Von der Arbeiterbewegung zur Massenpartei Glossar
Personen | Werdegang |
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Bebel, August
(1840-1913) | Der spätere Stammvater der SPD kommt am 22. Februar 1840 als Sohn eines preußischen Unteroffiziers zur Welt. Die Eltern sterben früh an der Arme-Leute-Krankheit Schwindsucht, im Alter von 13 Jahren ist August Bebel Vollwaise. Er besucht die Volksschule, absolviert eine Drechslerlehre und geht auf die Walz. Anfang der 1860er Jahre schließt er sich der Arbeiterbewegung an, 1864 macht er sich in Leipzig als Drechslermeister selbständig. Sein enormer Wissensdurst führt ihn zum "Gewerblichen Bildungsverein". Die sozialistische Utopie weckt sein Interesse, er liest Schriften von Marx und Engels, die Idee von der Entmachtung der Kapitalisten begeistert ihn. Zum Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein Ferdinand Lassalles geht Bebel mehr und mehr auf Abstand. Lassalle, der eitle Salonlöwe, ist ihm suspekt. 1869 ist Bebel Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, dann deren Vorsitzender.
Anstelle des Staates als Klassenherrschaft möchte Bebel einen "freien Volksstaat" errichten. Ganz im Sinne von Karl Marx ist er davon überzeugt, der Kapitalismus werde aus eigenen Widersprüchen heraus die soziale Revolution auslösen. 1869 ist er führend am Zusammenschluss der beiden konkurrierenden Arbeiterparteien zur Sozialistischen Arbeiterpartei beteiligt. Von 1871 bis 1913 sitzt Bebel im Reichstag, 1892 übernimmt er den Vorsitz der SPD. Wenngleich er sich als Marxist sieht und den preußischen Militärstaat vehement bekämpft, legt der "Arbeiterkaiser" wert auf ein konservativ-korrektes Auftreten, im Reichstag erscheint er stets im Gehrock. Trotz aller Bekenntnisse zur marxistischen Lehre steuert er den Ausbau der SPD auf der Basis demokratischer Wahlkämpfe und parlamentarischer Oppositionsarbeit. 1883 veröffentlicht er das Buch "Die Frau und der Sozialismus", in dem er die Gleichberechtigung der Frau fordert und eine sozialistische Zukunftsgesellschaft entwirft. Bis zu seinem Tod am 13. August 1913 gelingt es ihm, die SPD zusammenzuhalten und zwischen dem rechten Flügel (Revisionisten) und dem linken Flügel (Kommunisten) zu vermitteln. |
Kautsky, Karl
(1854-1938) | Der am 16. Oktober 1854 in Prag geborene Kautsky stammt aus einer österreichischen Künstlerfamilie. In den 1880er Jahren lebt er in London, bekennt sich zum Sozialismus und ist Mitarbeiter von Friedrich Engels. 1883 gründet er das Blatt "Die neue Zeit" und leitet es bis 1913. Im Jahr 1890 siedelt er nach Deutschland über und ist 1891 einer der Schöpfer des Erfurter Parteiprogramms der SPD. Nach Engels Tod gilt Kautsky als Chefideologe der SPD und macht sich wegen seiner Vorliebe für den orthodoxen Marxismus einen Namen als "roter Papst".
Im frühen 20. Jahrhundert versucht Kautsky den Spagat zwischen einer sozialreformerischen und einer strikt marxistischen Programmatik und beteuert, dass der Sozialismus auf demokratischem Wege an die Macht kommen soll. "Sozialdemokratie ist", so Kautsky, "eine revolutionäre, aber keine Revolutionen machende Partei". 1917, bei der politischen Spaltung der Arbeiterschaft, wechselt Kautsky zur Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD), 1922 kehrt er zur SPD zurück. In den 1930er Jahren lebt er in Wien, 1938 flieht er vor den Nationalsozialisten in die Niederlande und stirbt am 17. Oktober 1938 in Amsterdam. |
Lassalle, Ferdinand
(1825-1864) | Der am 11. April 1825 in Breslau geborene Sohn des wohlhabenden jüdischen Seidenkaufmanns Heyman Lassal studiert Philosophie und Geschichte. 1846 ändert er seinen Namen in das französisch klingende Lassalle um. Während der Revolution 1848/49 betätigt er sich als Journalist und radikaldemokratischer Agitator. 1849 wird er zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. In den 1850er Jahren zieht er nach Berlin und unterstützt die Gräfin Hatzfeld-Trachtenberg bei ihrem Scheidungsprozess; er lebt mit der Adeligen zusammen und erhält von ihr eine Jahresrente. Lassalle gefällt sich in der Rolle des stets gut gekleideten Lebemanns.
