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Koffergeschichten Reisegepäck im Wandel der Zeit

Ohne Koffer kein Urlaub. Ein Stück Heimat kommt darin immer mit auf die Reise. Doch wo kommen die Koffer eigentlich her? Wie werden sie heutzutage abgefertigt? Und wie haben sich die Gepäckstücke in den vergangenen 200 Jahren verändert?

Von: Matthias Rüd

Stand: 07.03.2018 | Archiv

Koffer | Bild: colourbox.com

Das Transportmittel kam selbst in Koffern in Nürnberg an, genauer in 19 riesigen Kisten: der legendäre Adler, die Dampflokomotive, welche am 7. Dezember 1835 in Deutschland das Zeitalter der Eisenbahn einläutete. Eine neue Zeit mit neuen Regeln: Wer auf den stattlichen Polstersitzen der ersten Klasse Platz nehmen wollte, der musste pünktlich sein - und, noch viel wichtiger: das passende Gepäck dabeihaben.

"Das Reisegepäck hat sich maßgeblich durch die Bahn verändert, weil es eben in der Eisenbahn transportiert werden musste und dafür mussten auch erst einmal Räume geschaffen werden. Es war nicht so, dass mit der Neubaustrecke Fürth-Nürnberg die passenden Koffer vorhanden waren. Man hatte vorher Kutschenkoffer und die nahmen zum Teil die Form der Kutsche auf. Und so ist schon ziemlich bald sehr intelligentes Gepäck integriert worden."

Claudia Selheim, Leiterin der Sammlung Volkskunde am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg

Eine Zugreise mit zwei Dutzend Koffern war im späten 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert keine Seltenheit. In den Wagon zusammen mit den Passagieren durfte aber nur der Handkoffer. Für den großen Rest hing gleich hinter der Dampflok der Gepäckwagen – und dort waren nur gerade Formen erwünscht.

Kofferfabriken befriedigen einen neuen Massenmarkt

Durch die neuen Reisemöglichkeiten mit der Bahn entstand ein neuer Massenmarkt. Überall in Deutschland eröffneten Kofferfabriken, die größten in Leipzig. Aber auch in Franken, speziell in Nürnberg und Fürth, wurde die immense Nachfrage nach Reisegepäck in eigenen Fabriken gestillt. Berner & Steinmetz produzierten in Nürnberg, in Fürth unter anderem Bermas. Die Marke gibt es noch heute, produziert wird in Fürth aber schon längst nicht mehr. Die Kofferfabrik lebt allerdings weiter – als alternatives Kulturzentrum. Wo früher Reisegepäck hergestellt wurde, treffen sich heute Szeneleute und Nachbarn zu Konzerten, Stammtischen, Theateraufführungen und Bingo-Abenden. Ein spezielles Publikum für einen speziellen Ort.

Souvenirs zum Aufkleben

Der Koffer ist heute mehr Mittel zum Zweck. Früher – und das nicht nur im 19. Jahrhundert – war er auch Aushängeschild für Globetrotter, trug nicht nur das Notwendige für die anstehende Reise in sich, sondern auch Erinnerungen an vergangene Reisen auf sich.

"Hier haben wir einen klassischen Oldtimerkoffer aus den 50er, 60er-Jahren. Das ist ein ganz einfacher schwarzer. Die waren oft nur aus Pappe, außen vielleicht noch Leder. Innen sind nur Gurte. Das besondere an dem Stück ist, dass der Außen ganz schöne Aufkleber von Hotels hat: Pension Raabe, Hotel Adlerhof, San Remo, Hotel Aragon aus Madrid. Die hat man damals gesammelt."

