Bayern genießen im Februar Schnell genießen
Was hat denn das bloß mit Genuss zu tun – schnell? Richtig ist: Schnelligkeit ist recht übel beleumundet.
Spätestens seit uns der große bayerische Kinderbuchautor Michael Ende in seinem Roman Momo eindrücklich geschildert hat, dass sich selbst betrügt, wer Zeit sparen will – und dazu, zum Zeitsparen, ist Geschwindigkeit, Schnelligkeit doch da, für was denn sonst? Also: Heiraten und Schlittenfahren muss schnell gehen, heißt es in einem alten Spruch; weil beides – Heiraten genauso wie Schlittenfahren – nun aber unbestritten Genussthemen sind, kann es mit der Schnelligkeit allein gar nicht so schlimm sein. Wir möchten in dieser Ausgabe von Bayern genießen den Beweis dafür antreten, dass Schnelligkeit an sich wertfrei ist und es jedenfalls ganz genau auf den Einzelfall ankommt, ob Schnelligkeit was taugt oder nicht
Die Themen von Bayern genießen im Februar
- Niederbayern/Oberpfalz: Schnell getaktet – Zeit als Luxus in Regensburg (Bernd Kellermann)
- Mainfranken: Schnell gegessen – Sir Quickly in Würzburg (Barbara Markus)
- Mittel-/Oberfranken: Schnell gefunden – Regionale App für Genießer in Mittelfranken (Christian Schiele)
- Schwaben: Schell gekocht – die weltschnellsten Kässpatzen aus Kemptenl (Bettina Ahne)
- Oberbayern: Schnell geschnallt – das Aperschnalzen im Rupertiwinkel (Andreas Estner)
- München: Schnell gelaufen – Aktion zur Verzögerung der Zeit in München (Arthur Dittlmann)
Redaktion und Regie: Gerald Huber
Niederbayern/Oberpfalz
Schnell getaktet – Zeit als Luxus in Regensburg
Schnelligkeit, Geschwindigkeit wird gemessen in Kilometer pro Stunde, also in der Zeit, die man braucht, um eine gewisse Wegstrecke hinter sich zu bringen. Wenns um andere Dinge als Wegstrecken geht, um Arbeit etwa, dann kann man die Geschwindigkeit messen zum Beispiel in Hemden, die man in einer Stunde bügelt.
Aber aufgepasst: Wenn diese Geschwindigkeit zum Selbstzweck wird, dann kann das schnell fatale Folgen haben: Sie erinnern sich doch an Michael Endes Momo: An die grauen Herren, die die Leute dazu animieren, Zeit zu sparen dann diese gesparte Zeit in ihren Zigarren zu grauer Asche verrauchen? Tatsächlich: Zeit kann verrauchen, verschwinden, sich in Luft auflösen in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Und je mehr man sich beeilt, je schneller man tut, desto weniger Zeit scheint zu geben – eine alltägliche Erfahrung von jedem von uns.
Und doch ist die Wahrnehmung der Zeit und des Nutzen, den man aus ihr zieht, eine höchst subjektive Angelegenheit: Während es dem einen nicht schnell genug gehen kann und er glücklich dabei ist, fühlt sich der andere gehetzt, obwohl er relativ zum andern alle Zeit der Welt hat.
Mainfranken
Schnell gegessen – Sir Quickly in Würzburg
Gut und böse, heiß und kalt, schwarz und weiß ist halt so bequem. Was täten wir ohne unsere klaren Vorstellungen darüber, wer unser Freund, wer unser Feind ist?
Und selbstverständlich haben wir unsere Lieblingsfeinde: Fast Food beispielsweise gilt als Inbegriff des genussfeindlichen Hungerstillens. Aber was ist dann mit der ganz simplen Lebkässemmel, was ist mit den drei im Weckla, auf die man sich als Bayer oder Franke nach Monaten im Ausland mehr freuen kann als auf das aufwendigste 5-Gänge Menü? Schnelles Essen am Straßenrand ist so alt wie die Menschheitsgeschichte. Schon die prähistorischen Kulturen kannten Garküchen, im alten Rom hats buchstäblich an jeder Ecke was zu essen gegeben und letztlich ist ja auch die gute bayerische Brotzeit nix anderes als ein schnelles Essen zwischendurch.
Letztendlich kommt es wohl wie überall drauf an, was man draus macht – aus einem Schnellimbiss in Würzburg beispielsweise.
