Bayern 2 - radioWissen


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Synagoge, Ghetto und Gelehrte

Von: Volker Eklkofer, Simon Demmelhuber / Sendung: Thomas Muggenthaler

Stand: 24.10.2014 | Archiv

Synagoge, Ghetto, Gelehrte: Jüdisches Leben in Regensburg

GeschichteMS, RS, Gy

Gebraucht, geschützt und geachtet, verfemt, verfolgt und vertrieben: Die Regensburger Juden erlebten glänzende und finstere Zeiten. 1519 wurde die älteste jüdische Gemeinde Bayerns von christlichen Fanatikern ausgelöscht. Die Wunde schmerzt noch heute.

Die Anfänge: Werbung um jüdische Zuwanderer

Seit dem 9. Jahrhundert fördern deutsche Kaiser, Könige und Bischöfe die Ansiedlung jüdischer Kaufleute im Reichsgebiet. Auslöser dieser Zuwanderungspolitik sind handfeste Wirtschaftsinteressen: Als erfahrene, meist mehrsprachige Fernkaufleute mit weit gespannten Kontaktnetzen sollen die Einwanderer den Warenaustausch mit dem Orient organisieren und den Binnenhandel ankurbeln. Die Rechnung geht auf: Reichlich fließende Abgaben und Zölle aus dem florierenden Handel beschleunigen die Stadt- und Landesentwicklung. Im Gegenzug leisten Kaiser und Bischöfe umfassende Schutzgarantien: Die Einwanderer genießen Handels- und Religionsfreiheit, können Eigentum erwerben, Acker- und Weinbau betreiben, sind den Christen rechtlich gleichgestellt und verfügen über eine autonome Gerichtsbarkeit in jüdischen Angelegenheiten.

Neue Heimat Regensburg: Das Judentum fasst Fuß in Bayern

Über das Handels- und Verkehrsnetz der großen Flüsse gelangen jüdische Kaufleute auch nach Bayern. Bereits am Ende des 10. Jahrhunderts gründen sie eine urkundlich erstmals 981 bezeugte Gemeinde in Regensburg, es ist die älteste auf bayerischem Boden. Wie Grabungen aus jüngster Zeit belegen, ist das Regensburger Judenviertel bereits um das Jahr 1000 ein baulich und strukturell gut ausgestattetes Wohnquartier. Im Bereich des heutigen Neupfarrplatzes auf dem Gelände eines alten Römerlagers errichtet, umfasst es 30 bis 40 aus Stein gebaute Häuser, die Platz für 300 bis 500 Bewohner bieten. Das Zentrum bildet, wie in jeder jüdischen Gemeinde, eine Synagoge, um die sich eine Schule und ein Gerichtsgebäude gruppieren.

Das erste Jahrhundert: Aufschwung und gedeihliches Miteinander

Vom zehnten bis zum elften Jahrhundert steht die christlich-jüdischen Nachbarschaft unter einem guten Stern. Als bedeutender Warenumschlagplatz profitiert die Donaustadt vom Fernhandel, der vom unteren Donauraum bis nach Russland reicht und sowohl den Kaufleuten wie auch den Handwerkern reiche Gewinne beschert. Der Aufschwung begünstigt einen regen wirtschaftlichen, kulturellen und geistigen Austausch der beiden Glaubensgemeinschaften.

Übergriffe und Gewalt: Die Kreuzzüge schüren den Judenhass

Bis zum Beginn der ersten Pogromwelle am Ende des 11. Jahrhunderts sind die Juden, obschon "Fremde", räumlich, rechtlich und wirtschaftlich bestens in das Stadtleben eingebunden. Aus den ehemaligen Fernhändlern sind längst ortsansässige, auch von Christen geschätzte Kaufleute geworden, die mit alltäglichen Gebrauchsgütern wie Wein, Getreide, Salzfisch, Metallwaren und Textilien handeln. Im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeiten und ihrer Präsenz auf Messen haben sich Juden zudem als Geldwechsler etabliert. Sie tauschen fremde gegen lokale Währungen, sind aber noch nicht als Geldverleiher aktiv.

Als während des ersten Kreuzzugs (1096 - 1099) überall im Reich antijüdische Ressentiments aufflackern, bleibt auch die Regensburger Gemeinde nicht verschont. Christliche Fanatiker hetzen zu Pogromen auf, durchziehende Kreuzfahrer zwingen die Juden im Jahr 1096, sich in der Donau taufen zu lassen. Erst im Jahr darauf erlaubt ihnen ein kaiserliches Privileg die Rückkehr zum angestammten Glauben. Dieser "Judenschutz" wird etwa 400 Jahre halten, aber er ist teuer bezahlt. Wie in vielen anderen Städten entrichten die Regensburger Juden hohe Abgaben, immer wieder werden sie zur Finanzierung kostspieliger Vorhaben genötigt.