Marina Wachsmann, Inhaberin eines Vintagestores für Koffer

Gepäckabfertigung am Flughafen

Mehr als 180 Jahre nach der Jungfernfahrt des Adlers geht es heute beim Koffer-Verladen am Nürnberger Flughafen um Millimeter und Gramm. Von Fluglinien und Flughäfen gibt es dazu ellenlange Preislisten und Geschäftsbedingungen. Abgefertigt werden die Koffer automatisch. Die Sortieranlage des Nürnberger Flughafens schafft bis zu 1.200 Gepäckstücke in der Stunde

"Jedes Gepäckstück bekommt ein Label, auf dem sind Barcodes aufgedruckt – wie im Supermarkt. Das Gepäckstück durchfährt immer wieder Scannerstationen, dann weiß ich immer ganz genau, wo es sich im Hause gerade befindet und welchen Status es noch hat."

Matthias Reubel, Chef der Gepäckabfertigung am Nürnberger Flughafen

Gepäcksortieranlage am Nürnberger Flughafen

Die Branche träumt von Koffern, die nur von zwei Händen angefasst werden – denen des Fluggastes beim Einchecken und bei der Gepäckausgabe am Ende. In London eröffnete vor wenigen Jahren ein wahres Terminalmonster, in dem zigtausende Koffer wie in riesigen Bibliotheken aufgeschichtet und weitertransportiert werden – vollautomatisch. Soweit ist man in Nürnberg noch nicht. Ganz so viel Erfolg hat die Vollautomatisierung aber auch noch nicht. In der Londoner Kofferbibliothek war der Auftakt verheerend, dort strandeten in den ersten Tagen gleich 28.000 Gepäckstücke. Auch in Nürnberg tauchen immer wieder Koffer auf, die getrennt von ihrem Besitzer reisen.

"Bei den klassischen Hubankünften, also bei Drehkreuzankünften aus London, Paris, Zürich kommt es bei jedem einzelnen Flug vor, dass ein Gepäckstück hier landet, das nicht hierhergehört. Das in Zürich oder Paris falsch verladen wurde. Dann wird es ihm hier per Kurier nachgesendet. In den meisten Fällen bekommt der Gast sein Gepäckstück wieder. Da sind wir ziemlich fix."

Matthias Reubel, Chef der Gepäckabfertigung am Nürnberger Flughafen

Mitarbeiter hieven bis zu fünf Tonnen am Tag

Ohne menschliche Muskelkraft geht es noch nicht.

Normalerweise erreicht ein in Nürnberg aufgegebener Koffer weitgehend mühelos jeden Kontinent, jede Stadt mit Landeplatz –ohne, dass der Gast ihn zwischendurch auch nur einmal wiedersieht, selbst dann nicht, wenn er unterwegs umsteigen muss. Noch braucht es dafür aber menschliche Muskelkraft, mit deren Hilfe das Gepäck vom Transportband auf den Wagen, ins Flugzeug und wieder zurück gehievt wird.

"Gepäckstücke wiegen ja im Schnitt 17 bis18 Kilo und diese Gewichte müssen ja noch per Hand bewältigt werden – trotz Automatisierung. Wir haben mal ausgerechnet, dass ein Mitarbeiter, der fünf bis sechs Stunden hier seine Schicht bewältigt, bis zu fünf Tonnen Gewicht hieven muss. Der weiß, was er getan hat."

Matthias Reubel, Chef der Gepäckabfertigung am Nürnberger Flughafen

Minikoffer werden immer beliebter

Zu Zeiten der Billigflieger wird nun aber Gepäckvermeidung zum geldsparenden Hobby. Jeder große Koffer jenseits der 55 Zentimeter Länge und schwerer als 13 Kilo kostet – und das nicht wenig. Minikoffer, Trolleys für die Kabine, werden immer beliebter. Aber dass der Koffer ganz ausstirbt – künftig nur noch im Antiquitätenhandel zu finden ist, das ist dann doch eher unwahrscheinlich – wenigstens vorerst.

"Das klassische Reisegepäck wird in Zukunft immer da sein. Ich muss ja irgendetwas mitnehmen, wenn ich länger verreise. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen in Zukunft soviel Geld verdienen, dass sie sagen, ich nehme nur Handgepäck mit und vor Ort kauf ich mir sämtliche Klamotten mit meiner Plastikkarte. Das Gepäckstück ist ein Dauerläufer."

Matthias Reubel, Chef der Gepäckabfertigung am Nürnberger Flughafen


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