Bayern 2 - radioWissen


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Hoffnung auf den Erlöser

Von: Simon Demmelhuber / Sendung: Thomas Morawetz

Stand: 11.12.2013 | Archiv

Die frühen Christen: Hoffnung auf den Erlöser

ReligionHS, MS, Gy

Es ist eine Geschichte voller Rätsel, Wunder und Unmöglichkeiten: Aus dem Glauben einer Handvoll unbedeutender Männer und Frauen keimt eine Bewegung, die schon bald den Gang der Welt verändert und das Christentum über den ganzen Erdkreis verbreitet.

Die drei Jahrhunderte von Jesu Tod bis zur konstantinischen Wende hat den frühen Christen viel abverlangt: Sie mussten zu einer verständlichen Lehre finden - und nicht zuletzt ihren Platz in der Welt.

Um das Jahr 30 wird in Jerusalem ein jüdischer Wanderprediger namens Jeschu hingerichtet. Er stirbt einen qualvollen Tod am Kreuz, die Strafe der römischen Besatzungsmacht für Schwerverbrecher, Aufrührer, Staatsfeinde oder entlaufene Sklaven.

Damit könnte die Geschichte des Handwerkersohns, der drei Jahre lang in Galiläa und Judäa die Königsherrschaft Gottes verkündet hatte, zu Ende sein. Ein belangloser Tod am Rand des römischen Imperiums. Weder griechische, noch lateinische oder jüdische Quellen berichten davon, keine zeitgenössische Chronik erwähnt auch nur Jeschus Namen.

Christus lebt: Mahlgemeinschaft mit dem Auferstandenen

Der Wunderrabbi selbst hat nichts hinterlassen. Keine Aufzeichnungen, keine Briefe, keine Schriften. Doch es gibt lebendige Zeugnisse seines Wirkens: Eine Handvoll Frauen und Männer, die sich während seiner Wanderjahre um ihn geschart und zuletzt auch nach Jerusalem begleitet haben, um das jüdische Hochfest Pessach zu feiern. Hier haben sie ihn sterben gesehen, seinen Leichnam bestattet, seinen Tod betrauert. Drei Tage des Schocks und der Verzagtheit, dann geschieht das Ungeheuere: Der Gekreuzigte kehrt von den Toten zurück, so wie er es vorhergesagt hatte. Gott hat seinen Sohn, den Gesalbten, den Messias, tatsächlich aus dem Grab erweckt und damit ein Zeichen gesetzt für die Vergebung der Sünden und als Verheißung ewigen Lebens für alle, die an ihn glauben. Vierzig Tage erscheint der Auferstandene leibhaft in ihrer Mitte. Er trinkt, er isst und scherzt mit ihnen, er tröstet, stärkt und lehrt sie. Zuletzt verklärt sich sein Leib, er fährt in den Himmel auf, kehrt heim in das Haus seines Vaters, eingesetzt in die Vollmacht der Herrschaft, bestellt zum Richter der Lebenden und Toten am Ende der Zeit.

Der Messias kommt: Das Versprechen der Wiederkehr

Das Ende der Zeit, das Weltgericht, die Zerstörung der alten und die Errichtung einer neuen Schöpfung, die Wiederkehr des Messias und die Errichtung seines Gottesreichs, all das steht nahe bevor. So hat es Jeschu versprochen, das ist sein wichtigstes Vermächtnis. Getragen von der Erwartung seiner baldigen Rückkunft, schließen sich die Jüngerinnen und Jünger in Jerusalem zur Keimzelle des Urchristentums zusammen. Sie feiern das Gedächtnis des Herrn, der ihnen vorausgegangen ist in die Herrlichkeit Gottes, sie brechen gemeinsam das Brot, tauschen Erinnerungen aus, halten seine Worte lebendig, bereiten sich auf seine Wiederkehr vor. Und sie beginnen zu predigen. Nicht den Heiden, den Ungläubigen, sondern zunächst ihrem eigenem Volk, dem sie den ersehnten Messias verkünden. Noch unterscheiden sie sich kaum von den anderen Juden. Sie befolgen die Thora, besuchen den Tempel, betrachten die Heilsbotschaft als Auftrag zur innerjüdischen Mission.

