Bayern genießen Aussicht (en) - Bayern genießen im Januar
Vielleicht geht’s Ihnen auch so: Ich komm mir am Ende des alten und zu Beginn des neuen Jahrs immer vor, als ob ich auf einem Berg ständ. Und vor mir pflastern die Tage einen Weg ins Tal, hindurch durch die Monate, die kalten zunächst, dann die nassen, die schönen Frühlingstage, Sommer, Herbst, bis am Ende wieder der Winter kommt.
Vielleicht geht’s Ihnen auch so: Ich komm mir am Ende des alten und zu Beginn des neuen Jahrs immer vor, als ob ich auf einem Berg ständ. Und vor mir pflastern die Tage einen Weg ins Tal, hindurch durch die Monate, die kalten zunächst, dann die nassen, die schönen Frühlingstage, Sommer, Herbst, bis am Ende wieder der Winter kommt. Alles da, das ganze Jahr liegt vor mir. Nicht undurchsichtig neblig, dunkel, sondern hell. Lediglich unausgefüllt, neu, unberührt. Passend zu diesem Jahresanfangsgefühl unsere im Wortsinn aussichtsreiche Themen:
Unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Aussicht(en)"
Oberbayern: Aussicht mit Durchsicht. Eine Brillensammlung im oberbayerischen Stockdorf. Von Sarah Khosh-Amoz
Niederbayern: Aussicht mit Absicht. Aussichtsreiches von Bauern im Rottal. Von Julia Haderecker
Oberpfalz: Aussicht mit Weitsicht. Kepler und der Sternenhimmel. Von Uli Scherr
Mittelfranken: Aussicht mit Übersicht. Rooftopbars um Nürnberg. Von Tanja Oppelt
Oberfranken: Aussicht und Zuversicht. Die Sudpfanne in Bayreuth. Von Anja Bischof
Unterfranken: Aussicht mit Umsicht. Der Randersackerer Kartoffelturm. Von Wolfram Henke
Schwaben: Aussichten und Einsicht. Der Blick vom Gipfel ins Tal. Von Doris Bimmer
Aussicht und Einsicht. Der Blick vom Gipfel ins Tal
Die Aussicht ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Schon die altsteinzeitlichen Jäger vor Jahrhunderttausenden haben sie gebraucht, um die wandernden Tierherden drunten im Tal ausmachen zu können und die Jagdgruppen drunten im Tal durch Signale dirigieren zu können. Und deswegen sind die Sicht, das Sehen und das Schauen auch uralte, wirklich viele Jahrtausende alte Wörter. Die steinzeitliche Wortwurzel sek bedeutet eigentlich verfolgen. Vielleicht ist es die eigentlich artgerechte Haltung des Menschen: Droben am Berg, am besten windgeschützt vor einer Felswand oder am Eingang einer Höhle, wo von hinten auch keine wilden Tiere kommen können und dann der weite Blick hinunter. Wo man das Jagdwild zuerst von oben mit den Augen und dann unten mit den Füßen verfolgen kann. Die Aussicht ermöglicht erst, dass die Schöpfung dem Menschen untertan ist. Sie ist der Blick für die Götter. Da möcht man direkt philosophisch werden. Ganz wurscht ob bei echter Aussicht oder der Aussicht im übertragenen Sinn.
