Ende der Welt - Die tägliche Glosse Die Deutschen lesen 27 Minuten
Die Deutschen lesen 27 Minuten am Tag Bücher und Zeitungen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn es gibt in der Zeitverwendungsstatistik noch ganz andere Erkenntnisse. Und vom zeitverschwenden haben wir noch gar nicht gesprochen. Eine Glosse von Wolfram Schrag.
So und jetzt legen wir die Bücher wieder zur Seite, die Zeit ist rum. Angenommen, Sie haben um 8:30 Uhr, also ziemlich genau vor 27 Minuten, begonnen, ein Buch oder eine Zeitung zu lesen, dann haben Sie jetzt Ihr Durchschnittspensum erfüllt. Denn Deutschland ist eine Kulturnation.
Laut Statistischem Bundesamt verbringen die Deutschen 27 Minuten am Tag mit Lesen. Das sind übrigens fünf Minuten weniger als vor zehn Jahren. Und da wieder mal Buchmesse in Frankfurt ist, wird es Zeit, diese Feinheiten der Statistik hervorzuholen. Diese Erhebung heißt Zeit-Verwendungs-Statistik und gerade nicht Zeit-Verschwendungs-Statistik, das ist wichtig zu betonen. Denn letztere würde eine Behörde kaum messen wollen.
Wenn wir also 27 Minuten am Tag lesen, was machen wir dann mit den restlichen 1.413 Minuten? Möglicherweise also doch verschwenden? Wenn wir zunächst die größeren Blöcke abziehen, wie schlafen, essen und arbeiten, bleibt noch jede Menge Zeit übrig: 128 Minuten zum Beispiel mit Fernsehen, das ist vier Mal mehr als fürs Lesen. Und dazu gehört auch ein Instagram-Video, ein You-Tube-Format oder gar die Tagesschau in der ARD-Mediathek. Der Algorithmus zwingt uns geradezu, weiterzugucken. Das sind dann Zeiträuber. Wie kann da das Buch dagegenhalten? Eigentlich gar nicht!
Es ist ein abendlicher Kampf um tanzende Buchstaben
Zusätzlich bitter für alle, die um das Wohl der Leserinnen und Leser bemüht sind: Von den 27 Minuten, die wir mit Lesen verbringen, ist das Zeitbudget fürs Buch zwar das größte, aber gerade mal 12 Minuten. Doch neue Erkenntnis: Das ist für viele Leserinnen und manche Leser genau die Zeitspanne, die sie brauchen, bis ihnen im Bett die Augen zufallen.
Es ist ein abendlicher Kampf um tanzende Buchstaben und dann schlafen sie ein. Mit Buch auf dem Bauch, Buch nebendran, mal mit, mal ohne Lampe. Trotzdem schaffen sie mehrere hundert Seiten. Es dauert halt länger, vor allem, weil manche Passage des Buches im wachen Zustand ganz andere Erkenntnisse bringt als im Halbschlaf. Aber egal wie, sie lesen immerhin.
Die Zeitverwendungsstatistik hat auch ergeben: Lesen ist vor allem weiblich. Frauen lesen mehr, Männer weniger und jüngere Männer sind wie häufig das Schlusslicht. 13 Minuten geben sich die 30 bis 44-jährigen pro Tag für Bücher und Zeitungen. Die Kulturnation scheint also wieder einmal bedrohlich zu wanken. Doch weit gefehlt. Irgendjemand liest immer. Und Jüngere nehmen sogar wieder gedruckte Bücher in die Hand und konsumieren sogenannte Young Adult Literatur. Das haben ihnen nämlich Bookfluencerinnen und der Algorithmus vorgeschlagen. Ein analog digitaler Buch-Brückenschlag sozusagen.