Trotzdem wird er zu einem der geistigen Väter der Sozialdemokratie. Er erkennt das enorme politische Potential, das die Masse des Industrieproletariats birgt und weiß, dass die Arbeiter eine Organisation, eine politische Partei, brauchen, die ihnen zu mehr Rechten und Durchschlagskraft verhilft. Im Jahr 1861 erscheint Lassalles Hauptwerk "Das System der erworbenen Rechte". Lassalle ist Sozialist und Gegner des Liberalismus, aber kein Revolutionär. Den Staat als Institution erkennt er an und will die Herrschaft der Arbeiterklasse durch Wahlen zu erreichen. Lassalle verfasst das Programm, auf dessen Grundlage im Mai 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) gegründet wird. Viel Zeit, der neuen sozialistischen Bewegung seinen Stempel aufzudrücken, hat er nicht. Im Duell um eine junge Adelige, Helene von Dönniges, wird er von deren Bräutigam schwer verletzt. Am 13. August 1864 stirbt Ferdinand Lassalle in Genf. |
Liebknecht, Wilhelm (1826-1900) | Liebknecht wird am 29. März 1826 in Gießen geboren. Als Radikaldemokrat beteiligt sich an der Revolution 1848. Er flieht ohne Studienabschluss in die Schweiz und wird dort aber 1850 ausgewiesen. In London lebt er jahrelang im kommunistischen Dunstkreis von Karl Marx und Friedrich Engels. 1862 wird Liebknecht amnestiert und kehrt nach Deutschland zurück. Er schließt sich 1863 dem ADAV Lassalles an und wird Redakteur der Zeitschrift "Sozialdemokrat". Zwei Jahre später schließt der ADAV Liebknecht aus. Der bekennende Verfechter der marxistischen Orthodoxie wendet sich August Bebel zu, mit dem er 1869 in Eisenach die Sozialdemokratische Arbeiterpartei gründet. 1874 bis 1900 ist er Reichstagsabgeordneter, ab 1890 leitet er das SPD-Organ "Vorwärts". Er ist der Vater des späteren KPD-Mitbegründers Karl Liebknecht. |
Begriff | Erklärung |
Liberalismus | Angetrieben vom Gedanken der Aufklärung wollen die Liberalen im frühen 19. Jahrhundert den Menschen zu mehr Freiheit verhelfen. Sie verlangen eine Verfassung, die Beseitigung von Adelsprivilegien und die Einziehung von Kirchengütern. In Wirtschaft und Gesellschaft sollen sich Einzelne oder bestimmte Gruppen ungehindert entfalten können, die Ansprüche des Staates sind dabei zurückzudrängen. Der Liberalismus ist vor allem im Bürgertum verbreitet, das im Sinne seiner politischen und wirtschaftlichen Interessen die staatliche Bevormundung abschütteln möchte. Nach der Niederschlagung der Revolution 1848/49 kümmern sich Liberale um die unterdrückte Arbeiterschaft. Sie helfen beispielsweise bei der Gründung von Bildungsvereinen und setzen auf Hilfe zur Selbsthilfe, um Arbeiter zu Kleinunternehmern zu machen. An einer weiter reichenden Fürsorge für die Schwachen sind sie nicht interessiert. Als einer der ersten Arbeiterführer vollzieht Ferdinand Lassalle den Bruch mit liberalen Kräften. |
Marxismus | Karl Marx (1818-1883) entwickelt seine Lehre zusammen mit seinem Freund Friedrich Engels (1820-1895). 1848 veröffentlichen sie - mit nur wenig Wirkung auf die Revolution - das "Kommunistische Manisfest" ("Proletarier aller Länder vereinigt euch"). Für Marx sind gesellschaftliche Veränderungen und politische Umwälzungen untrennbar mit der Ökonomie verbunden. Im Rahmen seiner "materialistischen Geschichtsauffassung" geht Marx vom Vollzug historischer Gesetzmäßigkeiten aus. Demnach ist die Geschichte vom Gegensatz gesellschaftlicher Klassen geprägt: Wer über die die besten Produktionsmittel verfügt, beutet die anderen aus. Dennoch wird sich der Kapitalismus eines Tages selbst vernichten, indem etwa Überproduktion und der Kampf um Absatzmärkte Wirtschaftskrisen auslösen. Die Proletarier werden sich ihrer Macht bewusst, sie revoltieren, es kommt zur "Diktatur des Proletariats", die die klassenlose Gesellschaft vorbereitet. Ist dieser Endzustand erreicht, gibt es weder noch Staaten noch nationale Unterschiede, die Zeit der Klassenkämpfe ist passé. |
Revisionismus | Das Bestreben, bestehende Verhältnisse schrittweise durch Reformen und Verhandlungen zu verändern, wird als Revisionismus bezeichnet. So heißt die gemäßigte reformerische Richtung der SPD Revisionismus. Den Revisionisten schwebt die Eingliederung der Arbeiter in die bestehende Gesellschaftsordnung und die Teilhabe an der Staatsgewalt im Rahmen der parlamentarischen Demokratie vor. Hauptvertreter des Revisionismus ist Eduard Bernstein (1850-1932). Er verwirft den Gedanken der Revolution und redet einer friedlichen Entwicklung zum Sozialismus unter Anwendung demokratischer Mittel das Wort. |
Sozialismus | Im Zuge der Industrialisierung wird der Sozialismus (lat. socius = Bundesgenosse) im 19. Jahrhundert zunehmend populär. Sein Ziel ist eine gerechte Verteilung des materiellen Besitzes. Den Arm-Reich-Gegensatz wollen die Sozialisten durch die Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln (zum Beispiel Maschinen) vermindern. Zudem streben die Sozialisten nach einer Gesellschaftsordnung, deren Kennzeichen das Wohl des Ganzen und nicht das Profitstreben des Einzelnen ist. Karl Marx führt den Gedanken des Klassenkampfes, der zur Weltrevolution führt, in den Sozialismus ein. |