Aussicht mit Übersicht. Rooftopbars um Nürnberg
Man kann sich gut vorstellen, wie der Steinzeitmensch nach getaner Jagd wieder auf den Berg zurückgekehrt ist. Er hat seine Beute gebraten, den aufsteigenden Bratenduft den Göttern des Himmels geweiht und anschließend die fleischigen Reste verzehrt. Wiederum mit bester Aussicht ins Tal. Und dabei fröhlich geratscht. Jägerlatein. In epischer Breite. Wichtig zu wissen: Auch unsere Wörter singen und sagen gehen auf die steinzeitliche Wortwurzel sek=folgen, verfolgen zurück. Zuerst, wie erwähnt, sieht man, verfolgt mit den Augen, dann verfolgt man das Wild mit den Füßen – lateinisch sequi heißt tatsächlich verfolgen, sie kennen ja unser Fremdwort Sequenz für Folge. Und nach getaner Jagd singt oder sagt der Urmensch folgerichtig seine Geschichten. Er erzählt. Will heißen, er zählt seine Erlebnisse eins nach dem andern auf, wie eine Zahlenfolge. Damit seine Zuhörer auch folgen können. In vielen Sprachen hängt das Erzählen mit der Zahl zusammen. Raccontare, raconter, contar im Italienischen, Französischen, bzw. Spanischen. Oder im Englischen to tell, eben zählen, erzählen. Oder tale, das Märchen, die Erzählung. Überall stecken zählen und die Zahl drin. Und interessant, dass sich der moderne Stadtmensch zum Singen und Sagen, wie man es im Mittelalter genannt hat, also zum Erzählen – bei gutem Essen am Feierabend – noch immer einen Aussichtspunkt sucht. Es kann nicht allerweil ein Berg oder das Drehrestaurant im Fernsehturm sein. Der Dachgarten eines Restaurants, heute trendig Rooftopbar genannt, reicht völlig aus. Sie können natürlich auch die naheliegendere Variante wählen und die mehr oder weniger bescheidene Aussicht von ihrem Balkon genießen. Vielleicht auch grad jetzt im Winter reizvoll. Beim richtigen alkoholischen Getränk versteht sich. Ein Rezept für einen schicken Feierabend-Cocktail finden Sie hier:
Aussicht mit Durchsicht. Eine Brillensammlung im oberbayerischen Stockdorf
Sehen, singen und sagen also sind seit Urzeiten ein und dasselbe Wort. Und eng verknüpft mit der Aussicht und den Aussichten im übertragenen Sinn. Schon der Urmensch hat gewusst: Wenn einer nix sieht, kann er auch nix berichten. Jedenfalls nichts Unerhörtes. Bloß noch altes, längst Ge – und Erhörtes aus vergangenen Tagen. Aber vielleicht gewinnt er dafür mangels Aussicht an Weitsicht. Wie der blinde Homer, der erste Sänger und Erzähler überhaupt, der nicht nur von Fakten zu erzählen wusste, sondern auch von ihren göttlichen Hintergründen. Für die meisten aber waren schlechte Augen durch Krankheit und Alter noch bis vor wenigen Jahrhunderten ganz bitter. Schlechte Aussichten im Alter. Nicht bloß für Jäger. Wer als Handwerker mangels gutem Augenlicht nur noch Pfusch abgeliefert hat, ging bald am Bettelstab. Gut, dass man schon in der Antike draufgekommen ist, dass manch klare Edelsteine durch ihre konkave Oberfläche vergrößern. Besonders der Beryll war dafür beliebt. Von diesem Edelstein stammt unsere Wort Brille. Seit dem Spätmittelalter konnte man auch Gläser schleifen. Sehr teuer anfangs. Aber Wissenschaftler und große Künstler konnten so ihre Produktivität bis in höheres Alter fortsetzen. Mitentscheidend für die explosionsartige wissenschaftlich-technische Revolution der Neuzeit. Trotzdem hat man sich seiner Sehschwäche noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts geschämt. Seitdem aber hat sich viel getan. Mittlerweile tragen selbst solche Leute Brille, die eigentlich gar keine brauchen. Das verbessert vielleicht nicht die Aussicht, dafür die Ansicht, sprich das Gesicht.