Lehret alle Völker: Die Weichenstellung des Apostelkonzils

Ein Mann bringt die Wende: Paulus, ein weltgewandter, griechisch gebildeter Jude aus Tarsus in Kleinasien, den eine Christusvision vom Verfolger der Jesusjünger zum glühenden Anhänger des neuen Glaubens gewandelt hat. Angetrieben vom Ehrgeiz, nicht nur die Juden, sondern alle Menschen für Christus zu gewinnen, ist er dazu übergegangen, auch "Heiden" zu bekehren. Mit dieser Praxis zieht er den Zorn all jener auf sich, die an der Beschneidung und der Befolgung des mosaischen Gesetzes als Voraussetzung für die Taufe im Namen Jesu festhalten. Geht es nach ihnen, sollen nur thoratreue Juden des Heils teilhaftig und in die Gemeinde aufgenommen werden. Als sich der Streit zuspitzt und die Jüngerschaft zu spalten droht, tritt im Jahr 49 in Jerusalem eine Versammlung der Apostel und Ältesten zusammen. Das von Petrus geführte Konzil soll die schwelende Frage der "Heidenmission" klären und trifft eine folgenschwere Entscheidung: Was zählt, ist einzig das Bekenntnis zu Jesus. Niemand muss zum Judentum übertreten, niemand sich der Thora unterwerfen, um die Taufe zu empfangen.

Heiliger Eifer: Paulus erfindet die christliche Theologie

Ausgestattet mit der Vollmacht des Apostelkonzils entfaltet Paulus in den Folgejahren eine fieberhafte Missionstätigkeit. Rastlos bereist er die östliche Mittelmeerküste, besucht die Metropolen Athen, Ephesus, Korinth, Antiochia, Thessaloniki, schließlich auch Rom. Er knüpft Kontakte, gründet Gemeinden und verfasst mit seinen Briefen eine Reihe charismatischer Lehrschreiben, die das Profil des jungen Christentums schärfen. Vor allem aber entwickelt er eine eigenständige Theologie, die nicht mehr den Gott des Alten Testaments, sondern den auferstandenen Christus in den Mittelpunkt rückt. Damit legt er den Grundstein der christlichen Kirche, leitet aber auch zugleich den Prozess der endgültigen Abspaltung des Heidenchristentums vom Judentum ein.

Neuorientierung: Von der Nah- zur Fernerwartung

Rund 40, spätestens 50 Jahre nach dem Kreuzestod Jesu sind die letzten Augen- und Ohrenzeugen seines Wirkens gestorben. Die Hoffnung auf ein rasches Anbrechen des Gottesreichs hat sich zerschlagen. Doch das Versprechen Christi gilt unverbrüchlich. Wann er es einlöst, rückt in ungewisse Ferne und steht nach der nun neu gefundenen Lesart allein im Ermessen Gottes. Um den Kern des Vermächtnisses zu bewahren, entstehen in den Jahren zwischen 70 und 100 die Evangelien, aufgeschrieben in der griechischen Verkehrssprache des römischen Imperiums. Damit ist die Botschaft des Christentums in allen Reichsgebieten verständlich geworden und offensichtlich auch angekommen. Bereits am Ende des ersten Jahrhunderts haben sich in allen großen Städten, in allen Teilen und Provinzen christliche Gemeinden etabliert.