Dort gibt es einen Schnellimbiss, der heißt "Sir Quickly". Wenn Ihnen der Name bekannt vorkommt, irgendwie – sag ich nur: Sowieso!
Mittel-/Oberfranken
Schnell gefunden – Regionale App für Genießer in Mittelfranken
Der Vorteil liegt im Einkauf. Die alte Kaufmannswahrheit gilt auch für Genießer: Wer gut essen will, muss gut einkaufen – eine Binsenweisheit. Denn Genuss und Fertigpizza aus dem Supermarkt schließen sich aus, soviel ist klar.
Dass selber kochen meistens nicht mehr Zeit braucht als ein Fertiggericht warm zu machen, müsste mittlerweile jedem bekannt sein, der den unvermeidbaren Fernsehköchen auch nur ein paarmal mit halbem Ohr zugehört hat. Nebenbei bemerkt: In der Zeit, in der man sich so eine Kochsendung anschaut, kann man gut und gern ein kleines Menü zubereiten.
Da sind wir bei Bayern genießen im Vorteil: Uns kann man zuhören und gleichzeitig kochen. Aber das, wie gesagt, nur nebenbei. Was viele Leute vom selber, frisch und regional kochen abhält, ist das Argument, dass das Einkaufen so lang dauert, schlimmer noch, dass sie oft gar nicht wissen, wo sie gute, frische Lebensmittel in hoher Qualität kriegen. Die Ausrede soll jetzt jedenfalls in Mittelfranken nicht mehr gelten. Dort nämlich gibt’s jetzt eine RegioApp mit der man gute Sachen schneller finden soll. Dahinter steckt die Regionalbewegung Mittelfranken.
Schwaben
Schell gekocht – die weltschnellsten Kässpatzen aus Kempten
Schnelligkeit haben die Menschen schon immer argwöhnisch betrachtet. Berühmt die Angst der Leute vor der mit 25 Stundenkilometern rasenden Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth. Geschwindigkeit, Beschleunigung wurde aber schon immer auch genossen.
Woher sonst käme die Freude an immer rasenderen und reißenderen Volksfestbelustigungen? Und wie wir gesehen haben, ist Schnelligkeit sowieso eine höchst subjektive, relative Angelegenheit. Langsamkeit und Ruhe kann man vielleicht erst richtig wahrnehmen, wenns zuvor schnell und hektisch zugegangen ist. Der Metropolenbewohner glaubt gemeinhin, dass es auf dem Land und in kleinen Städten gemütlicher zugeht. Stimmt vielleicht auch – aber nicht, weil da alles langsamer geht, sondern weil es mit Bedacht gemacht wird.
Man rennt nicht hirnlos durch die Gegend, sondern kommt im Gegenteil geistvoll gelassen ans Ziel.
Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Kommissar Kluftinger – nicht umsonst der Kommissar eines Regional-Krimis im Allgäu. Kluftinger ist bedächtig und trotzdem höchstens nach außen hin langsam; also beim Laufen ist er ein bisserl behindert von seinem Bauch. Er ist halt ein Genießer. Und Kasspatzen sind eben nicht schnell verdaut – aber auch nicht schnell gemacht. Außer auf dem Kemptener Wochenmarkt. Dort nämlich gibt’s einen Kässpatzenstand. Auch hier ist Schnelligkeit nicht unbedingt der Feind des entschleunigten Genusses.
Oberbayern
Schnell geschnallt – das Aperschnalzen im Rupertiwinkel
Das Goaßlschnalzen …
… stammt von Fuhrleuten, die sich in früherer Zeit einen Spaß daraus gemacht haben, ihren ganz speziellen "Peitschen-Sound" zu kreieren - und sich damit von ihren Kollegen zu unterscheiden.
Es ist natürlich kein Zufall, dass wir ausgerechnet im Faschingsmonat Februar das Motto "schnell" gewählt haben. Das Schnellen und die Schnelligkeit, das Laufen und Springen sind geradezu Kennzeichen des Karnevals. Die alte süddeutsche, also eigentlich hochdeutsche Form von schnellen ist schnallen. Das Wort hängt selbstverständlich mit der Schnalle zusammen. Sie ist eine Art Schnellverschluss. Eine Falle hat eine Schnalle, es gibt eine Tür-, respektive Türschlossschnalle und selbstverständlich eine Schnalle, mit der Gürtel oder Schuhe schnell verschlossen werden können.