Aussicht mit Umsicht. Der Randersackerer Kartoffelturm
Schon die Späher der Steinzeit haben, wie gesagt, die Jagdgruppen im Tal regelrecht von oben herab dirigiert. Sie haben sich mit Aussicht und Weitsicht einen Informationsvorsprung verschafft, der sie zu Anführern gemacht hat. Und sie haben an Ansehen gewonnen, weil man buchstäblich aufschauen musste zu ihnen; damit man ihre Jagdsignale nicht übersehen und sich verlaufen hat. Und nicht nur die Jäger, auch die kriegerischen Feldherren der Antike haben die Über- und Fernsicht vom Feldherrnhügel herab gebraucht. Seither schätzen alle Diktatoren und Tyrannen es, wenn sie drüberstehen und damit, ja wörtlich Aufsehen erregen, die Leute zu ihnen aufsehen. Wenn über ihnen nur noch der Himmel ist, Gott und seine göttliche Vorsehung. Dass die Vorsehung ihn allein zum Führer auserwählt hat, davon war auch ein gewisser Adolf Hitler überzeugt. In dieser Hinsicht wundert es nicht, dass zwei glühende Anhänger ihm im idyllischen Randersacker einen Aussichtsturm gebaut haben. Doch was heißt hier Turm. Schaut aus wie eine Zikkurat, der berühmte Turm von Babylon. Der ist übrigens genauso wenig fertiggeworden wie der der Turm von Randersacker. Weil der Adolf hat seinem Volk zwar ein tausendjähriges Reich in Aussicht gestellt. Aber die Vorsehung ist dann gottseidank zu der Einsicht gelangt, dass zwölf Jahre in die Haut hinein langen. Heute ist der großmächtige Adolf-Hitler-Turm ganz zu Recht Kartoffelturm. Aber die gute Aussicht hinunter auf Randersacker und das Maintal ist geblieben. Für jedermann, versteht sich. Und ganz egal, ob Sonnenstuhlturm oder Kartoffelturm – viel interessanter ist, wie der Turm bei den Einheimischen heißt: Grumbieraturm, Grundbirnenturm! Grundbirnen heißen die Kartoffeln in manchen Teilen Schwabens und Frankens. In Altbayern und Österreich sinds bekanntlich Erdäpfel. Aber das alles muss sie nicht kümmern bei einem Spaziergang in dieser wunderbaren Weingegend. Hier gibt’s Wissenswertes und Spaziervorschläge.
Aussicht und Zuversicht. Die Sudpfanne in Bayreuth
Gute Aussichten – darüber verfügten auch die Bürger der im Mittelalter gewaltig wachsenden Städte. Sie hatten sich so gut es ging selbständig gemacht von ihren Herren, aus der Leibeigenschaft befreit und waren Bürger hinter eigenen Burgmauern geworden. Mauern, an denen sie ihre Freiheitsrechte, wenn es sein musste selbst verteidigten. Und um sich dafür den rechten Überblick zu verschaffen, steht in der Mitte jeder alten Stadt eine große Stadtkirche – geistlicher und weltlicher Versammlungsort zugleich. Dazu gehört immer ein möglichst hoher Turm. Je reicher die Stadt, desto höher. Die Landshuter etwa bauten sich im Spätmittelalter an ihr Martinsmünster den höchsten Backsteinturm der Welt. Damit sie ihrem Herzog auf dem Burgberg droben in die Suppenschüssel schauen konnten Gut, das war natürlich a bisserl Zuviel des Guten. Aber auch die mittelalterlichenTürme in München, Nürnberg, Augsburg, Regensburg, Amberg oder Nördlingen sind nicht viel kleiner. Hoch droben saß immer ein Türmer. Natürlich wegen der Aussicht: Sind Feinde im Anmarsch? Oder, fast noch schlimmer, ist ein Feuer ausgebrochen? Denn wenn das Feuer trotz aller Umsicht, Vorsicht und Aufsicht ausgekommen ist, war das Schicksal vieler Stadtbürger mit einem Schlag aussichtslos. Das ist im übrigen heute nicht anders. Gut, der Brandschutz ist heut besser, wir brauchen keinen Türmer mehr – aber manchmal würd er gar nicht schaden. Zum Beispiel bei der Sudpfanne dem Traditionslokal von Bayreuth, das letztes Jahr abgebrannt ist und wie Phönix aus der Asche wiedererstanden.
Aussicht mit Absicht. Aussichtsreiches von Bauern im Rottal
Wir reden heute über Aussichten im neuen Jahr und die uralte steinzeitliche Wortwurzel sek, von der nicht nur das Sehen kommt, sondern auch das Singen und das Sagen. Ursprünglich, wie gesagt, hat seksoviel bedeutet wie folgen. Die steinzeitlichen Jäger und Sammler folgten dem Wild zuerst mit den Augen und dann zu Fuß; schauten unterwegs, wo es Bäume und Sträucher mit süßen reifen Früchten gibt. Dazu muss man aber vom Aussichtsposten herab, nicht nur die Landschaft, sondern auch Spuren und sonstige Anzeichen lesen können. Es ist kein Zufall, dass unser Wort lesen zunächst einmal auflesen, sammeln bedeutet. Man kann die Fährten von Tieren lesen, aber auch Früchte und Gemüse auflesen, also sammeln.
