Bayern 2 - radioWissen

Innovationsschübe

Humanismus in Bayern Innovationsschübe

Stand: 23.09.2019

Konrad Peutinger  (1465-1547) - Humanist, Stadtschreiber in Augsburg, Sammler von Handschriften, vertrauter Kaiser Maximilians I.. Schabkunstblatt von Johann Jakob Haid nach einem zeitgen. Bildnis | Bild: picture-alliance/dpa

Um 1500 ist die humanistische Bewegung auch in Deutschland breit vertreten. Vermittler ihres Gedankenguts, ihrer Gepflogenheiten und Methoden sind zum einen italienische "Wanderhumanisten", die an deutschen Universitäten lehren oder an geistlichen und weltlichen Höfen als Berater, Erzieher, Künstler wirken. Zum andern zieht es immer mehr deutsche Studenten und Gelehrte an die italienischen Bildungszentren, wo sie die neuen Ideen aufnehmen und nach ihrer Rückkehr in der Heimat verbreiten. Frühe Kristallisationsorte des deutschen Humanismus sind neben einzelnen Fürstenhöfen, aufgeschlossenen Mönchen und Prälaten wie dem Augsburger Bischof Peter von Schaumberg (1388 - 1469) hauptsächlich die aufstrebenden Handelsstädte und Universitäten. Die jungen urbanen Zentren schwächen die bislang tonangebende Rolle der Höfe oder Klöster und behaupten sich als kulturprägende Faktoren der Neuzeit.

Mäzene fördern die Gelehrtenkultur

Der Humanismus gewinnt überall dort rasch an Boden, wo einflussreiche und wohlhabende Mäzene seine Ideen unterstützen. Auf Reichsebene fördern Kaiser Friedrich III. und sein Nachfolger Maximilian I. die humanistische Bewegung, indem sie Dichter krönen, die Gründung humanistischer Zirkel anregen und Gelehrte als Berater an den Hof binden. In den Städten werden überwiegend Kaufleute und Patrizier als Gönner aktiv, indem sie beispielsweise die Suche nach Handschriften oder den Druck seltener Schriften beauftragen, ihre Bibliotheken und Schausammlungen zugänglich machen, humanistische Zirkel einrichten und Studienreisen von Künstlern, Gelehrten und Studenten bezuschussen. Das Paradebeispiel eines Mäzens, der selbst ein prominenter Humanist ist und die Strömung nach Kräften fördert, ist der Augsburger Patrizier Konrad Peutinger (1465 - 1547). Er trägt die Auslagen für Dürers erste Italienreise, kauft Bilder und Bücher an, richtet eine berühmte Sammlung von Altertümern (antiquitates) ein, schart Gleichgesinnte um sich, berät die Politik und ist selbst schriftstellerisch tätig.

Augsburg und Nürnberg

In Bayern nehmen Nürnberg und Augsburg eine klare Vorreiterrolle bei der Einbürgerung und Ausbreitung des Humanismus ein. Beide Städte bieten dafür günstige Rahmenbedingungen: Sie sind Wirtschafts-, Handels- und Kulturmetropolen von europäischem Rang, liegen an den großen Handelsstraßen und fungieren mit ihrem internationalen Publikum als Umschlagplätze für Waren und Gedanken. Sowohl in Augsburg als auch in Nürnberg ist eine neue Schicht zu Wohlstand und Einfluss gelangt, die nun darangeht, die gewonnenen Freiheiten auszuweiten und dabei eigene kulturelle Akzente setzt. Im Verlauf dieser politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umschichtung wird es für Kaufleute und Patrizier üblich, ihre Söhne zur Ausbildung nach Italien zu schicken und Besuch aus dem Ausland zu empfangen. Diese Begegnungen fördern eine humanistisch getönte, „frühbürgerliche“ Kultur, die die alte, feudale Adelskultur abzulösen beginnt.

