Leben unter dem Eis Das WISSARD-Projekt
In der Westantarktis, 640 Kilometer vom Südpol entfernt, 800 Meter unter einem Gletscher namens Whillans-Eisstrom, befindet sich der Lake Whillans. Die Glaziologin Helen Fricker hat das 60-Quadratkilometer-Gewässer nach der Auswertung von Satellitendaten im Jahr 2007 erstmals beschrieben.
Wissenschaftler des Projekts WISSARD (Whillans Ice Stream Subglacial Access Research Drilling), einer Kooperation mehrerer Universitäten, die von der National Science Foundation der USA eine 20-Millionen-Dollar-Finanzsspritze erhält, wählen den See aus, um nach Leben unter dem ewigen Eis zu suchen.
Anfang 2012 beginnen die Bohrarbeiten. WISSARD hat sich für ein Heißwasser-Bohrverfahren entschieden, auf die Sterilisation des Geräts und die Entkeimung des Bohrwassers mit UV-Licht wird viel Wert gelegt - was sich zu Jahresbeginn 2013 bezahlt macht. Am 28. Januar findet die erste Entnahme sauberer Wasserproben aus einem subglazialen Antarktika-See statt. Da der Lake Whillans eine mittlere Tiefe von nur zwei Metern aufweist, können auch Sedimentproben vom Grund des Sees entnommen werden.
Ein neues Ökosystem ist gefunden!
Schon bei ersten mikroskopischen Untersuchungen sind lebende Zellen erkennbar, spätere Labortests bestätigen die Entdeckung: 130.000 lebendige Zellen pro Milliliter Seewasser. Das ist tiefseeübliches Niveau! Schließlich machen die WISSARD-Forscher 4.000 Bakterienarten ausfindig. Eine derart vielfältige Lebensgemeinschaft haben sie in einem See, der auf Tageslicht verzichten muss, in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet.
Wie lebt es sich ohne Fotosynthese?
Die Mikroorganismen im Lake Whillans brauchen kein Sonnenlicht, um zu überleben. Immerhin ist Sauerstoff vorhanden, der aus Luftblasen in der über dem See liegenden Eisschicht stammt.
Nach Auffassung der WISSARD-Leute oxidieren die meisten Mikroorganismen Ammonium, das vermutlich biologischen Ursprungs und Überbleibsel früherer Meeressedimente ist. Dieses tote organische Material stammt wohl aus Zeiten, als die Region noch nicht von Eis umhüllt, sondern von Flachwasser überschwemmt war.
Ein kleinerer Teil der Mikroorganismen ist mit bekannten marinen Arten verwandt. Diese Lebewesen gewinnen Energie aus der Oxidation von Eisen- und Schwefelverbindungen im Sediment.
Woher stammen die Mikroorganismen?
Vermutlich gibt es "Zuwanderer", die vom Wind aufs Eis getragen werden, sich ablagern und allmählich nach unten durcharbeiten. Vor allem aber dürfte es im Lake Whillans "Überlebende" geben, die einst das Meer herantransportierte. Der Lake Whillans ist nur etwa 100 Kilometer von der Linie entfernt, an der auf Grund sitzende Eisberge zu schwimmenden Eisbergen werden. Wie dick das Eis ist, hängt vom Klima ab. Wird es wärmer, verschiebt sich Trennlinie zwischen lagernden und schwimmenden Eisbergen. Folglich ist es möglich, dass das Meer und der Lake Whillans im Laufe von Millionen Jahren schon öfter Mikroorganismen ausgetauscht haben.
Alles ist im Fluss …
Bei der Auswertung von Satellitendaten waren bereits Hebungen und Senkungen des Eises über dem Lake Whillans aufgefallen, was auf Wasseraustausch schließen ließ. WISSARD-Untersuchungen bestätigen, dass der Lake Whillans kein isolierter See mit geschlossenem Ökosystem ist. Alle paar Jahre strömt ein subglazialer Fluss hindurch, das Seewasser gelangt unter dem schwimmenden Ross-Eisschelf ins Meer. Schmelzwasser füllt den See dann wieder auf.