Das ist in vielen Sprachen so. Altgriechisch genauso wie lateinisch legein, bzw. legere heißt auflesen, sammeln, aber auch, dann im übertragenen Sinn, mit den Augen Buchstaben sammeln, also Texte lesen. Und wer oft in Bücher hineingeschaut hat, ist durch dieses interlegere im Wortsinn intelligentgeworden. Verkürzt kann man sagen: Jede Aussicht vermittelt Einsicht – und vielleicht auch neue Ansichten. Und das ist in Zeiten, wo uns alle möglichen elektronischen Medien den Blick auf die wirkliche Welt verstellen, wichtiger denn je. Zum Beispiel bei folgenden wunderbaren Bauernhofangeboten:
Stoi Cafe in Aham
Kuhstallcafe in Beratzhausen
Made in Niederbayern in Kößlarn
Aussicht mit Weitsicht. Kepler und der Sternenhimmel
Es war der Anfang aller Kultur: In der Früh schauen die Jäger und Sammler ins Tal auf der Suche nach Beute. Dann jagen und sammeln sie, lesen auf, und am Abend, am Feuer, also am Feuerabend, genießen sie die Früchte ihrer Arbeit. Und genießen den Sonnenuntergang und danach eine andere Aussicht, eine geistige: Den weiten Blick hinauf zu den Wundern des Himmels. Nur noch die Älteren von uns können sich an Zeiten erinnern, in denen nicht jedes Dorf und jedes Haus eine Straßenbeleuchtung hatte, wo man mancherorts noch ungestört vom alles überstrahlenden Kunstlicht den sternenübersäten Himmel sehen konnte. Nicht nur in den Städten sind heute die Milchstraße und viele Sternzeichen praktisch unsichtbar geworden. Das hat unabsehbare kulturelle Folgen. Die Aussicht in den den Himmel und die darin wohnenden Götter gibt es nicht mehr. Wir haben, wenn man so will, unsere Aussichten verloren auf das geistige Reich des Himmelvaters, die sogenannte Pateria, unsern Blick gesenkt und fesseln lassen durch das handfeste Reich der Erdmutter, der Materia. Wir sind Materialisten geworden. Dabei könnten wir alle wissen, was unsere Ahnen in allen Kulturen gewusst haben: Die Erde müssen wir früher oder später verlassen. Der Himmel ist die einzige Aussicht auf Zukunft, die wir haben. Dass sich die nüchterne Sicht auf die Welt keinesfalls beißt mit einem ehrfürchtigen Blick in den Himmel, davon muss man heutige Astronomen genauso wenig wie ihre Vorgänger in Antike und Mittelalter erst überzeugen. Auch der berühmte, vor knapp vierhundert Jahren in Regensburg verstorbene kaiserliche Hofastronom Johannes Kepler hat gewusst, Dass das Irdische nicht alles ist. Erst das Universum ist das All. Das Keplermuseum in Regensburg ist jetzt nach langer Renovierung wieder geöffnet.
Aussichten, Absichten, Einsichten, Ansichten – ich hoffe, Sie haben Nachsicht mit uns, dass wir so ein umfangreiches Thema nicht vollständig aufarbeiten können. Am allerwichtigsten ist ohnehin die Erkenntnis, dass sehen und sagen, wenn man so will, ein und dasselbe Wort sind. Der getreuliche Bericht, das Gesehene dann auch sagen – und nichts hinzutun und nichts weglassen – heute gilt das als Grundprinzip des Journalismus. Es ist aber auch das Prinzip aller heiligen Schriften.
Danach sah ich und siehe, eine Tür war geöffnet am Himmel; und die erste Stimme, die ich gleich einer Posaune mit mir reden gehört hatte, sagte: Komm herauf und ich werde dir zeigen, was dann geschehen muss.
So beginnt die Apokalypse des Johannes, die Aussicht auf das Ende und Urgrund der Welten. Sehen und dann tun, was geschehen muss. Ein guter Vorsatz fürs neue Jahr. In jeder Hinsicht.