Frau oder Kind - jedem droht der Feuertod.
Europa um 1600 - Zeit der Unruhe
Die frühe Neuzeit verspüren viele Menschen in Europa als Ära der Modernisierung, aber auch des Schreckens und der Angst. Die Naturwissenschaften erleben einen Aufschwung, das Schießpulver revolutioniert die Kriegsführung. Johann Guttenberg erfindet um 1445 den Buchdruck mit wechselbaren Metalllettern, die Entdecker gehen mit neuer Navigationstechnik auf große Fahrt. Handelshäuser entstehen, der Frühkapitalismus entfaltet sich. Gleichzeitig sorgen Glaubensspaltung, Ausbreitung der Reformation und gewaltsame Rekatholisierung für tiefe Verunsicherung. Pestschübe dezimieren die Bevölkerung, schließlich bringt der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) Tod, Hungersnöte und Zerstörung. In manchen Gegenden vernichtet umherziehendes Lumpenmilitariat sämtliche Lebensgrundlagen der Bewohner.
Zudem macht sich eine Klimaänderung, die "Kleine Eiszeit", mit kalten Wintern und kühlen, regnerischen Sommern bemerkbar. Missernten lassen die Getreidepreise explodieren, Krankheiten raffen das Vieh dahin. Zahlreiche Menschen reagieren verstört - Gott, so scheint es, zürnt ihnen. Doch wer ruft die Wut des Herrn hervor, wer verursacht die schrecklichen Plagen? Die Suche nach den Schuldigen beginnt.
Hexenwahn als Massenphänomen
Schnell sind die Missetäter gefunden: Hexen und "Drudner" üben gefährlichen Schadenszauber aus! Sie haben einen Pakt mit dem Bösen geschlossen, betreiben "Teufelsbuhlschaft" (Sex mit dem Satan), reiten durch die Lüfte, sind Kannibalen und treffen sich an entlegenen Orten zum "Hexensabbat". Hier feiern sie hemmungslose Orgien und planen neue, grausame Verbrechen.
Solche Phantasmen passen gut ins weitverbreitete magische Weltbild der Zeit. Für die meisten Menschen ist die Aktivität ruheloser Dämonen ebenso real wie die Existenz geheimer Terrorzellen unter dem Kommando des Teufels. Der Buchdruck tut ein Übriges: Hexenbilder und Sensationsberichte finden weite Verbreitung; sie verankern sich in den Köpfen und werden zum Bewusstseinsinhalt. Es kommt, wie Verhörprotokolle von Hexenprozessen mit konformen Aussagen belegen, zur Stereotypenbildung.
Das Monumentalverbrechen Hexenverschwörung ist auch für den aus dem elsässischen Schlettstadt stammende Dominikaner Heinrich Kramer (ca. 1430-1505) zur fixen Idee geworden. Er verfasst den "Hexenhammer" (Malleus maleficarum, 1487), eine Art Leitfaden für Hexenjäger. Kramer, der sich am Ende seines Lebens einer persönlichen Abschussliste mit mehr als 200 Hexen rühmt, kann sich auf die Bibel berufen. Darin heißt es: "Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen" (Buch Exodus, Kapitel 22).
Bereits der Theologe Thomas von Aquin (1225-1274) hat in der Summa contra gentiles auf Hexentaten mit Teufelshilfe hingewiesen, Papst Gregor IX. (1167-1241) macht im Schreiben Vox in rama auf den Zusammenhang von Ketzerei und Teufelsanbetung aufmerksam. Mit der Bekämpfung von Häretikern (Anhängern von "Irrlehren") und dem harten Vorgehen gegen die Sekten der Katharer und Waldenser im 13. Jahrhundert öffnet die Kirche auch das Tor zur legalen Hexenverfolgung. Am Rande des Konzils von Basel (1431-1449) treffen sich Hexentheoretiker zum Gedankenaustausch, Papst Innozenz VIII. (1432-1492) erlässt 1484 die Bulle Summis desiderantes affectibus. Martin Luther (1483-1546) befürwortet ebenfalls die Vernichtung von Hexen.
Die Scheiterhaufen brennen
In den Halsgerichtsordnungen von Kleinstaaten wird Hexerei als todeswürdiges Verbrechen aufgeführt, auch im Strafgesetzbuch Constitutio Criminalis Carolina (1532) von Kaiser Karl V. taucht das Delikt Schadenszauber auf; zudem ist Folter zur Geständnisgewinnung gestattet. Der Feuertod soll Hexen vom Teufel befreien.
