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Die Schlacht am Little Bighorn Das Thema

Stand: 20.01.2014 | Archiv

Battlefield Monument | Bild: picture-alliance/dpa

Im kniehohen Gras stehen schlichte weiße Steine, jeder für einen toten Soldaten. Am Ufer des Flusses sind die weißen Steine noch vereinzelt, aber dann, in Richtung der Spitze eines Hügels werden sie immer dichter. Ganz oben ist ein kleines Geviert eingezäunt. Hier stehen die meisten weißen Steine und aus ihrer Mitte erhebt sich ein großer Obelisk aus Granit. In seine vier Flanken sind Namen eingemeißelt – als erster George Armstrong Custer, General, danach die Offiziere und Soldaten des 7. Kavallerieregiments, die am 25. Juni 1876 am Little Bighorn River gefallen sind. 261 Namen.

Die Geschichte haben die Weißen geschrieben. Die Indianer haben sie nur weitererzählt. Also hieß das Gelände zu Ehren General Clusters "Custer Battlefield National Monument". Erst 2003 entschloss man sich, das Mahnmal in "Little Bighorn Battlefield National Monument umzubenennen. Wir befinden uns im Südosten des US-Bundesstaates Montana, nahe der Grenze zu Wyoming und South Dakota. Sanft schwingen die Hügel hinaus in die Ebene der Prärie, wie Wellen in einem riesigen Ozean, der sich bis zum Horizont erstreckt, überzogen von hohem Präriegras, das je nach Jahreszeit wie ein grauer, grüner oder brauner Teppich auf der Landschaft liegt. Stumm ist das Land, einsam, keine Siedlung weit und breit.

Ein kleiner Fluss lockert das gleichförmige Bild auf. Schnell dahinfließend, kristallklar das Wasser, windet sich der Little Bighorn River durch das Hügelland. Für die Ureinwohner war dieser Fluss das Wasser am "Fetten Gras" – Hinweis, dass es hier von Büffeln und Antilopen nur so wimmelte, dass die Ponys hier ideale Weiden fanden, dass diese Gegend ein ideales Gelände für die Jagd war, – Land, das sie nie freiwillig hergeben wollten.
 

General Custer – Kriegsheld oder Karrierist?

Der Ort ist zu einem Mythos der US-amerikanischen Geschichte geworden, und Hollywoods Filmstudios haben sich über diese Geschichte genauso hergemacht wie Autoren billiger Groschenromane.

Zinnfigur von General Custer

George Armstrong Custer, der General mit dem langen blonden Haar, von den Indianern deswegen auch "Long Hair" genannt, galt lange Zeit als Nationalheld, ein Märtyrer für die Sache der Zivilisation, der bis zur letzten Kugel bei seinen Männern an jenem Hügel über dem Little Bighorn River ausgeharrt hatte. Und auf der anderen Seite eine Übermacht halbnackter Wilder, die den Fortschritt aufhalten wollten, und hier ihren letzten Sieg über die tapferen Männer der U.S. Army errangen.

Man kann es auch ganz anders sehen. Ein übereifriger, vom Ehrgeiz zerfressener General führte entgegen allen Warnungen und Befehlen, die er bekommen hatte, 261 Männer seiner Truppe in den sicheren Tod. Denn auf der anderen Seite standen ihm zwei visionäre, taktisch äußerst kluge Heerführer gegenüber – Crazy Horse, Häuptling der Oglalas, und Sitting Bull, Häuptling der Hunkpapas. Beide waren entschlossen, die Lebensräume ihres Volkes zu verteidigen, selbst wenn sie sich im klaren darüber waren, dass sie letzten Endes das Vordringen der Weißen und damit das Ende ihrer Freiheit nicht aufhalten konnten.

"Statt mit den Weißen Frieden zu schließen und ihre Geschenke anzunehmen, solltet ihr auf die Jagd gehen und euch mit Büffelfleisch die Bäuche füllen. Wenn ihr ein Pferd braucht, dann geht zu irgendeinem der Forts und stehlt eines. Seht mich an. Ich bin arm, auch mein Volk ist arm. Gewiss werden mich die Weißen eines Tages erwischen, doch bis dahin werde ich noch viel Ehre einheimsen und viel Freude haben. Ihr Narren! Für ein Stück Speck, einen Zwieback, etwas Zucker und Kaffee macht ihr euch selbst zu Sklaven."