Schnallen als Tätigkeitswort heißt soviel wie schnell gehen, springen, hüpfen. Wenn ein Bayer sagt, er hat etwas geschnallt, dann ist bei ihm das Zehnerl gefallen. Auch das Wort Schnalzen gehört hierher. Das eingefügte "z" ist ein Laut, der die Intensivierung oder Wiederholung des Vorgangs andeutet. So wird aus dem Krachen das Krächzen, aus dem Schlucken das Schluchzen, aus dem Knarren das Knarzen und eben auch aus dem Schnallen das Schnalzen.
Und es ist auch keine Frage, dass das Goaßlschnalzen, das derzeit im Altmühltal oder im Voralpenland stattfindet, eine schnelle Angelegenheit ist, ja, dass das Schnalzen nur mit einer bestimmten Geschwindigkeit überhaupt funktioniert.
München
Schnell gelaufen – Aktion zur Verzögerung der Zeit in München
Schlagfertigkeit ist etwas was sich viele wünschen, viele bewundern, wobei die meisten mit der eigenen Schlagfertigkeit, also mit der schnellen Reaktion auf einen Sachverhalt unzufrieden sind. Wie oft fällt einem erst später ein, was man in einer bestimmten Situation hätte tun oder sagen sollen?! Weil es uns allen mehr oder weniger so geht, kann man sich ja auch einmal fragen, ob es vielleicht nicht gut ist, dass wir so wenig schlagfertig sind.
Dass also schnelle Herausforderungen, Aktionen bei uns nicht in jedem Fall sofortige Re-Aktionen hervorrufen, dass wir im Gegenteil also zunächst einmal verstummen und uns gar nicht rühren. Sich nicht sofort überall mit- und in alles hineinreißen zu lassen, stattdessen Beharrungsvermögen zu zeigen und sich die Reaktion überlegen zu können, ist möglicherweise von enormem Vorteil. Dass es bei uns in Bayern noch immer gar nicht so schlimm ausschaut mit der Beschleunigung, der Selbstausbeutung, dem Stress, das liegt vielleicht auch an unserer gewissen Haltung grundsätzlicher Verweigerung gegenüber manchem Ansinnen, doch schnell einmal das und gleich jenes zu machen, unter dem Motto „Iatz mog i grad extra net“.
Mag uns das auch manchmal als Phlegma oder Unbeweglichkeit ausgelegt werden – es schützt uns mehr als andere vor Selbstausbeutung. Vor diesem Hintergrund der gesunden Gegenreaktion muss man auch die Aktion der Münchner Künstler Wolfram Kastner und Angelika Drabert vom "Verein zur Verzögerung der Zeit" sehen. Sie sind kürzlich an einem Freitagmittag zur besten Geschäftszeit durch Münchens Fußgängerzone geschlendert. Zusammen mit zwei weiteren Gesinnungsgenossen haben sie als "Sandwich-Männer" und "-Frauen" Schilder getragen mit der Aufschrift "Bitte beeilen Sie sich!" und "Please hurry up!"
Mehr Bayern genießen im Fernsehen: "Zwischen Spessart und Karwendel", sonntags, um 15 Uhr, auf BR-alpha.
Schnell geht’s auch bei unseren Kollegen vom Fernsehen weiter mit Bayern genießen. In „Zwischen Spessart und Karwendel“ auf BR alpha. Auch dort gilt: Schnell sein und Schnelligkeit müssen dem Genuss nicht widersprechen. Wir alle kennen und genießen nicht nur die Ruhe sondern manchmal eben auch den Rausch der Geschwindigkeit. Vielleicht müssen wir nur lernen, dass Geschwindigkeit relativ ist und Schnelligkeit überhaupt erst im Kontrast zur Langsamkeit entsteht. Dass nicht alles immer noch schneller gehen kann, liegt auf der Hand. Jeder Physiker weiß, dass spätestens mit der Lichtgeschwindigkeit Schluss ist. Da hört die Zeit auf Zeit zu sein, die Materie entschwindet. Wenn wir unsere Zeit, unser materielles Dasein genießen wollen, geht das nur im ständigen Wechsel von Ruhe und Bewegung, von Arbeit und Nichtstun. Es ist der sanfte Wellenschlag der Zeit, der unser Leben schön macht.