Nach einer ersten Häufung von Prozessen im Westalpenraum breitet sich die Hexenpanik ab dem frühen 15. Jahrhundert mehr und mehr aus. Die Schadenszauber-/Hexensabbathetze verselbständigt sich, das Papsttum und die seit 1542 in Rom zentralisierte Inquisition verlieren, abgesehen von Italien, jegliche Kontrolle. Schließlich wird Europa von zwei großen Verfolgungswellen erfasst: zunächst im Zeitraum 1570 bis 1630, dann von 1650 bis 1680. Anschließend ebbt das Hexenbrennen ab, endet aber unter dem Einfluss der Aufklärung erst im späten 18. Jahrhundert. Die Hexenverfolgung wird nicht zentral gelenkt und findet auch nicht flächendeckend statt. Betroffen sind sowohl katholische als auch protestantische Gebiete. Manche Regionen wie die calivinistische Kurpfalz bleiben nahezu gänzlich verschont, während es etwa in Franken zu regelrechten Exzessen kommt.
In Zentralstaaten wie Frankreich und kosmopolitisch geprägten Städten wie Amsterdam oder Neapel hält sich der Hexenwahn in Grenzen. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, einem staatspolitischen Flickenteppich, können sich Hexenbrenner ungehindert austoben. Mancherorts stehen Klerus und lokale Obrigkeit an vorderster Front, manchmal halten sie sich zurück, während Laienrichter wüten und das Volk Lynchjustiz betreibt. Es kommt auch immer wieder vor, dass Machthaber aufmüpfige Untertanen mit Hexenverfolgung disziplinieren. In Bayern beispielsweise wird im Jahr 1600 die Familie Pämb grausam gefoltert und wegen Hexerei hingerichtet. Herzog Maximilian I. (1573-1651) nutzt den Prozess, um Landfahrer und Kleinkriminelle einzuschüchtern.
Insgesamt werden europaweit 50.000 bis 60.000 Menschen wegen Hexerei getötet, die Hälfte davon allein in Deutschland. Etwa 75 Prozent sind Frauen, der Rest Männer und Kinder. Die Opfer stammen aus allen Bevölkerungsschichten. Angehörige dörflicher und städtischer Eliten kann es ebenso treffen wie Geistliche, arme "Kräuterhexen" oder Bauern. Am ehesten bleibt der Adel verschont.
Hexenjagd in Franken
In Franken gibt es in der frühen Neuzeit drei Hochstifte: Bamberg, Eichstätt und Würzburg. Es handelt sich um räumlich wie geistig eher beengte Kleinstaaten, die zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehören. An der Spitze stehen katholische Fürstbischöfe, die zugleich geistliche Oberhirten und weltliche Territorialherrn sind. Gerade diese Konstellation macht die fränkischen Hochstifte anfällig für eine gnadenlose "Hexenpolitik".
In Zeiten sozialer Krisen, religiöser Unsicherheit und unerklärbarer Wetterphänomene verfügen die Herren eines Hochstifts über die nötigen Machtmittel, um zu zeigen, dass sie durchgreifen können. Mangels Korrektiv, das die Verfolgungswut von "Hexenbischöfen" bremsen könnte, entstehen in Franken Hochburgen des Terrors. Hier entfaltet sich ungehindert die Hexenverfolgung von unten (das Volk erzeugt öffentlichen Druck und verlangt bei Naturkatastrophen nach Schuldigen) und von oben (der Bischof und seine Hexenkommissare agieren als Herren über Leben und Tod).
In Franken wüten Überzeugungstäter und Denunzianten, hier bringt ein Gemenge aus Gottesfurcht, vermeintlicher Konfessionsverteidigung, Aberglaube, Machthunger, Geldgier, Neid und Missgunst ein von wahnhaftem Fanatismus geprägtes Verfolgungssystem hervor. So verwundert es nicht, dass bei Hexenverfahren gegen geltende (Folter-)Gesetze verstoßen wird und dass sich die Spirale Denunziation - Anklage - Folter - Selbstbezichtigung - Beschuldigung anderer - Verhaftungswellen - Hinrichtungen immer schneller dreht. Nach Schätzungen kommen dabei mehr als 3.000 Unschuldige, die sich oft gegenseitig in den Folterkeller bringen, ums Leben.
Bamberg - Vernichtungskrieg gegen Hexen und Zauberer
Das Hochstift Bamberg verfügt um 1600 über Streubesitz bis in die Alpen hinein und zählt etwa 150.000 Einwohner, in der Stadt Bamberg leben 8.000 bis 10.000 Menschen. Nach ersten Hexentötungen in den 1590er Jahren steigert sich vor allem nach Naturereignissen (zum Beispiel Nachtfröste im Mai/Juni, Erfrieren der Feldfrüchte, Missernten) die Hexenhatz zur Hysterie. In drei großen Verfolgungsschüben (1612/1613, 1616-1619, 1626-1630) werden mehr als 1.000 Menschen des Schadenszaubers verdächtigt, gefoltert und umgebracht. Besonders häufig brennen die Scheiterhaufen im klimageschichtlich auffälligen "Jahr ohne Sommer" 1628.
