Wenn die Küste bröckelt Schlämmen, trocknen, pulverisieren - Kreideboom auf Rügen
Rohkreide wird auf Rügen seit dem Mittelalter abgebaut. Die Insulaner produzieren Branntkalk, düngen ihre Felder, streichen und verputzen Häuser. Erst als ein Naturwissenschaftler und Funktionär der Deutschen Geologischen Gesellschaft, Friedrich von Hagenow (1797-1865), die Nutzungsrechte für sämtliche Kreidebrüche erwirbt, nimmt die Kreidegewinnung Fahrt auf. In Zeiten der Industrialisierung wird Kreide unter anderem von Porzellan- und Farbenfabrikanten als Füllstoff benötigt, der Bedarf an dem weichen Rohstoff wächst.
Von der Schreibkreide zur Schlämmkreide
Im Jahr 1832 startet Hagenow die Schlämmkreideproduktion, die dazu nötigen Geräte hat er selbst konstruiert. Mit der Verarbeitung der Schreibkreide zu Schlämmkreide steigert er die Qualität beträchtlich, denn mit dem neuen Verfahren wird die Kreide von unerwünschten Beimengungen wie Flintsteinen getrennt. Arbeiter brechen mit Spitzhacken die Kreide aus den oft steilen Hängen. Trichter werden ins Geröll gebohrt, Kreidebrocken gelangen in Loren und werden zu Rührwerken transportiert. Hier wird die Kreide mit Wasser vermischt, die Trübe kommt in Absetzbecken. Danach wird die Kreide gestampft, auf Karren geschaufelt und in Trockenschuppen gebracht.
Etwa acht Wochen dauert solch ein Produktionsvorgang. Trotz aller technischen Neuerungen bleibt Kreideschlämmen im 19. Jahrhundert ein Knochenjob. Kinderarbeit ist ein düsteres Kapitel in der Geschichte des Kreideabbaus auf Rügen.
Heute wird Kreide vollautomatisch gewonnen - mit Schaufelradbaggern, Förderbändern und modernen Aufbereitungsanlagen, in denen Kreide in verschiedensten Feinheitsgraden produziert wird.
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten von Kreide
Kreide ist nach wie vor begehrt. Sie dient unter anderem als Füllstoff in der Kunststoff-, Kabel-, Farb- und Fliesenproduktion. Beim Straßenbau hilft sie, die Fahrbahnoberdecken belastbarer zu machen. In der Land- und Forstwirtschaft wird Kreide als Düngekalk geschätzt, auch bei der Rauchgasentschwefelung kommt sie zum Einsatz. In der Naturheilkunde hat das fein cremige "weiße Gold" Rügens in Kombination mit Seewasser und Wärme Karriere als Heilkreide gemacht.
Nur im Unterricht müssen wir auf Schreibkreide verzichten. Schulkreide besteht heutzutage aus gebranntem Gips. Zum einen ist Gips härter als Kreide und zerbröselt nicht in der Hand, zum anderen lohnt sich in Zeiten der Whiteboards die arbeitsintensive Herstellung von Schulkreide für die Kreideindustrie nicht mehr.