Sitting Bull

Das hatte Sitting Bull den befreundeten Assiniboins vorgehalten, als diese sich entschlossen, das freie Leben in der Prärie aufzugeben und sich auf einem Reservat unter die Obhut der Regierung zu stellen.

"In den Westen zieht der Stern des neuen Staates. Unzählige Züge von Siedlern überqueren den Mississippi und den Missouri, um sich in den reichen und fruchtbaren Gebieten dahinter niederzulassen. Die Flut der Siedler stürmt auf die untergehende Sonne zu und erweitert die Grenze unserer Zivilisation."

Steht in Custers Aufzeichnungen über sein Leben in der Prärie zu lesen.  

Vertreibung aus dem gelobten Land

So hat man alles, was zu einem Mythos gehört: Einen Ort des Geschehens – das hügelige Land am Little Bighorn River – und zwei drei Namen von handelnden Personen. Aber Geschichte ist komplizierter. Die Schlacht am Little Bighorn war der vorletzte Höhepunkt einer langen Geschichte von Vertreibungen. Zuerst kamen von Osten die Lakotas, ein räuberisches Nomadenvolk, bei uns besser bekannt unter dem Namen "Sioux", den sie von ihren Gegnern bekommen hatten und der tatsächlich "Feind" bedeutet. Die Lakotas verdrängten die Crows und Shoshonis aus den reichen Jagdgründen im Norden der "Great Plains". Dann kamen die Weißen und begannen, die Lakotas aus jener Gegend zu vertreiben. Sie schossen Millionen von Büffeln ab und vernichteten so die Lebensgrundlage der Prärievölker. Die wiederum wehrten sich heftig mit Überfällen und kleinen Scharmützeln, konnten letztendlich aber das Vordringen einer technisch und materiell weit überlegenen Zivilisation nicht aufhalten.

Der Drang nach Westen, wo für die weißen Einwanderer das Land der Verheißung lag, wo die Erde fruchtbar und der Boden voller Gold war, stand unter dem Schutz der Regierung und damit der U. S. Army. Und dieser Druck wurde noch erhöht durch das Vordringen der Eisenbahn, die auf dem Weg nach Westen durch das Indianerland gebaut werden musste. "Union Pacific", "Kansas Pacific" und "Northern Pacific" waren nicht nur kapitalkräftige Gesellschaften, die sich politische Unterstützung in Washington tatsächlich jederzeit erkaufen konnten, sondern sie waren auch das Mittel, um "Manifest Destiny" zu erfüllen, die von der Vorsehung beschlossene Eroberung des Kontinents durch den Weißen Mann. Wer diesem Vorhaben im Wege stand, war verloren.

1868 waren General Custer und das 7. Kavallerie-Regiment schon einmal in den Indianerkriegen aufgefallen. Am Washita River hatten sie ein Lager der Cheyennes angegriffen und vor allem Frauen und Kinder niedergemetzelt. Davon spricht kaum jemand. Nur Spezialisten kennen diese Geschichte. Das Gleiche gilt für die Lakotas, denen es zwischen 1866 und 1868 gelungen war, das Vordringen der Weißen Richtung Montana am Bozeman Trail aufzuhalten.

Über das Geschehen am Little Bighorn wird aber hundertdreißig Jahre später noch gesprochen, weil eben an diesem einen Punkt alles zusammenkam: ein ruhmsüchtiger General, dem man nachsagt, er wollte mit einem Triumph über die vereinten Lakotas die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten gewinnen, zwei visionäre Häuptlinge, die mit ihren Kriegern hoffnungslos unterlegen und doch entschlossen waren, ein letztes Mal um die Freiheit ihres Volkes zu kämpfen – und dieses eine Mal noch tatsächlich als Sieger die Schlachtstätte verließen. Wenn solche Pole – die Hybris der weißen Zivilisation und die Romantik des edlen Wilden – aufeinandertreffen, dann wird Geschichte gemacht. In diesem Fall eben am Ufer eines kleinen Flusses im südöstlichen Montana.


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