Wirtschaftlicher Aufschwung

Über den Prestigezuwachs hinaus entpuppt sich der Humanismus für die Städte als handfester Wirtschaftsfaktor. Er zieht Neubürger an, steigert die Gewerbevielfalt und schafft Arbeitsplätze in Bereichen, wo die Gelehrtenkultur eine neue Nachfrage anschiebt. Das betrifft vor allem die Papier- und Buchproduktion mit ihren zuliefernden Gewerken. Daher sind die Zentren des bayerischen Humanismus zugleich auch die ersten Hochburgen des Buchdrucks. Die frühesten und lange Zeit führenden Druckereien entstehen in Augsburg und in Nürnberg, wo sich um 1470 gleich drei überregional bedeutsame Betriebe niederlassen. Der prominenteste dieses Dreigestirns ist Anton Koberger (1440 - 1513), der "König der Buchdrucker". Er baut in kürzester Zeit ein Großunternehmen mit 25 Pressen und mehr als 100 Angestellten auf, betreibt eigene Papierfabriken, unterhält Filialen in Wien, Lyon und Basel. In den Folgejahren breitet sich die "Schwarze Kunst" in ganz Bayern aus: 1478 in Eichstätt, 1479 in Würzburg, 1482 folgen München und Passau, 1485 Regensburg.

Pflanzstätte des Humanismus in Bayern

Neben Augsburg und Nürnberg entwickelt sich Ingolstadt im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts zum fruchtbaren Inkubationszentrum der humanistischen Kultur in Bayern. Der Aufschwung beginnt 1472. In diesem Jahr gründet Herzog Ludwig IX. genannt "der Reiche" (1417 – 1479, reg. 1450 - 1479), die päpstlich privilegierte "Hohe Schule zu Ingolstadt" als erste Universität Bayerns. Bereits ab 1477 finden in Ingolstadt Vorlesungen zur Dichtkunst statt, ab 1505 ist das Studium des Hebräischen, ab 1515 auch des Griechischen möglich. Durch bedeutende Professoren wie Conrad Celtis (1459 - 1508), Jakob Locher (1471 - 1528) oder Johannes Reuchlin (1455 - 1522) reift die Academia ingolstadiensis innerhalb weniger Jahrzehnte zum landesweit ausstrahlenden Mittelpunkt der humanistischen Gelehrtenkultur in Bayern.

Kampf gegen die Scholastik

Obwohl der Humanismus um 1500 an den Universitäten durchaus eingewachsen ist und seinen Einfluss verstärkt, kann von einem akademischen Durchmarsch keine Rede sein. Bis zur Mitte des 16.Jahrhunderts geben in Deutschland und auch in Ingolstadt die Anhänger der Scholastik den Ton an. Sie vertreten eine Methode der Argumentation und Beweisführung, die seit dem Mittelalter den gesamten Wissenschaftsbetrieb organisiert und sich als allgemein akzeptierte Beweisführungsstrategie durchgesetzt hat. In ihrem Kern ist die Scholastik ein kontrolliertes Verfahren, das erlaubt, Aussagen und Behauptungen mittels logischer Fragen und Schlüsse als entweder wahr oder falsch zu erkennen. Das bevorzugte Werkzeug scholastischer Wahrheitsfindung ist der logische Schluss von einem allgemeingültigen Grundsatz auf das Besondere. Richtig durchgeführt ergibt das deduktive, also herleitende Verfahren, nach Überzeugung der Scholastiker eine zwingend irrtumsfreie Beweiskette.

Leben gestalten statt Haare spalten

Während die Scholastiker versuchen, die institutionelle Verankerung des Humanismus an den Universitäten zu verhindern, lehnen prominente Humanisten wie Locher, Celtis, Melanchthon und Erasmus ihrerseits das scholastische Denken als "kindische Haarspalterei", nutzlose Spitzfindigkeit" oder "lebensferne Gedankenspielerei" ab. Die Kritik entzündet sich hauptsächlich am scholastischen Hang zu metaphysischen Spekulationen und endlosen akademischen Schaudisputen ohne Realitätsbezug und lebenspraktische Gestaltungskraft. Gegen die "kindischen Streitigkeiten, über denen wir dahinsiechen" hilft dem Ingolstädter Rhetorik- und Poesieprofessor Conrad Celtis zufolge nur eins: Die im Sinne Ciceros gestaltete Verbindung von sapientia (Weisheit) und eloquentia (Beredsamkeit), "weil nur durch die Kräfte der Sprache und das Wirken der Weisheit die menschliche Gesellschaft (…) reinste Sitten und größte Reiche erhalten und gelenkt werden können."

Zurück zur Übersichtsseite

Zeitgenössische Handschrift des Humanisten Ulrich von Hutten aus der Hutten-Sammlung in Fulda | Bild: picture-alliance/dpa zum Thema Humanismus in Bayern Peutinger, Aventinus & Co.

Im 15. und 16. Jahrhundert wagen junge Gelehrte ein unerhörtes Abenteuer: Sie rebellieren gegen den Geist des Mittelalters und gründen auf dem Erbe der Antike ein neues Bild vom wahren Menschen. [mehr]