Fatale Weichenstellung: Die Stigmatisierung wird institutionalisiert

Etwa zeitgleich mit den Kreuzzügen setzt ein Wandel des wirtschaftlichen Gefüges ein, der das Leben der Juden dauerhaft verändert. Waren sie bis dahin in allen Berufen tätig, richten nun rigide berufsständische Verordnungen und Marktabschottungen immer höhere Hürden auf. Ohne Zugang zu Gilden, Zünften und anderen Kooperationen der mittelalterlichen Sozialordnung sind sie vermehrt auf den Handel mit Trödel und die Pfandleihe angewiesen. Von dieser Entwicklung sind auch die Regensburger Juden betroffen. Seit einem 1182 von Kaiser Friedrich I. (1122-1190) erlassenen Privileg ziehen sie sich verstärkt auf das Geldgeschäft und den Handel mit Edelmetallen zurück.

Kulturelle Blüte: Regensburg als Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit

Trotz aller aufkeimenden Spannungen ist das Hochmittelalter für die Regensburger Juden eine Blütezeit. Die Gemeinde verfügt über ein Hospital, ein rabbinisches Gericht, eine Synagoge, ein Gemeindehaus und einen eigenen Friedhof. Durch die Gründung einer schon bald weithin berühmten Talmudschule, die der aus Speyer zugezogene Rabbiner Jehuda ben Samuel he-Chasid ("Jehuda der Fromme") um 1195 ins Leben ruft, steigt Regensburg zu einem einflussreichen Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit auf. Die Hochschule besteht ununterbrochen bis zur Katastrophe von 1519 und beherbergt zeitweise bis zu 100 Studenten aus allen Teilen des Reichs.

Getrennte Wege: Die Entfremdung beginnt

Seit dem 4. Laterankonzil (1215) propagiert die Kirche eine Ausgrenzung und Kennzeichnung der Juden. In zahlreichen Städten dürfen sie nun ihren Wohnort nicht mehr frei bestimmen und werden vermehrt in eigens zugewiesene Stadtquartiere abgedrängt. Auch Regensburg treibt die konfessionelle Ausgrenzung voran. Die Stadt erzwingt das Tragen einer besonderen "Judentracht", seit 1223 sind Religionsgespräche verboten, in der Karwoche dürfen sich Juden nicht öffentlich zeigen. Obwohl sich die Tonart zunehmend verschärft, bleiben gewaltsame Übergriffe vorerst aus. Als 1298 ein entfesselter Mob unter Führung des Ritters Rintfleisch in Franken und Schwaben wütet und zahllose Juden ermordet, übersteht Regensburg diese Verfolgungswelle unbeschadet. Auch als 1338 erneut religiös begründete Massaker ausbrechen und in den niederbayerischen Städten nahezu alle Juden umgebracht werden, stellen sich einflussreiche Bürger Regensburgs schützend vor die jüdische Gemeinde. Aufgrund dieser Sicherheitsgarantien strömen verfolgte Juden aus Bayern und Österreich in die Donaustadt, wo sie Zuflucht finden.

Zwischen allen Fronten: Die Krise des Spätmittelalters

Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts geraten die Juden in den Sog massiver Krisensymptome, die das politische und geistige Gefüge des Reichs erschüttern. Die Unzufriedenheit vieler Menschen mit kirchlichen und weltlichen Missständen wächst rapide, die überkommenen Ordnungssysteme des Mittelalters geraten ins Wanken. So wie die Landesfürsten versuchen, die Macht des Kaisers zu schwächen, so versuchen auch die Städte, sich aus der Herrschaft des Landesherrn zu lösen. Im Zuge dieser Entwicklung streben sie unter anderem danach, die Souveränität des Kaisers über die Juden "aufzuweichen". Auch in den Städten selbst verschieben sich die Machtgewichte. Mittelständische Handwerker, Zünfte und Kleinkaufleute rivalisieren mit dem bislang tonangebenden Patriziat. Zwischen den in Bewegung geratenen Machtblöcken lavieren die Juden, die sich nun immer weniger auf den kaiserlichen Schutz verlassen können. So bleibt die Verbrennung eines als Giftmischer verurteilten Regensburger Juden im Jahr 1474 ungesühnt. Erst als zwei Jahre später 17 Juden unter dem Verdacht eines Ritualmordes eingekerkert werden, wahrt der Kaiser sein Recht und schreitet ein. Dennoch dauert es vier Jahre, bis die Gefangenen nach beträchtlichen Lösegeldzahlungen an Kaiser und Stadt wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