Unterstützt von seinem Weihbischof Friedrich Förner (1570-1630), einem von religiösem Eifer beseelten Scharfmacher, geht Fürstbischof Johann Georg II. Fuchs von Dornheim (1586-1633) systematisch gegen Hexen vor. Einen reibungslosen Ablauf der Prozesse soll das hochrangig besetzte Malefizamt (Malefiz = Missetat, Verbrechen) gewährleisten; ihm gehören der Kanzler (weltlicher Geschäftsführer des Hochstifts), Räte und Juristen an. Auch Sonderermittler kommen zum Einsatz, die ganze Familien auslöschen, Ratsmitglieder und sogar einen angesehenen Bürgermeister, Johannes Junius (1573-1628), ins Visier nehmen. Selbst der langjährige bischöfliche Kanzler Dr. Georg Haan (1568-1628), ein Kritiker der Hexenprozesse, der Sand ins Getriebe streut, indem er die Mittel für die Verfolgung kürzt, wird als Zauberer denunziert, malträtiert, enthauptet und verbrannt.
Hexenverfolgung extrem in Bamberg
Am Beispiel Bambergs lassen sich alle Facetten der europäischen Hexenverfolgung betrachten - gebündelt wie unter einem Brennglas. Die Hauptverantwortlichen sind keine finsteren, perversen Verbrecher. Sie handeln, wie der Experte der Sendung, Professor Günter Dippold betont, aus Überzeugung; Schuldgefühle sind ihnen fremd. Sie zweifeln nicht daran, dass Menschen mit dem Teufel im Bunde stehen, und sind bereit, in die Abwehrschlacht gegen dunkle Mächte zu ziehen. Dabei ist ihnen jedes Mittel recht - schließlich gilt Hexerei als Ausnahmeverbrechen, bei dem die Anwendung von "Notstandsgesetzen" angebracht erscheint. Entgegen den Regeln der Carolina wird in Bamberg hemmungslos gefoltert, um Geständnisse zu erpressen und immer neue "Besagungen" zu erzwingen. Sondertribunale betreiben Eilverfahren, Beschuldigte haben kein Recht auf Verteidigung, das Todesurteil ist ihnen zumeist sicher. Wer in den Genuss einer Begnadigung kommt, wird vor dem Verbrennen geköpft.
Anfangs befinden sich Folterzentrale und Richtstätte des Hochstifts in der Exklave Zeil, dann wird 1626/27 in Bamberg ein Sondergefängnis, das Malefizhaus, zur Beschleunigung der Hexenprozesse eingerichtet. Und um kostengünstiger verbrennen zu können, bauen die Hexenjäger ein Holz sparendes Krematorium. Mahnungen zur Mäßigung werden ignoriert. Seiner göttlichen Mission gewiss lässt Fürstbischof Fuchs von Dornheim im Mai 1630 die aus einer Nürnberger Patrizierfamilie stammende Ratsherrngattin Dorothea Flock, die in der Haft ihr Kind zur Welt bringt, hinrichten - obwohl sich der Reichhofrat in Wien mit dem Fall beschäftigt und ein Schutzdekret des Papstes nach Bamberg gesandt wird.
Und natürlich ist in Bamberg viel Menschliches, allzu Menschliches im Spiel. Nachbarschaftsstreitigkeiten und Familienfehden münden in Denunziation, auch Geschäftsinteressen, Neid und Gewinnsucht spielen eine Rolle, wenn Hexen oder "Drudner" angezeigt werden. Hexenjäger vergreifen sich am Besitz ihrer Opfer und das Hochstift profitiert, wenn Wohlhabende der Zauberei überführt werden - ihr Hab und Gut wird konfisziert.
Das Ende der Massentötung in Bamberg
Der Fall Dorothea Flock markiert einen Wendepunkt. Noch im Jahr 1630 beschäftigt sich der Kurfürstentag in Regensburg, an dem Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) teilnimmt, mit den Vorgängen in Bamberg. Auch der Reichshofrat in Wien wird 1630/1631 aktiv. Die Gerichtsbehörde des Kaisers nimmt die Bamberger Hexenprozesse unter die Lupe und erkennt gravierende Formfehler, wie das willkürliche, lang anhaltende Foltern von Verdächtigen entgegen dem Regelwerk der Carolina, das unter anderem den Freispruch bei geständnislosem Anwenden der "peinlichen Frage" vorsieht.
Zwar lässt der Bamberger Fürstbischof Gerichtsakten fälschen, doch seine Verschleierungsversuche schlagen fehl. Der Kaiser ordnet an, die Haftbedingungen im Malefizhaus zu erleichtern und untersagt das Einziehen des Besitzes Verurteilter zugunsten der "Kriegskasse" des Hochstifts. Damit ist den Bamberger Hexenbrennern die ökonomische Basis entzogen. Schließlich setzt der Vormarsch der Schweden auf Bamberg 1631/1632 der Blutorgie endgültig ein Ende. Johann Georg II. Fuchs von Dornheim flieht ins österreichische Exil und stirbt im März 1633 an den Folgen eines Schlaganfalls.