Unter Verdacht: Die Christen sind an allem schuld

Aufgrund des raschen Wachstums der neuen Religion, ihrer Anziehungskraft auf die gärende Unterschicht und ihrer Tendenz zur Abschottung gegen das "Heidentum" ist eine Kollision mit dem römischen Staats- und Götterkult unausweichlich. Die Weigerung, dem Kaiser und seinen Götzen zu opfern, macht die Christen suspekt. Sie werden angeschwärzt, durch unverständige oder böswillig verzerrte Berichte über ihre Glaubenspraktiken in Zwielicht gesetzt, stehen im Verdacht okkulter Handlungen, blutschänderischer Orgien, ritueller Morde und konspirativer Aktivitäten. Der Versuch, die Flut der Verleumdungen durch Verteidigungsschriften und Rechtfertigungen zu entkräften, bringt den Argwohn der Machteliten nicht zum Schweigen. Und überdies taugt die seltsame, weltfremde Sekte bestens zum Sündenbock für Missernten, für zu viel oder zu wenig Regen, für Steuererhöhungen, für Sklavenaufstände, für den Einsturz eines Tempels, für Katastrophen und Widrigkeiten jedweder Art. Was immer es ist, was immer schief läuft, die Christen sind schuld und müssen büßen.

Gehetzt und abgeschlachtet: Die Drangsal der Verfolgung

Den Anfang einer Reihe äußerst blutiger Verfolgungen, macht Nero im Jahr 64, als er die Christen beschuldigt, Rom angezündet zu haben. Auch unter späteren Kaisern kommt es immer wieder zu gewaltsamen Attacken gegen die "wuchernde Pest der Jesusjünger". Ihre Kirchen und Versammlungsräume werden zerstört, die Ausübung der Religion ihrer steht unter Strafe. Wer sich dennoch zu Christus bekennt, ist von sämtlichen Staatsämtern ausgeschlossen, muss mit Denunziation, Verhaftung, Beschlagnahme des Besitzes bis hin zu Folter und Hinrichtung rechnen. Besonders heftigste "Säuberungswellen" überrollen das Reich um 250 unter Decius und Valerian sowie von 303 bis 311 unter Kaiser Diokletian.

Galerius lenkt ein: Das Ende der Ausgrenzung

Erst dessen Nachfolger Galerius sieht die Aussichtslosigkeit der Unterdrückung des Christentums ein. Der neue Glaube hat zu Beginn des vierten Jahrhunderts längst in allen Bevölkerungsschichten feste Wurzeln gefasst und das Stigma einer geistlosen Sklavenreligion abgeschüttelt. Die Schriften der frühen Kirchenväter und vor allem die Auseinandersetzung mit der Philosophie des "Heidentums" haben die christliche Lehre argumentativ entfaltet und auf eine neue, intellektuell ansprechende Stufe gehoben. Galerius erkennt die Tatsachen an und erlässt 311 ein Edikt, das die Verfolgungen beendet. Sofern es die öffentliche Ordnung nicht stört, gilt das Christentum fortan als erlaubter Kult, dessen Anhänger von der Pflicht zum Kaiser- und Götteropfer befreit sind.

Im Zeichen des Siegers: Konstantin und der Aufstieg zur Staatsreligion

Den letzten, entscheidenden Schritt geht Kaiser Konstantin zwei Jahre später. Ein 313 von ihm und seinem Mitkaiser Licinius in Mailand gemeinsam erlassenes Toleranzedikt erhebt das Christentum im ganzen Reich zur gleichberechtigten Religion, die Ausübung des Kultes unterliegt nun keinerlei Einschränkungen mehr. Zugleich erhalten die Christen alle konfiszierten Besitztümer zurück und haben vollen Zugang zu allen staatlichen Ehren-, Verwaltungs- und Heeresämtern. 324 wird das Christusmonogramm zum offiziellen Feldzeichen der römischen Armee und damit zum Symbol des Reichsgottes, im Jahr darauf beruft Konstantin, der die neue Religion nicht nur duldet, sondern aktiv mitgestaltet, das erste Konzil der Kirchengeschichte in Nikaia ein. Damit ist der Weg endgültig für den Siegeszug eines Glaubens, der von nun an, zum Guten wie zum Schlechten, den Gang der abendländischen Geschichte bestimmt.


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