Ausgegrenzt: Die jüdische Gemeinde als Sündenbock

Eine Hauptursache der zunehmend judenfeindlichen Stimmung ist der eklatante wirtschaftliche Niedergang Regensburgs im 15. Jahrhundert. Zutiefst verunsicherte, von Verarmung bedrohte Bevölkerungsschichten steigern den Druck auf die Stadtführung und fordern die Ausschaltung der vermeintlich durch besondere Privilegien geschützten jüdischen Konkurrenz. Zusätzlich Öl ins Feuer gießen Prediger, die von der Kanzel gegen die Judenschaft wettern und ihre Vertreibung fordern. Ungeachtet dieser immer vehementer erhobenen Angriffe tritt die Stadt um 1500 in Verhandlungen mit der jüdischen Gemeinde, ein Abkommen soll geschlossen werden. Das Unterfangen ist zum Scheitern verurteilt. Die Forderungen des Rates nach höheren Steuern, einem vollständigen Rückzug aus dem Handwerk und dem Verzicht auf den Handel mit Pfändern kollidieren mit den Erwartungen der jüdischen Gemeinde, die sich einen wirksamen Schutz gegen Blut- und Ritualmordbeschuldigungen, ein Ende der andauernden Steuererpressung und die Sicherung der Zinsdarlehen ausbedingt. Eine Einigung kommt nicht zustande, die Ausgrenzung der Juden nimmt weiter zu.

1519: Die Regensburger Juden werden "ausgeschafft"

Die Lage spitzt sich zu, als 1516 der radikal antisemitische Theologieprofessor Balthasar Hubmaier zum Domprediger ernannt wird. In seinen geifernden Kanzelreden prangert Hubmaier die "jüdischen Gotteslästerer, Marienspötter und Wucherer" als alleinige Ursache der wirtschaftlichen Misere an. Obwohl er sich wegen seiner Hetzpredigten 1518 auf dem Augsburger Reichstag vor Kaiser Maximilian I. verantworten muss, zügelt Hubmaier seine Schmähungen keineswegs. Ein Jahr später geht die von ihm und anderen Volksverhetzern gesäte Saat des Hasses auf. Als Kaiser Maximilian im Januar 1519 stirbt, nützt der Regensburger Rat das entstandene Machtvakuum, um sich der jüdischen Bevölkerung endgültig zu entledigen. Am 15. Februar ordnet der Rat die Ausweisung an. Die Bedingungen und Begleitumstände der rechtswidrigen Vertreibung sind ausgesprochen hart: Binnen zweier Wochen müssen alle Juden die Stadt verlassen haben, ihr Viertel wird niedergebrannt, der Friedhof geschändet, liturgisches Gerät geplündert, wertvolle Schriften gehen in Flammen auf. Der blinden Zerstörungswut fällt auch die 1227 fertig gestellte Synagoge, ein Juwel gotischer Baukunst, zum Opfer. Um den Sieg über die "ausgeschafften" Juden zu festigen, lässt der Rat auf dem Platz der geschleiften Synagoge unverzüglich eine hölzerne Kapelle errichten. Eine Reihe geschickt propagierter Marienwunder löst schon bald eine weit über die Grenzen Regensburgs ausstrahlende Wallfahrt aus, die zahllose Pilger anzieht. Baltasar Hubmaier fördert den Kult der "Schönen Maria" durch gedruckte Mirakelberichte und flammende Predigten. 1519 beschließt der Rat den Bau einer steinernen Marienkirche, die allerdings erst 1540 fertig gestellt und geweiht werden kann. Als Regensburg 1542 zur Reformation übergeht, wird die "Neupfarrkirche" zum ersten evangelischen Gotteshaus der Reichsstadt.

Gemeinsames Erinnern: Die Synagoge wird wiederentdeckt

Kurz vor der Zerstörung der Synagoge 1519 fertigt der Maler Albrecht Altdorfer noch zwei Skizzen an. Sie bleiben über Jahrhunderte hinweg die einzige Erinnerung an das Zentrum der jüdischen Gemeinde Regensburgs. Bei Grabungen Mitte der 1990er Jahre kommen Mauerreste von Häusern des untergegangene Judenviertels und die Fundamente des Gotteshauses zum Vorschein. In Regensburg beginnt eine Debatte über den Umgang mit der lange verdrängten Stadthistorie. Die jüdische Gemeinde macht sich dafür stark, einen renommierten Künstler mit dem Bau einer Gedenkstätte zu beauftragen. Sie soll die Erinnerung an die geschleifte Synagoge wach halten und zugleich im städtischen Leben präsent sein. Die Wahl fällt auf Dani Karavan, einen israelischen Bildhauer mit internationalem Ruf. Er konzipiert seine Kunstwerke als Orte der Kommunikation, die die Vergangenheit lebendig machen. Die Regensburger Synagoge gestaltet er als offenes Relief, den Grundriss bildet er mit Betonblöcken ab. Besucher können das "Stadtmöbel" betreten, sich setzen, entspannen und nachdenken. Im Juli 2005 wird die Begegnungsstätte eingeweiht. Hans Maier, der frühere bayerische Kultusminister, nennt das Werk den "urbanen Willen zur Begegnung, der Folgerungen zieht aus der Vergangenheit".


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